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Guy Clemens und Elsie de Brauw spielen mitten im Publikum auf der Bühne der Bochumer Kammerspiele.

Intensives Spiel in der Bochumer Kammer

'Asche zu Asche' von Koen Tachelet

„Er betete mich an, weißt du? - Er betete dich an? Was soll das heißen? Willst du sagen, er hat keinen Druck auf deine Kehle ausgeübt? - Nein. Er hat ein bisschen Druck auf meine Kehle ausgeübt. So dass sich mein Kopf langsam nach hinten bog. Sanft, aber bestimmt.“ Ein Mann und eine Frau, Devlin (Guy Clemens) und Rebecca (Elsie de Brauw), bewegen sich auf der beinahe quadratischen Sandwich-Bühne der Bochumer Kammerspiele zwischen spiegelndem Boden und weit heruntergezogener Lichtdecke in einem von Nadja Sofie Eller aus dem Fundus mit zumeist bequemen Sitzgelegenheiten für höchstens fünfzig Zuschauer ausgestatteten Wohnzimmer mitten im Publikum.

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Von Greta Goris in erlesen-zeitloses leuchtend blaues Tuch gehüllt erzählt sie von einer offenbar sadomasochistischen Beziehung zu einem „Führer“, von gesichtslosen „Arbeitermenschen“ in einer Fabrik ohne Toiletten, von Menschen, die mitten im Sommer in ihren Mänteln zu frieren scheinen und wie die Lemminge kollektiv ins Meer gehen.

Mit Worten wie Gehorsam und Gefolgschaft kann ihr um einiges jüngeres Gegenüber ebenso wenig etwas anfangen wie mit ihren Bildern von einer „gefrorenen Stadt“ und „gebuckeltem“ Schnee, die er nicht zu deuten weiß. Und die ihn beunruhigen – nicht zuletzt aus Eifersucht. Immer wieder fragt er nach, als sie versucht, sich zu rechtfertigen ohne konkret zu werden: Rebecca fürchtet offenbar, ihre Karten aufzudecken. Geht es doch um Gefühle und Erinnerungen, die weit über ihre gemeinsame Vergangenheit mit Devlin hinausreichen.

Wie die Geschichte von dem Kind, das sie auf dem Bahnsteig eines Bahnhofs verloren hat: „Als ich zum Bahnhof kam, sah ich den Zug. Es waren noch andere Menschen da. Und mein bester Freund, der Mann, dem ich mein Herz geschenkt hatte, der Mann, von dem ich im ersten Moment unserer Begegnung wusste, dass er der Mann für mich war, mein lieber, mein teuerster Gefährte. Ich beobachtete ihn, wie er den Bahnsteig abschritt und den schreienden Müttern ihre Babys aus dem Arm riss.“ Eine Kriegserinnerung? Ein (Alp-) Traum?

„Asche zu Asche“, zuletzt 1998 vom bulgarische Regisseur Dimiter Gotscheff in den Bochumer Kammerspielen mit Heiner Stadelmann und Henriette Thimig herausgebracht, ist nun vom Dramaturgen Koen Tachelet am gleichen Ort inszeniert worden – und doch auch nicht: Denn das Publikum sitzt nicht im Parkett, sondern zusammen mit beiden Protagonisten im Bühnen-Guckkasten. Geschrieben innerhalb von nur zehn Tagen und vom Autor 1996 selbst in London urinszeniert hat sich der von osteuropäischen jüdischen Vorfahren abstammende Harold Pinter erstmals explizit mit der Schoah auseinandergesetzt.

Nachdem er im Winterurlaub 1995 auf Barbados die Albert Speer-Biographie „His Battle With Truth“ von Gitta Sereny gelesen hat, in der die Liebesbeziehung einer halb so alten Engländerin, verheiratet und Mutter zweier Kinder, zu Hitlers Architekt und Rüstungsminister geschildert wird bis hin zur letzten Stunde in einem Londoner Hotel. Sereny, in Wien geborene britische Journalistin aus österreichisch-ungarischer Familie, war als Kind faszinierte Augenzeugin des Nürnberger Reichsparteitags der NSDAP. Und als Erwachsene so eingenommen von Speers „Spandauer Tagebüchern“, dass sie dem Kriegsverbrecher zunächst schrieb und sich dann ab 1978 häufiger mit dem zweitmächtigsten Mann des NS-Staates in Heidelberg getroffen hat.

„Ashes to Ashes“ ist auch in der knapp einstündigen Inszenierung Koen Tachelets ein Stück mit quälender Stimmung, in welcher sich das Reale und das Traumhafte, das Konkrete und die Phantasmagorie verschmelzen. In dem Devlin mit inquisitorischer Genauigkeit versucht, sich der Vergangenheit seiner Frau zu bemächtigen – aus reinem Selbsterhaltungstrieb heraus. Pinter stellt freilich nur die Frage nach der eigentümlichen sexuellen Anziehungskraft gewalttätiger Männer, er findet für sie keine Erklärung. Was nicht als Vorwurf an den 1930 geborenen und 2008 verstorbenen britischen Dramatiker und Nobelpreisträger gemeint ist.

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„Asche zu Asche“ wird in Doppelvorstellungen gespielt. Besucher der zweiten Vorstellung bekommen aus dem Parkett das Ende der ersten mit, was ihre Sicht auf das Stück, wenn sie selbst auf die Bühne gebeten werden, aber nur in Kenntnis der Vorgeschichte verändern kann. Diese jedoch wird im Programmheft nur allzu vage angedeutet.

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  • Freitag, 28. Februar 2020, um 17:45 Uhr
  • Freitag, 28. Februar 2020, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 28. Februar 2020, um 20:15 Uhr
  • Sonntag, 1. März 2020, um 17 Uhr
  • Montag, 2. März 2020, um 19:30 Uhr
  • Montag, 2. März 2020, um 20:15 Uhr
  • Samstag, 7. März 2020, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 7. März 2020, um 20:15 Uhr
  • Sonntag, 8. März 2020, um 17 Uhr
  • Sonntag, 8. März 2020, um 17:45 Uhr
  • Samstag, 14. März 2020, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 14. März 2020, um 20:15 Uhr
  • Sonntag, 15. März 2020, um 17 Uhr
  • Sonntag, 15. März 2020, um 17:45 Uhr
  • Freitag, 27. März 2020, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 27. März 2020, um 20:15 Uhr
Donnerstag, 27. Februar 2020 | Autor: Pitt Herrmann