Büchner-Pasticcio im Schauspielhaus Bochum
Dantons Tod – Eine theatrale Installation
„Die Freiheit führt das Volk“, auf den transparenten Gazevorhang projiziert, ist der Titel eines 1830 entstandenen Gemäldes des französischen Malers Eugène Delacroix über den blutigsten Tag der am 27. Juli 1830 begonnenen „Julirevolution“. Ein ikonisches Bild, das eine junge Frau mit der französischen Fahne über den von Leichen übersäten Pariser Barrikaden zeigt, die zum Sturz der Bourbonen aufruft. Sie wurde später „Marianne“ genannt und ist bis heute als Symbol der Freiheit die Nationalfigur der Französischen Republik.
Das Gemälde bekommen die Besucher von „Dantons Tod“, der „theatralen Installation“ von Koen Tachelet (Textfassung) und Robert Borgmann (Regie, Bühne, Komposition) nach Georg Büchner, nicht zu Gesicht, können im Schauspielhaus Bochum lediglich einer aktuellen Bildbeschreibung der Kunsthistorikerin Carola Dorner lauschen. Nur die erste von zahlreichen Irritationen eines zweistündigen Abends, der am Samstag (2.9.2023) von Publikum und Medien höchst kontrovers aufgenommen worden ist.
Georg Büchners „Dantons Tod“, die 1835 geschriebenen, aber erst 1902 in Berlin uraufgeführten „dramatischen Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“, zeigen die Französische Revolution bereits in den Endzügen liegend. Robespierre, der erbarmungslose „Blutmessias“, und St. Just, der skrupelloser Techniker des Fallbeils, werden den Revolutionshelden Danton und seine Freunde aufs Schafott führen, die Revolution wird ihre Kinder fressen und in die Diktatur münden. Aber Danton geht vor allem an seinem eigenen fatalistischen Weltekel zugrunde, an seiner Sehnsucht nach dem Nichts, die ihn den Intrigen seiner Gegenspieler ausliefert.
Bemerkenswerte Aufführungstradition
Die bemerkenswerte Aufführungstradition am Schauspielhaus Bochum beginnt in jüngerer Zeit mit Frank-Patrick Steckels Inszenierung, die am 7. Oktober 1989 zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution mitten in turbulenten deutsch-deutschen Wendezeiten herauskam. In der Titelrolle Wolf Redl als müder alter Mann, grau geworden in seiner Verzweiflung über die Hoffnungslosigkeit der Revolution und die Ausweglosigkeit ihrer Exekution. Wolfgang Michael als sein Gegenspieler Robespierre ein kalter Zyniker und preußischer Technokrat wie aus dem SED-Politbüro: Zwei verbrauchte Männer, auf St. Just konnte verzichtet werden.
In Leander Haußmanns Inszenierung Mitte September 1997 mit Wolfram Koch als Danton und Johann Adam Oest als Robespierre viel Theater auf dem Theater mit Revolutionsszenen, die von Kindern in einer Puppenstube nachgestellt wurden unter dem Motto: Macht kaputt, was euch kaputtmacht. These und Antithese wurden als Theater-Sätze bloßgestellt und vom Pathos befreit: Der genialische Genussmensch Danton und der oberlehrerhafte Philister Robespierre als Seelenverwandte.
Thomas Thieme hatte in seiner am 11. Februar 2006 herausgekommenen Inszenierung selbst die Titelrolle übernommen: dieser angesichts der immer heftiger rotierenden Tötungsmaschinerie depressiv gewordene Trumm von einem Mann ist zu erschöpft, um sich bei den Huren zu amüsieren oder gar ums eigene Leben zu kämpfen. So hatten Robespierre, den Ernst Stötzner als durchaus zweifelnden, immer wieder in seinem Gedanken- und Redefluss stockenden, letztlich aber prinzipienfesten und zum Handeln entschlossenen Polit-Funktionär unserer Tage gab, und sein bieder-strebsamer Adlatus St. Just (Marek Harloff) leichtes Spiel.
'Friede den Hütten! Krieg den Palästen!'
Nun also die zweite Bochumer Arbeit des 1980 in Erfurt geborenen Regisseurs und Bühnenbildners Robert Borgmann nach „Passion I und II“ (2021), die Michail Bulgakows „Meister und Margarita“ mit Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ verband. Sie ist eine weitere Kompilation, ein Büchner-Pasticcio aus „Dantons Tod“, der Novelle „Lenz“ und Briefen des Revolutionärs („Der Hessische Landbote“) aus Straßburg und Gießen an seine Familie.
Der dreigeteilte Abend beginnt mit einer in der Jetzt-Zeit des radikalen Individualismus und der grotesken Selbstoptimierung spielenden Installation mit Risto Kübar als Georg Büchner, der Fragen stellt zu Gegenwart und Zukunft der einst revolutionären Postulate Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Im durch einen großflächigen Spiegel sichtbaren Bühnen-Orkus ist der Zuschauer Zeuge eines martialischen Polizeieinsatzes zwischen Sperrgittern, Absperrbändern und rot-weißen Leitkegeln. „Es gibt einen Schnitter, der heißt Tod“ zitiert Büchner das deutsche Volkslied eines unbekannten Verfassers aus dem 17. Jahrhundert.
„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg“: So beginnt Georg Büchners 1835 geschriebene, aber erst posthum erschienene Novelle „Lenz“ über die psychische Erkrankung des Dichters Jakob Reinhold Michael Lenz („Der Hofmeister“, „Der neue Menoza“, „Die Soldaten“), der von einem Freund zur Genesung in die Berge der Vogesen zu Pfarrer Oberlin geschickt wird. Im Video des gebürtigen Londoners Krzysztof Honowski ist es wiederum Risto Kübar, der zur Livemusik durchs Grüne wandert oder sich im Farnkraut ausstreckt. Als seien Lenz und Büchner eins.
Aktivist Büchner klebt sich fest
Schließlich geht es im dritten Teil der Installation doch noch um „Dantons Tod“ und ganz heutigen Forderungen nach einer radikaleren Form direkter Demokratie von „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“ – mit Ensemble-Neuzugang Abenaa Prempeh, die auf der Kühlerhaube eines Autos stehend eine Ansprache an das Volk hält – das sich als Theaterbesucher im gespiegelten Parkett wiedererkennt. Mit Alexander Wertmann als Danton, Marius Huth als Robespierre, Abenaa Prempeh als Nationalkonvent-Deputierter Camille Desmoulins sowie William Cooper als blutgieriges Wohlfahrtsausschuss-Mitglied St. Just.
Die optische entspricht der inszenatorischen Multiperspektivität, die Georg Büchners Biographie unmittelbar mit seinen Werken verknüpft und den Autor als heutigen Aktivisten der „Letzten Generation“ ausgibt. Ein spannender, aber ohne ausreichende Vorab-Information kaum nachvollziehbarer Ansatz. Hinzu kommen noch Making-Off-Einblicke und am Ende, einem Film-Abspann im Kino verwandt, in der Endfassung „geschnittene“ Szenen.
Die nächsten Vorstellungen: Am Donnerstag, 21. September 2023, um 19.30 Uhr (10-Euro-Tag), am Donnerstag, 19. Oktober 2023, um 19.30 Uhr (Einführung 19 Uhr) sowie am Freitag, 27. Oktober 2023, um 19.30 Uhr (Einführung 19 Uhr). Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel. 0234 – 3333 5555.
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- Donnerstag, 21. September 2023, um 19:30 Uhr
- Donnerstag, 19. Oktober 2023, um 19:30 Uhr
- Freitag, 27. Oktober 2023, um 19:30 Uhr