Gesamtkunstwerk am Musiktheater im Revier
Carl Orffs 'Carmina Burana'
Ein Gesamtkunstwerk als Großereignis: Beim zweiteiligen, knapp einhundertminütigen Abend „Carmina Burana“ am Gelsenkirchener Kennedyplatz stehen mit der auf der Bühne platzierten Neuen Philharmonie Westfalen in großer Besetzung unter der Musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Rasmus Baumann, dem Opern- und Extrachor, drei herausragenden Gesangssolisten des Musiktheaters im Revier sowie rund einem Dutzend Tänzern der MiR Dance Company über einhundert Mitwirkende auf der Bühne des Großen Hauses. Den ersten Riesenapplaus der heftig umjubelten Premiere aber gab es bereits im Großen Foyer des Ruhnauschen Glaspalastes.
Start mit „Somos“-Etüde
Denn in beiden Bereichen des Großen Foyers tanzen zur live gespielten Musik des spanischen Komponisten Nico Casal unter den „Blauen Reliefs“ Yves Kleins zwei Paare parallel das Duett „Somos“ der Choreografinnen Carla Cervantes Caro und Sandra Egido Ibáñez. Es ist im März 2022 beim int. Festival Masdanza für zeitgenössischen Tanz auf Gran Canaria uraufgeführt worden und erhielt bei der Rotterdam International Duet Choreography Competition, dem weltweit größten Wettbewerb seiner Art, sowohl die Publikumsauszeichnung als auch den Preis der MiR Dance Company.
Auf der linken Seite tanzen Camilla Bizzi & Chiara Rontini (alternierend Zsófia Safranka-Peti & Marie-Louise Hertog), auf der rechten Seite Pablo Navarro Muñoz & Yordi Yasiel Perez Cardoso eine gut zehnminütige, hauchzarte Studie über zwei Körper, die zu einem einzigen Organismus verschmelzen. Auf orangefarbenen Rundpodien in gleichfarbigen halbtransparenten Oberteilen und Hosen bewegen sie sich mit höchster Präzision in enormem Tempo, sodass beim virtuosen Verschränken der Extremitäten immer wieder der illusionäre Eindruck der Dreifüßigkeit entsteht.
Und das in ständiger Rotation um die eigene Achse, um diese Etüde allen Zuschauern rundum sowie in den Treppenaufgängen gleichermaßen präsentieren zu können. Am Flügel in der Mitte zwischen den beiden Podien am Premierenabend Annette Reifig, bei weiteren Aufführungen alternierend mit Karolina Halbig. Da nur wenige Stühle zur Verfügung stehen, kann „Somos“ zeitgleich auch im Zuschauerraum als Filmprojektion erlebt werden.
Monumentale szenische Kantate
Im Anschluss folgt auf der zunächst noch vom „Eisernen“ verschlossenen Bühne des Großen Hauses, deren Treppenkonstrukt in Verbindung mit Skaterpark-Elementen vielfältigste choreographische Elemente in rascher, überraschender Folge befeuert, „Carmina Burana“, Carl Orffs am 8. Juni 1937 in der Oper Frankfurt uraufgeführte monumentale szenische Kantate. Sie fußt auf einer Sammlung von Liedern aus dem 11. und 12. Jahrhundert, deren Handschrift nach ihrem Fundort, dem Kloster Benediktbeuern, den Titel „Carmina Burana“ erhielt.
Die „Lieder aus Benediktbeuern“ gliedern sich in aufrüttelnde moralisch-satirische Dichtungen, anmutige Liebeslieder und Naturlyrik sowie derbe Trink-, Spiel- und Vagantenlieder, die in ihrer Breite, Drastik und in ihrem Bildungshintergrund den gesamten Kosmos des Hochmittelalters von der Klage über den Verlust der Ordnung der Welt bis zum Loblied auf Bacchus aufgreifen. Daraus wählte Orff 24 Lieder aus, die heute zu den bekanntesten und beliebtesten Kompositionen des 20. Jahrhunderts gehören.
