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Telefonische Krankschreibung: Juchuuu, wir feiern krank.

Eine Dunkhase von Hinckeldey Kolumne

AU per Telefon - Kapitulation oder Geniestreich?

Regelmäßig, meist zum Jahreswechsel, publizieren die Krankenkassen ihre „Fehlzeitenreports“ unter Verwendung der Diagnosen auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der versicherten Arbeitnehmer. Die Medien missverstehen das gerne als Morbiditätsstatistik, also eine Statistik über die Entwicklung bestimmter Krankheiten, die – angeblich – zur Arbeitsunfähigkeit (AU) führen.

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Die AOK verzeichnet von 2011 bis 2021 im Durchschnitt jährlich knapp 160 AU-Fälle pro 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder. Im Jahr 2022 stieg die Zahl um mehr als 30 Prozent auf etwa 220 AU-Fälle. Sechs Diagnosegruppen dominieren das Fehlzeitengeschehen 2022: Atemwegserkrankungen (18 Prozent - von 36 Fällen / 100 Versicherte auf 87 Fälle mehr als verdoppelt), Muskel- und Skelett-Erkrankungen (17 Prozent), psychische Erkrankungen (10 Prozent, interessant hier, dass die Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen um fast 50 Prozent zugenommen haben), Verletzungen (8 Prozent), Erkrankungen des Kreislaufsystems (4,0 Prozent) und der Verdauungsorgane (3 Prozent). Dieser Anstieg der Fehlzeiten ist durch keine echte Morbiditätsentwicklung erklärbar, auch nicht als Folgeerscheinung der Corona-Pandemie.

Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Krankheit oder Faulfieber

Den Krankenkassen ist sehr wohl bekannt, dass Fehlzeiten in einem erheblichen Umfang keineswegs durch reale Erkrankungen bedingt sind. Dementsprechend verwenden sie den Begriff „Fehlzeit“ statt „Arbeitsunfähigkeit“. Sie reden auch nicht von einer Morbiditätsentwicklung, sondern vom Fehlzeitengeschehen und ihre Publikation dazu logischerweise Fehlzeitenreport. Letzterer empfiehlt daher auch keinerlei betriebliche Maßnahmen zur Prophylaxe von Krankheiten wie das Tragen einer Maske, rückenschonende Sitzgelegenheiten oder andere gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz. Nein, er führt als Ursachen für Fehlzeiten Faktoren wie Kooperationsklima, Krisenmanagement, Kreativität und Verbesserungen sowie Beteiligung an Entscheidungsprozessen und Mitbestimmungsmöglichkeiten an. Mit Defiziten in diesem Bereich allerdings ist keine Krankheits-Diagnose erklärbar, wohl aber etwas, das man despektierlich als „Frust- und Faulfieber“ umschreiben könnte.

Bettkanten-Entscheidung am frühen Morgen

Die deutsche Sprache hält denn auch einige entlarvende Redewendungen vor: Man „feiert“ krank, man „macht blau“ und man „nimmt“ sich einen Krankenschein. Da hört mancher schon mal beim Aufstehen tief in seinen Körper hinein, lässt sich nicht doch ein leichtes Halskratzen finden, etwas Druck hinter den Schläfen oder ein Ziehen im Rücken? Laut einer Umfrage der BKK Pronova trifft die Mehrheit der abhängig Beschäftigten – 59 Prozent – gerne eine sogenannte Bettkanten-Entscheidung am frühen Morgen auch mal zugunsten des Spaziergangs im Stadtpark und lässt sich krankschreiben. Jeder Zehnte macht das sogar häufig, 23 Prozent manchmal, weitere 26 Prozent selten, nur jeder Dritte nie. Der volkswirtschaftliche Schaden durch diese Gewohnheit ist immens.

Vor allem die Hausärzte müssen sich montags leicht mit 15 bis 20 Leuten plagen, die nichts anderes als eine Gefälligkeits-AU haben wollen. Eine gründliche Anamnese und ganzkörperliche Untersuchung würde wohl keine AU rechtfertigen. Bevor diese Leute (Patienten sind sie ja eigentlich nicht) aber wutschnaubend die Praxis verlassen, knicken viele Kollegen ein und stellen die geforderte AU-Bescheinigung (im Volksmund „Krankenschein“) aus. Ja, es gibt sogar Praxen, bei denen der wohlfeile Krankenschein Teil des Geschäftsmodells ist. Der aber ist, so gängig und verbreitet er auch sein mag, nichts anderes als Betrug.

Falsche ärztliche Bescheinigungen – auch falsche AU-Bescheinigungen - sind nicht erst seit Corona Thema der Gesetzgebung. Für Ärzte ist das ein Spiel mit dem Feuer. Laut Berufsordnung für Ärzte, § 25, ist bei Bescheinigungen immer „mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren“. Ärzte haben das Zeugnis „nach bestem Wissen ihrer ärztlichen Überzeugung“ auszustellen!

Verdächtige Fehltage am Wochenanfang

Selbst das Sozialgesetzbuch V befasst sich mit mutmaßlich falschen AUs oder Attesten: (Zitat)„Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit sind insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind“ oder „die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist“ heißt es in § 275 SGB V. Besonders verdächtig sind häufige Fehltage am Beginn oder am Ende einer Arbeitswoche. Bei auffällig vielen AUs eines Arztes, verglichen mit Kollegen der gleichen Fachrichtung, droht eine Prüfung des Medizinischen Dienstes und der Arzt muss alle Unterlagen zur Verfügung stellen.

Auch dem Strafrecht sind Gefälligkeitsatteste sehr wohl bekannt. Ein Blick auf § 278 des Strafgesetzbuches (StGB): „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Darüber hinaus können Krankenkassen oder Arbeitgeber nachgewiesene Schäden geltend machen und Ärzten drohen satte Schadensersatz-Forderungen.

Umstände der Krankschreibung verkomplizieren

Der Nachweis einer falschen AU-Bescheinigung ist schwierig und wird entsprechend nur verschwindend selten geführt. Viele Betriebe haben schon resigniert und verlangen eine ärztliche AU-Bescheinigung nach dem dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit, vielleicht mit dem Hintergedanken, dass beim Besuch in der Praxis in der Regel eine ganze Woche Arbeitsunfähigkeit „erbeutet“ wird. Ich denke, es ist nicht ganz abwegig, in diesem Kontext auch die ministerielle Genehmigung zur Ausstellung einer AU-Bescheinigung ausschließlich auf dem Boden eines telefonischen Kontaktes zu sehen. Es könnte also durchaus clever sein, die üblichen drei Tage einfach zu akzeptieren, danach aber die Umstände der Krankschreibung so zu verkomplizieren, dass es dann doch komfortabler ist, zur Arbeit zu gehen.

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Immerhin, es gibt auch jene Rechtschaffenen, die sich selbst von einer noch so heftigen Erkältung nicht abhalten lassen, zur Arbeit zu gehen. Das sollen sogar fast 25 Prozent der Arbeitnehmer sein. Und sicher ist es auch ein Fortschritt, psychische Erkrankungen als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit anzuerkennen, auch wenn der Anstieg der AU infolge derartiger Diagnosen um fast 50 Prozent doch gewisse Zweifel aufkommen lässt.

Montag, 19. Februar 2024 | Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
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