„Warten auf Godot“ in Bochum
Bleierne Zeit
Landstraße. Ein Baum, 'mal mit weniger, 'mal mit mehr Blättern. Zwei Akte, zweimal zwei Personen: Wladimir und Estragon, Pozzo und Lucky. Vier Melonen – auf deren Häuptern. Einmal pro Akt schaut ein Junge mit einer Nachricht von Godot vorbei. Sonst geschieht nichts. Und es ist auch „nichts zu machen“. Außer warten. Und sprechen. Und singen: „Ein Hund kam in die Küche...“.
Banale Geschwätzigkeit, um mit Joachim Kaiser zu reden. Der im Vorwort zur Suhrkamp-Textausgabe auch von gelegentlicher Witzelei und von einem faden Symmetrieprinzip der Auftrittsfolgen in zwei einander spiegelbildlich zugeordneten Akten geschrieben hat. Aber auch davon, dass mit „En attendant Godot“, uraufgeführt am 5. Januar 1953 im kleinen Pariser Théâtre de Babylone und bereits am 8. September 1953 auf Deutsch am Berliner Schillertheater-Ableger Schlossparktheater in Steglitz herausgekommen, nicht nur der Ruhm des Autors Samuel Beckett, sondern das Theater der Moderne überhaupt begonnen hat.
Aufführungstradition
Die Bochumer Aufführungstradition von Frank Patrick Steckel (1994 mit Armin Rohde, Oliver Nägele, Wolf Redl und Michael Weber) über Matthias Hartmann (2002 mit Michael Maertens, Ernst Stötzner, Fritz Schediwy – und Harald Schmidt als Lucky) bis hin zu Marco Massafra (2014 an der Rottstraße mit Linus Ebner, Leander Gerds, Maximilian Strestik und ihm selbst) ist eine Abfolge großer Publikumserfolge. Ob die mit vier Stunden bei weitem längste Neuinszenierung, die am 6. September 2024 im Schauspielhaus umjubelte Premiere feierte, auch einer wird, ist noch nicht ausgemacht.
Der Regisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche, Bochumer des Jahrgangs 1969, der erstmals in seiner Heimatstadt inszeniert, hat alle clownesken Passagen gestrichen: Bei ihm geht es nicht um das Verlieren einer Hose, sondern gleich um die ganze nackte Existenz. Eliminiert sind auch alle Virtuosenstücke Becketts von der Schuh- und der Rüben-Nummer über den Hut-Tausch bis hin zum Strick um Luckys Hals, von der Peitsche ganz zu schweigen. Und damit fehlen all‘ die Szenen, mit den das Publikum, etwa von Wolfram Koch und Samuel Finzi in Berlin, bei Laune gehalten wird.
Bleierne Zeit
Bleierne Zeit an der Bochumer „Kö“: über der ständig rotierenden Bühnenscheibe, auf der sich Steven Scharf (Wladimir) und Guy Clemens (Estragon), in existentielles Schwarz gehüllt, ein subtil choreographiertes Spiel teilweise gar gegenläufiger Annäherung und Entfernung liefern, schwebt drohend ein monströses Ufo in zunächst fast unmerklicher Bewegung. Dazu ein düster-dräuender Sound des italienischen Komponisten, (Live-) Schlagzeugers und experimentellen Musikers Andrea Belfi, der bis in die Magengrube zu spüren ist.
Also keine Landstraße, auch der Baum samt seiner interpretatorisch nutzbaren Zahl an Blättern fehlt, überhaupt sind sämtliche Requisiten vom Hühnerbein über die Pfeife bis hin zum Klappstuhl gestrichen. Wladimir und Estragon sind weder Landstreicher noch Bettler – und Schauspieler schon gar nicht, denn auch die Theater-auf-dem-Theater-Szene des 2. Aktes, in der Wladimir und Estragon in die Rollen von Pozzo und Lucky schlüpfen, ist dem Rotstift zum Opfer gefallen.
Kein reines Vergnügen
Apropos. Der Knecht Lucky (Bochum-Debütant Yannik Stöbener in seiner zehnten Rasche-Produktion), nackt bis auf eine fleischfarbene Unterhose, schleppt nicht das Gepäck seines Herrn Pozzo (Dominik Dos-Reis), sondern trägt diesen selbst auf seinen schmalen Schultern. Nach 110 Minuten ist Pause. „Langweilen Sie sich?“ fragt Pozzo – und Estragon antwortet: „Kann man wohl sagen.“ Eine Antwort, die Wladimir, von Pozzo angesprochen, wie folgt variiert: „Es ist kein reines Vergnügen.“ Andererseits: Als Wladimir seufzt „So ist die Zeit vergangen“, repliziert Estragon ganz richtig: „Sie wäre sowieso vergangen.“
Obwohl mikroportverstärkt, die Unsitte ist inzwischen fast zum Standard mutiert, ist Steven Scharfs „A dog came in the kitchen“, Beckett übersetzte die englische Version des deutschen Volksliedes vom Mops, der dem Koch ein Ei stahl, für sein auf Französisch geschriebenes Stück, elektronisch verzerrt und selbst in den vorderen Parkettreihen nicht zu verstehen. Ein paradigmatisches Beispiel dafür, dass ein Feuilleton-Liebling wie der zweifache „Nestroy“-Preisträger Ulrich Rasche mit vier Nominierungen fürs Berliner Gipfeltreffen Theater vor allem fürs kundige Fachpublikum macht.
Sehr heutige Inszenierung
Und dennoch empfehle ich, sich Zeit zu nehmen, sich auf diese anstrengende Inszenierung einzulassen: Sie ist sehr heutig, kann bezüglich der Landtagswahlen geradezu tagesaktuell gelesen werden, wenn Estragon zu Wladimir sagt: „Hör mir auf mit deinen Landschaften. Sag mir lieber, wie es drunter aussieht.“ Und sie schließt bei aller düsteren Unerbittlichkeit mit einer versöhnlichen Geste: Wladimir nimmt Estragon wie ein zu tröstendes Kind auf den Arm. Trost ist Ulrich Rasches Sache ansonsten nicht: Godot spielt bei ihm keine Rolle, denn auch die des Jungen, der bei Beckett mit ihm in Verbindung steht und die beiden Wartenden immer aufs Neue vertröstet, ist gestrichen.
Weitere Termine
- Sonntag, 8. September 2024, 17 Uhr (Einführung 16.30 Uhr)
- Samstag, 5. Oktober 2024, 19 Uhr (10 Euro-Tag)
- Sonntag, 6. Oktober 2024, 17 Uhr (Einführung 16.30 Uhr)
- Samstag, 26. Oktober 2024, 19 Uhr (Einführung 18.30 Uhr)
- Sonntag, 27. Oktober 2024, 17 Uhr
Karten unter online oder Tel, 0234 – 33335555
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- Sonntag, 8. September 2024, um 4 Uhr
- Samstag, 5. Oktober 2024, um 19 Uhr
- Sonntag, 6. Oktober 2024, um 17 Uhr
- Samstag, 26. Oktober 2024, um 19 Uhr
- Sonntag, 27. Oktober 2024, um 17 Uhr