„O Fortuna“ wieder Gänsehautmoment
„O Fortuna“ wieder Gänsehautmoment Die mitreißenden Rhythmen Orffs vereinen sich unvergleichlich mit einer fast volkstümlichen Melodik. Schon der Eingangschor „O Fortuna“, nach unzähligen Verwendungen in Werbespots und Film-Soundtracks schlagerartig verwurstet wie die Hits aus Kurt Weills „Dreigroschenoper“, ist wieder ein Gänsehautmoment, wenn er live wie jetzt in Gelsenkirchen zu erleben ist.
Carl Orff selbst hat „Carmina Burana“ als Gesamtkunstwerk „arque imaginibus magici“ bezeichnet, das erst in der szenischen Aufführung „mit magischen Bildern“ seine volle Wirkung entfaltet. Da er kein Handlungs-Programm festlegte, konnten Giuseppe Spota (auch Bühne), der Leiter der MiR Dance Company, und „sein“ Tänzer Alessio Monforte den Freiraum für eigene Interpretationen nutzen: In ihrer ersten Zusammenarbeit denken sie die Themen der Lyrik des 11. und 12. Jahrhunderts ins Heute weiter in der Absicht, einen Assoziationsraum voller magischer Bilder zu schaffen. Die von der undurchsichtig-verwirrenden Weltenlage über den Tanz ums schwarze Rohr statt ums Goldene Kalb bis hin zur gegenseitigen solidarischen Stützung und Tröstung reicht, von totaler Erschöpfung über langsame Erholung in der Wärmestube der Gemeinschaft bis hin zur ekstatischen Freude.
Mut zur Lücke
Mut zur Lücke: Die höchst artifiziellen Alltagsklamotten hat der international erfolgreiche Modedesigner Alessandro Vigilante entworfen, der zunächst für Labels wie „Dolce & Gabbana“ und „Gucci“ arbeitete, dann unter seinem Namen ein eigenes Label gründete und zudem seit 2024 Creative Director bei dem legendären französischen Traditionshaus Rochas ist, das im kommenden Jahr sein hundertjähriges Bestehen feiert.
Für suggestive Gesangsmomente sorgten in der Premiere die Sopranistin Margot Genet (alternierend mit Subin Park vom Opernstudio), der Tenor Martin Homrich (alternierend mit Adam Temple-Smith) und der kraftvolle Bariton Simon Stricker (alternierend mit Yancheng Chen vom Opernstudio). Es tanzen Camilla Bizzi, Marie-Louise Hertog, Marta Llopis; Pablo Navarro Muñoz, Douglas Oliveira de Souza, Yordi Yasiel Perez Cardoso, Hilla Regev Yagorov, Chiara Rontini, Zsófia Safranka-Peti, Urvil Shah, Inoru Toda, Joonatan Zaban / Nora Brandt (Elevin der Royal Swedish Ballet School).
Übrigens: Im April 2005 hatte Bernd Schindowski in seiner Reihe „Heavy Music – Cool Love“ Orffs „Carmina Burana“ im Kleinen Haus am Kennedyplatz choreographiert. Auf der Bühne auch Herner Kinder der Schule am Schwalbenweg und sogar drei Abiturienten des Pestalozzi-Gymnasiums. Damals leitete Maike Verwey die Theater-AG: lang ists her…
Weitere Aufführungen
- Samstag, 26. Oktober 2024, 19 Uhr
- Sonntag, 3. November 2024, 18 Uhr
- Sonntag, 17. November 2024, 18 Uhr
- Freitag, 22. November 2024, 19:30 Uhr (anschl. Bargespräche im Foyer)
- Mittwoch, 25. Dezember 2024, 18 Uhr (1. Weihnachtsfeiertag)
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- Samstag, 25. Januar 2025, 19 Uhr
- Samstag, 22. Februar 2025, 19 Uhr
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Karten
Karten unter musiktheater-im-revier.de oder unter Tel. 0209 – 40 97 200.
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