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Der ziemlich derangierte Familienvater Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) ist vom Berliner Multikulti-Trip zurück und überrascht Gattin Carla gemeinsam mit Opa Georg (Friedrich von Thun) und dem indischen Fahrradkurier Hilmal (Juri Rother).

Woke Political Correctness als Komödie

Alter weißer Mann

Update, Donnerstag (5.12.2024)

Weiterhin zu sehen in der Filmwelt Herne, im Astra Essen sowie im Atelier Düsseldorf.

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Update, Donnerstag (28.11.2024)

Weiterhin zu sehen in der Filmwelt Herne, im Casablanca Bochum, im Astra Essen und im Atelier Düsseldorf.

Der Kino-Text

„Es herrscht einfach eine… gewisse Nervosität. Bei uns allen. Aber wo herrscht denn keine Nervosität heutzutage? Wer hat denn heute keine Panikattacken? Klima. Kriege. Viren. Putin. Trump… und dazu noch die ganzen Avocado Toasts überall und die Hafermilch, und die Influencer… die uns erzählen wollen, wie wir unser Leben leben sollen!“: Die Zeiten verlangen Heinz Hellmich (Paraderolle für Jan Josef Liefers), im mittleren Management des Telekommunikationsunternehmens Fernfunk AG tätig, Flexibilität und zugleich enorme Sensibilität ab.

Das wird ihm spätestens klar, als ihn seine rechte Hand Kiraz Tüfek (bodenständig mit Herz auf dem rechten Fleck: Meltem Kaptan) mitten in der Nacht über den Shitstorm informiert, den seine letzte Werbekampagne ausgelöst hat: Die weiße Vorzeigefamilie auf den Plakaten, die seine eigene sein könnte mit Gattin Carla (Nadja Uhl) und den drei Kindern Mavie (Sarah Mahita), Leni (Momo Beier) und Linus (Juri Winkler), ist den Kritikern nicht divers genug.

Kids geben Wokeness-Zensuren

Im beschaulichen Heim der Hellmichs in der fiktiven deutschen Kleinstadt namens Waldstetten ist freilich auch nicht alles Gold: Mavie studiert in Berlin, scheint aber im hauptstädtischen Sumpf abgetaucht zu sein, die Abiturientin Leni verteilt wie der zwei Jahre jüngere Linus laufend Wokeness-Zensuren und Mutter Carla, die einst ihren Job als Dolmetscherin für das Familienleben aufgegeben hat, möchte nun, da die Kinder flügge geworden sind, eine Sprachschule als Ort der Begegnung gründen. Was den Kids angesichts KI-unterstützter digitaler Medien total aus der Zeit gefallen erscheint.

Kiraz Tüfek (Meltem Kaptan), Heinz Hellmichs rechte Hand in der Fernfunk AG, hat eine Schwäche für den neuen Technology Consultant Älex Sahavi (Elyas M‘Barek).

Dr. Steinhofer (Michael Maertens), der opportunistische Chef von Heinz, setzt ihm mit Lian Bell (Yun Huang) eine toughe Unternehmensberaterin und Diversity-Beauftragte vor die Nase, die der gestresste Heinz, daheim ist beim Anbringen einer Photovoltaikanlage auf dem Dach ein Brand ausgebrochen, bei der ersten Begegnung im Unternehmen aus Versehen als Kellnerin angesprochen hat. Und dann hat die Fernfunk AG mit Älex Sahavi (Perfektionist im Selbstoptimierungswahn: Elyas M’Barek) auch noch einen neuen Technology Consultant eingestellt, der Heinz zum seinen Job fürchten lässt.

Culture Clash in der Hauptstadt

Der Familienvater nimmt sich erst ‘mal eine kleine Auszeit und fährt nach Berlin, um bei seiner Ältesten nach dem Rechten zu sehen. Der Culture Clash in der Hauptstadt ist fundamental, sodass Heinz wesentlich später als geplant und im abgerissenen Habitus eines Penners wieder daheim auf der Matte steht – in Begleitung seines 83-jährigen Vaters Georg (Friedrich von Thun) und des indischen Fahrradkuriers Hilmal (Juri Rother). Letzterer ist von Georg, der partout seinen Führerschein nicht abgeben will, beinahe über den Haufen gefahren worden.

