
Max Frischs Klassiker im Prinz Regent Theater Bochum
Biedermann und die Brandstifter
„Aufhängen sollte man sie“: Gottlieb Biedermann (Helge Salnikau) liest bei Wein und E-Zigarette die Neue Zürcher Zeitung und regt sich über die in jüngster Zeit zunehmenden Brandstiftungen auf. Der Fabrikant und seine Gattin Babette (Linda Bockholt) führen ein gutbürgerliches Leben zweier selbstgewisser Gutmenschen, das Mara Zechendorfs Bühne mit Schalensessel und Flokati in den 1970er Jahren ansiedelt: Vom Mobiliar über die Wohnaccessoires bis hin zu den Kostümen (Rabea Stadthaus) alles ins Weiß der Unschuld getaucht.
Babette, die in Selina Girschweilers Bochumer Neuinszenierung des Frisch-Klassikers Biedermann und die Brandstifter auch den Part des Dienstmädchens Anna übernimmt, schafft es nicht, einem Fremden die Tür zu weisen. Nun stellt sich Josef Sepp Schmitz (Niklas Herzberg spielte vor Jahren beim legendären Nibelungen-Großprojekt im Rottstr5-Theater) auch als ein Kerl von einem Mann heraus, was er in seinem Beruf auch sein muss: Jahrmarktsbuden-Ringer in der Schwergewichtsklasse. Er ist er arbeits- und somit auch obdachlos, weil der Zirkus, in dem er zuletzt beschäftigt war, abgebrannt ist. Sepp lässt es sich schmecken und findet sogar ein wenn auch etwas zugiges Nachtlager auf dem Biedermannschen Dachboden.
Auch Babette streicht am anderen Morgen die Segel vor dem zwar unverschämten, aber durchaus höflichen und dabei einen gewissen grobschlächtigen Charme entwickelnden Eindringling Sepp, der weiterhin mit Erfolg an das gute Gewissen seiner Gastgeber appelliert. Die bald auch den entlassenen Sträfling Wilhelm Maria Willi Eisenring (Alessandra Wiesemann), einst Oberkellner im ebenfalls niedergebrannten Metropol, beherbergen und verköstigen.
Gottlieb ist dermaßen verblendet, dass er mit Benzin gefüllte Fässer ebenso auf dem Dachboden seines Hauses duldet wie Holzwolle und Zündkabel. Und sich auch vom per Video (Bülent Kirschbaum) zugeschalteten sechsköpfigen Chor nicht wachrütteln lässt, welcher resigniert feststellt: „Der die Verwandlungen scheut / Mehr als das Unheil, / Was kann er tun / Wider das Unheil?“ Ganz im Gegenteil lädt Biedermann die beiden Fremden auch noch zu Gänsebraten ein. Was Willi nicht weiter erstaunt: „Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. (…) Aber die beste und sicherste Tarnung (finde ich) ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“ Am Ende trinkt Biedermann mit den Brandstiftern Brüderschaft und verschafft ihnen auch noch Zündhölzer, bevor die nahen Gasometer detonieren und die halbe Stadt in Flammen steht...
Selina Girschweiler, Zürcherin des Jahrgangs 1993 und Absolventin des Folkwang-Regiestudiengangs, kritisiert in ihrer Neuinszenierung des 1958 in Zürich uraufgeführten Lehrstück ohne Lehre, so Frischs nachträglich hinzugefügter Untertitel, den Rückzug heutiger Gutmenschen ins Private. Sie leben vegan und trennen den Müll, halten von aktiver Beteiligung an Politik und Gesellschaft aber herzlich wenig. In ihrer stark abgespeckten, auf vier Figuren reduzierten einhundertminütigen, von einer nervtötenden Endlosschleife gesampelter Tonfolgen unterlegten Fassung stellen sich der hochnervöse Ordnungsfanatiker Biedermann und seine devote, nicht minder radikal um Sauberkeit ringende Hausfrau selbst vor: ein auf Äußerlichkeiten bedachtes, im Grunde kleinbürgerliches Ehepaar, das akkurat die Blumenvase neben das Telefon stellt und den Flokati behandelt wie die Großelterngeneration das Häkeldeckchen auf der Anrichte der nur zu besonderen Anlässen zu betretenden Guten Stube. Nach drei Schritten steht der beherzt-unverschämter Sepp breitbeinig auf dem zuvor sorgsam umgangenen Flokati - das Arrangement ist zerstört, die weiße Weste befleckt. Und damit bereits (fast) alles gesagt.
Am Schluss ist nicht wie bei Fritsch von Sinnlosigkeit oder gar Schicksal die Rede, als die ersten Gasometer detonieren, sondern der nach einem Facebook-Aufruf zusammengestellte, in originalen Uniformen der Bochumer Feuerwehr steckende Chor beschwichtigt mit Erleichterung: „Zum Glück ists nicht bei uns.“ Was sich einerseits ans Publikum richtet und andererseits den Intentionen des Autors entspricht, der 1958 in den Nachbemerkungen schreibt: „Der Chor ist nicht parodistisch gemeint, nur komisch.“