
Free-TV-Premiere mit Wotan Wilke Möhring
Steig. Nicht. Aus!
Ausnahmsweise ist Karl Brendt (Wotan Wilke Möhring), beruflich rund um die Uhr geforderter Projektentwickler für den an der Spree ansässigen, aber bundesweit tätigen Immobilienhai Jenkins & Partner, pünktlich in Berlin, um unerwartet daheim in die Vorbereitungen der Familie für einen halbwegs geordneten Tagesbeginn hineinzuplatzen: Gattin Simone (Christiane Paul) hatte sich fest darauf eingestellt, die beiden Kinder zur Schule zu bringen, kommt aber nicht in die Klamotten. Sodass Karl, der den Hochzeitstag 'mal nicht vergessen und Simone noch rasch ein naturgemäß teures Geschenk besorgt hat, gar nicht dazu kommt, ihr dieses zu überreichen. Er kutschiert vielmehr seine heftig pubertierende Zicke von Tochter Josefine („Tigermilch“-Star Emily Kusche) und ihren nervigen Frechdachs von kleinem Bruder Marius (Carlo Thoma) zur Schule.
Plötzlich meldet sich ein Handy. Nicht über Bluetooth im Navisystem des besternten SUV, also gehört es nicht dem Fahrer. Aber es ist auch nicht ein Smartphone der Kinder – das Geräusch kommt aus dem Handschuhfach. Es handelt sich um ein fremdes Smartphone mit einem Brendtschen Familienfoto aus dem eigenen Social-Media-Auftritt im Display – und die Stimme verkündet Ungeheuerliches: der Erpresser verlangt mehrere Geldtransfers enormer Summen auf ein Nummernkonto irgendwo in der Südsee. Als Ausgleich für das ihm und seiner Familie von Karl Brendt persönlich und der Immobilienfirma, für die er tätig ist und an der er Geschäftsanteile hält, zugefügte Unrecht. Karl und insbesondere seine Kinder halten das Ganze für einen schlechten Aprilscherz am ersten Tag dieses Monats, aber der erpresserische Anrufer kann halbwegs glaubhaft machen, dass er Bomben unter den Sitzen versteckt hat, die automatisch zünden, wenn jemand das Fahrzeug verlässt.
Verifiziert wird die tödliche Gefahr durch Ida (Mavie Hörbiger), die Gattin von Karls Abteilungsleiter Omar Cicek (Fahri Yardim). Der ist zwar auf der Karriereleiter an ihm vorbeigezogen, aber sein Kumpel geblieben – und damit sein erster Ansprechpartner in dieser delikaten Angelegenheit. Denn Karl soll – vom Auto aus - nicht nur seine persönlichen Konten und die seiner Gattin räumen, sondern auch noch über die Firma größere Geldtransfers vornehmen lassen, die das vereinbarte Limit für Einzelbuchungen überschreiten, weshalb mehrere Unterzeichnungsberechtigte zustimmen müssen. Weil Ida sich über die Anweisung des Erpressers, das Fahrzeug nicht zu verlassen, hinwegsetzt, fliegt Ciceks Nobelkarosse spektakulär in die Luft. Ein Splitter landet im Bein des sogleich stark blutenden und immer wieder ohnmächtigen Marius – aber der Weg ins nächste Krankenhaus bleibt dem am Boden zerstörten Nervenbündel von Vater untersagt. Der Erpresser verlangt zuerst das Geld.
Simone ist bereit, das Geld von der Bank abzuholen und an einem noch zu vereinbarenden Ort für den Erpresser zu deponieren. Doch ihr Liebhaber, der Rechtsanwalt Pascal D'Angelo (Klaus Zmorek), informiert die Polizei und tischt dem zuständigen Kommissar Fritz Drache (Aleksandar Jovanovic) eine wilde Geschichte auf: Karl Brendt sei ein Spieler, der hohe Schulden begleichen müsse und deshalb seine Kinder entführt habe, um die Gattin und die Firma zu erpressen. Die Polizei nimmt die frei erfundene Story für bare Münze und setzt ein Großaufgebot in Gang. Show down mit Hubschrauber auf dem Gendarmenmarkt: nichts geht mehr. Und das ist wörtlich zu nehmen. Bis sich mit Pia Zach (Hannah Herzsprung) eine Sprengstoffexpertin einschaltet, die als einzige die Geschichte Karls glaubt, sich als Frau aber gegen die männliche Dominanz von Drache & Co, die wie etwa im Fall der NSU-Terroristen nur die eigene vorgefasste Meinung gelten lassen und alle anderen Hinweise negieren, nicht durchsetzen kann. So ist Karl wieder ganz auf sich allein gestellt...
„Atemlose Spannung, packende Action, große Emotionen, raffinierte Wendungen“: das Presseheft hat nicht zu viel versprochen. „Steig. Nicht. Aus!“ ist ein für deutsche (TV-Koproduktions-) Verhältnisse grandioses Mittelding zwischen aufwändigem Action- und an den Nerven zehrendem Psycho-Thriller. Auch wenn es nach knapp zwei elektrisierenden Stunden zwar nicht ohne Leichen abgeht, aber doch alles auf ein familienfreundliches Happy End hinausläuft, ist Christian Alvart ein deutlich über dem Schnitt des Gewohnten liegender Film für die große Leinwand gelungen, obwohl er großenteils nur innerhalb eines Fahrzeugs spielt.
Vor dem Herner Schauspieler Wotan Wilke Möhring ziehe ich den Hut. Glaubhaft verkörpert er den verzweifelten Vater, dem spätestens nach dem Explosionstod seines Kumpels klar geworden ist, dass es nur einen Ausweg gibt – die Erfüllung aller Forderungen des Erpressers. Karl Brendt setzt alle seine in 17 Jahren bei Jenkins & Partner erworbenen Psychotricks ein, um in selbst schier aussichtsloser Lage und geradezu übermenschlicher physischer wie psychischer Anspannung die anderen Abteilungsleiter und schließlich auch seinen Boss übers Telefon von der Notwendigkeit der Finanztransfers zu ihrer eigenen nicht ganz legalen Geldvermehrung zu überzeugen.
Dabei ist er selbst inzwischen von der eigenen Mitschuld überzeugt: rücksichtslose „Entmietung“ lukrativer Immobilien sind das Alltagsgeschäft, das freilich gern skrupellosen Fremdfirmen überlassen wird. Die Selbstmorde wie den der Frau des Erpressers als Kollateralschaden abhaken. Karl Brendt würde einiges anders machen, doch in diesem speziellen Fall kommt sein Umdenken zu spät. So ist er bereit, sein Leben für das seiner Kinder zu opfern...
„Steig.Nicht.Aus!“ zeigt das „Zweite“ am Montag, 6. April 2020 fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Kinostart um 22:15 Uhr als Free-TV-Premiere. Ab 23:55 Uhr des gleichen Tages wird der hochspannende Thriller für mehrere Wochen in die ZDF-Mediathek eingestellt.