Sie komplettieren noch gerade rechtzeitig ein Dinner, das die Familie Hellmich von ihrer besten Seite zeigen soll, weshalb zu Dr. Steinhofer, Lian Bell und Älex Sahavi aus Diversitätsgründen auch Kiraz Tüfek, die Paartherapeutin Dr. Joy Sand (Denise M’Baye) und Lenis Freund Mo (Leon Ndiaye) eingeladen worden sind. Nachdem zuvor in aller Eile Bilder (Klee, Toulouse-Lautrec, Monet – alles alte weiße Männer) von den Wänden sowie Bücher und DVDs (Hitchcock, Polanski, Woody Allen, Spielberg – alles alte weiße Männer) aus den Regalen genommen wurden.

Bereit für das entscheidende Dinner, bei dem nicht nur die Familie wieder zu sich finden soll: Carla Hellmich (Nadja Uhl) mit ihren Kindern Linus (Juri Winkler) und Leni (Momo Beier) samt deren Freund Mo (Leon Ndiaye).

„Die Menschen werden immer dümmer. Ich habe gestern eine Einladung vom Museumsverein bekommen. Da steht ernsthaft drin ‚Liebe GästInnen‘. GästInnen, Heinz. Das ist doch kein Wort. Oder sagt man jetzt auch MenschInnen?“: Opa Georg eröffnet den Reigen als inzwischen gemeinhin cringe empfundener Bemerkungen. Und tappt bedenkenlos in weitere Fettnäpfchen zur Freude alter weißer Männer wie dem Autor dieser Zeilen: „Die Deutschen driften immer ins Totalitäre ab. In den Wahn. Auch wenn sie versuchen, die Guten zu sein, müssen sie bei allem übertreiben.“

Viel Humor und Selbstironie

Mit „Alter weißer Mann“ blickt Simon Verhoeven wie schon bei der Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ (2016), die fast vier Millionen Kino-Besucher begeisterte, oder den erfolgreichen „Männerherzen“-Filmen mit viel Humor und Selbstironie auf die großen und heiklen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Diese liebevoll-nervige, schließlich aber versöhnliche Komödie wagt sich auf das Minenfeld der heutigen Political Correctness und des Selbstoptimierungswahns.

Verhoeven will weder polarisieren noch polemisieren – eine erfreuliche Erholung in diesen unseren Zeiten der vielfach unversöhnlich-besserwisserisch gespaltenen Bubble-Gesellschaft. Ob sein Versuch, mit den Mitteln selbstentlarvender Ironie Widersprüche und Absurditäten längst nicht nur auf asoziale Medien beschränkter Diskurse offenzulegen und dadurch Dialoge wieder möglich zu machen, klappt, wird sich erweisen. Der Regisseur hat die Berlin-Gang, mit der es Heinz Hellmich zu tun hat, absichtsvoll mit zwei nicht-binären Darstellern (Alex Junge und Patrice Grießmeier) sowie einem Trans-Schauspieler (Lukas von Horbatschewsky) besetzt. Damit aber letztlich wieder eine Vorurteils-Schublade geöffnet.

Liefers und Kaptan in Essen

Gedreht vom 16. April bis zum 18. Juni 2024 in Berlin, in Bayern sowie in München (Siemens-Gelände und Flash Studios in Riem) kommt die 114-minütige Komödie am 31. Oktober 2024 in unsere Kinos, bei uns in die Filmwelt Herne, ins Casablanca Bochum, in die Schauburg Gelsenkirchen und in die Lichtburg Essen. An diesem Tag machen Hauptdarsteller Jan Josef Liefers und Meltem Kaptan auf ihrer bundesweiten Kinotour um 20 Uhr Station in der Lichtburg unweit des Essener Hauptbahnhofs.

Mittwoch, 30. Oktober 2024 | Autor: Pitt Herrmann