'Tatortreiniger' am Prinz Regent Theater
Erleuchtung garantiert
Heiko „Schotty“ Schotte (glänzt erneut mit großem Understatement und göttlichem Augenaufschlag: Maximilian Strestik) kommt zum Tatort eines Gewaltverbrechens, wenn die Polizei samt Spurensicherung ihre Arbeit getan und ein Bestattungsunternehmen die Leiche abtransportiert hat. Er beseitigt er die Reste der Tat – und seien die Hinterlassenschaften von Täter und Opfer auch noch so gruselig.
Schotty schreckt nichts, wenn er sein Goldkettchen am Hals mit einem klinisch weißen Overall verbirgt und seinen Schuhen Plastikschoner überzieht. Ganz wichtig: Mundschutz. Denn er rückt den Flecken von Blut und anderen Körperflüssigkeiten nicht nur mit Bürsten, Schrubbern, Schwämmen und Seife zu Leibe, sondern auch mit einer ganzen Reihe nicht ungefährlicher chemischer Substanzen.
Ein Wissenschaft für sich
Es ist eine Wissenschaft für sich, für jeden Stoff, jeden Fußbodenbelag, jedes Möbelstück oder jede Wandbespannung die richtigen Mittel auszuwählen und bei Bedarf zu kombinieren. Gefragt ist freilich auch Empathie und Geistesgegenwart, wenn er mit kindlicher Unschuldsmiene und ganz offener, unvoreingenommener Neugier jeden Tag völlig fremden Menschen begegnet: Hinterbliebenen, Mitbewohnern und Bekannten der Opfer oder einfach nur Leuten, die rein zufällig vorbeikommen.
Manchmal wird er sogar mit den Geistern der Ermordeten konfrontiert, und da ist seine aus 31 stets rund dreißigminütigen Folgen in sieben Staffeln, die der Norddeutsche Rundfunk zwischen 2011 und 2018 produziert hat, bewunderte Schlagfertigkeit besonders gefordert: Ingrid Lausund, Ingolstädterin des Jahrgangs 1965, Dramaturgin und langjährige Hausautorin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, hat die Drehbücher für die von Arne Feldhusen mit Bjarne Mädel verfilmten Episoden der überaus erfolgreichen und vielfach preisgekrönten TV-Serie „Der Tatortreiniger“ unter dem Pseudonym Mizzy Meyer geschrieben – und das mit einer großen Portion hintergründigem Witz.
Premiere mit zwei Episoden
Nachdem die Essener Regisseurin Magz Barrawasser vor Jahresfrist mit der Episode „Das freie Wochenende“ am Prinz Regent Theater Bochum debütierte und für ausverkaufte Vorstellungen in Serie sorgte, feierte am 1. Adventssonntag 2022 nun die Fortsetzung der ersten PRT-Serie umjubelte Premiere mit zwei „Tatortreiniger“-Episoden: „Currywurst“, in der 7. Staffel am 18. Dezember 2018 mit der aktuellen „Faust“-Preisträgerin Lina Beckmann als Erna an der Seite von Pia Hierzegger und Margrit Osterwold erstausgestrahlt, und „Anbieterwechsel“ aus der 5. Staffel, am 21. Oktober 2015 mit Anna Schudt, Jule Böwe, Thomas S. Mir – und Uwe Seeler – gesendet.
Uwe Seeler, soviel darf verraten werden, spielt im Bochumer Süden nicht mit. Aber für andere Episodenrollen hat sich das PRT-Team Überraschendes einfallen lassen in der so einfachen wir effektvollen Ausstattung von Rabea Stadthaus und zur wie im Jahr zuvor auch live produzierte Geräusche umfassenden Musikkonzeption von Manuel Loos, die diesmal von den nicht nur szenisch wandlungsfähigen Schauspielerinnen Stefanie Linnenberg und Alessandra Wiesemann wechselweise selbst umgesetzt wird.
Currywurst
Schotty, in die Kunstgalerie von Tilly Ravenbach (Stefanie Linnenberg) gerufen, lernt als Erstes die zweifache Bedeutung des Wortes Maler. Der eine ist Künstler, der andere Anstreicher. Was zu Missverständnissen führen kann. Oder zur Selbstüberschätzung: Jedenfalls hat sich ein verkanntes Genie, dessen Werk der Galeristin noch nicht einmal fünf Euro wert war, in der Nacht das Leben genommen, um ein öffentlichkeitswirksames Zeichen zu setzen. Entsprechend wüst sieht es am Tatort aus, als der Reiniger eintrifft. „Hauptsache, die Exponate sind unbeschädigt geblieben“ ist die Galeristin beruhigt, die nun sogar ein Geschäft wittert.
Denn besagtes Gemälde „Birnbaum“, das Schotty für fünf Euro gerne erworben hätte, um seiner „derzeitigen Ex-Freundin“ Merle ‘mal ‘was anderes zu schenken als das übliche Furzkissen, steigt durch den Selbstmord des „Künstlers“ stündlich im Wert, der nun bei 5.000 Euro liegt. Was freilich gar nichts ist im Vergleich zum Bild „Echte Werte“, dessen Materialwert sich allein auf 120.000 Euro beläuft: Es besteht aus lauter großen Euro-Scheinen. Zweifellos dekadent, findet Schotty mit Blick auf seinen Stundenlohn von 31,50 Euro brutto. Aber halt auch provokant – also publicityträchtig. So sind die Marktgesetze! Das muss er erst einmal verdauen und holt sich bei der Straßenverkäuferin Erna (Alessandra Wiesemann) eine Currywurst. Der Fünfer, den er über ihren Bauchladen reicht, ist freilich kein Gewöhnlicher…
Anbieterwechsel
In der Vermittlungsagentur für religiöse Bedürfnisse aller Art, die mit allerhand Blut, das jedoch nicht von Menschen stammt, wie die Forensiker bereits festgestellt haben, verwüstet worden ist, lernt Schotty von der Leiterin Constanze Krüger (Alessandra Wiesemann), dass es für jeden das passende Glaubensmodell gibt, selbst für erklärte Atheisten. Glauben mache schließlich glücklich, an was auch immer, erleichtere das diesseitige Dasein.
Und was letztlich nach dem unvermeidlichen Tod komme, spiele für den Toten selbst gar keine Rolle. Für ihn, so Frau Krüger, komme am ehesten das Starterkit Buddhismus in Frage, damit könne er auch leichter mit der frustrierenden Tatsache umgehen, dass seine „Ex“ Merle sich für einen gut betuchte Herzchirurgen entschieden habe. Die beiden kommen sich im Gespräch über Gott und die Welt näher und Constanze vertraut Schotty an, dass sie lieber im von ihrem Bruder geführten, 150 Jahre alten Familienbetrieb Krüger Senf tätig sein würde…
Karten für die weiteren Aufführungen unter prinzregenttheater.de oder Tel. 0234 – 77 11 17. Die weiteren Vorstellungen: Donnerstag, 1. Dezember 2022, 19.30 Uhr; Donnerstag, 29. Dezember 2022, 19.30 Uhr; Freitag, 30. Dezember 2022, 19.30 Uhr.
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- Donnerstag, 1. Dezember 2022, um 19:30 Uhr
- Donnerstag, 29. Dezember 2022, um 19:30 Uhr
- Freitag, 30. Dezember 2022, um 19:30 Uhr