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'Bestätigung' ein Aquarell, 70x50 aus der Reihe 'Stationen' von Hans-Jürgen Jaworski.

Osterkolumne von Hans-Jürgen Jaworski

Das Unbegreifliche begreifen

Der bekannte Lyriker Reiner Kunze veröffentlichte in seinem Gedichtband „eines jeden einziges leben“ (S.Fischer, 1986) das folgende Gedicht:

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Ostern

Die glocken läuteten, als überschlügen sie sich vor freude über das leere grab; Darüber, dass einmal etwas so tröstliches gelang; und dass das staunen währt seit zweitausend jahren; Doch obwohl die glocken so heftig gegen die mitternacht hämmerten – nichts an finsternis sprang ab.

Wo er recht hat, hat er recht. Da muss man nicht lange grübeln oder diskutieren, man erfährt es rund um die Uhr durch die Nachrichtenmedien: Nicht ein Splitter Finsternis ist abgesprungen. Und dennoch bezeichnet der Dichter das Ostergeschehen als etwas Tröstliches, über das mittlerweile seit 2000 Jahren gestaunt wird.

Ein Widerspruch? Oder ein Ausdruck für das Verstehen des Nichtverstehbaren? Ich muss gestehen, dass ich mit diesem Gedicht nie fertig geworden bin. Mittlerweile schleppe ich es einige Jahrzehnte in meinem geistigen Rucksack herum. Allerdings hatte ich vier Jahre nach seinem Erscheinen eine bescheidene Antwort an den Verfasser gewagt (Ich laufe am Rande des Regens, Neukirchener Verlag, 1990).

Jaworskis Antwort

Es stimmt, dass das läuten der glocken ein hämmern gegen die mitternacht nichts von der finsternis abspringen lässt; Es stimmt, dass das staunen über das leere grab auch wenn es schon währt seit zweitausend jahren das dunkel nicht erhellt; Es stimmt, denn die finsternis hat es nicht begriffen. Johannes 1,5

Mit der Finsternis hat sich auch das Nichtbegreifen nicht geändert, das also auch schon währt seit zweitausend Jahren. Da waren damals die Menschen in der Nähe Jesu auch nicht besser dran als wir. Der garstige Graben der Geschichte hat das Nichtbegreifen bestimmt nicht weiter vergrößert. Es war immer groß!

Die Jünger hatten sich enttäuscht und völlig verängstigt zurückgezogen; in einem Versteck leckten sie ihre wunden Seelen. Nur die Frauen waren mutig und wurden so die ersten Osterzeugen, obwohl auch sie das alles nicht begreifen konnten.

Nebenbei gesagt: Dass Frauen die ersten Zeugen waren, war in der der damaligen Zeit eine echte Revolution.

Das Begreifen begreifen

Ich behaupte, dass es um das Begreifen des Begreifens geht. Da gibt es ein Begreifen als eine Sache des Intellekts und ein Begreifen als ein existenzielles Geschehen. Den Satz des Pythagoras zu verstehen, ist eine reine intellektuelle Angelegenheit, das muss mich nicht weiter berühren, nicht emotional an meine Grenzen bringen, mich nicht aus der Bahn werfen. Aber völlig anders ist es zum Beispiel damit, wenn ich Verliebtsein begreifen soll. Da kann mir das einer mit noch so vielen klugen Sätzen versuchen zu erklären, und dennoch werde ich es nicht begreifen, bis ich es nicht selbst erfahren habe: schlaflose Nächte, Schmetterlinge im Bauch, Esstörungen und manches mehr, was ich vorher so nicht kannte. Ich bin, so muss man sagen, völlig vom Verliebtsein ergriffen, auch von manchen damit verbundenen Schmerzen.

Ein Vergleich

Ich möchte diesen Vergleich wagen: Das Begreifen von Ostern und damit auch von Karfreitag ist letztlich ein Ergriffensein – vielleicht ähnlich dem Verliebtsein. Mein Verstand ist überfordert, aber ich lasse mich von der Osterbotschaft ergreifen, von dieser Zusage, dass das alles für mich geschah, damit der Tod nicht das letzte Wort über mich hat – trotz des Sterbens in der Welt und eben auch meines Sterbens. Und damit verbunden ist auch die Zusage, dass Glaube, Liebe und Hoffnung keine Hirngespinste, sondern eine im Alltag erfahrbare Wirklichkeit sind.

Freilich geschieht dieses existenzielle Begreifen kaum auf Distanz. Die Frauen sind hingegangen, danach auch die Jünger. Und auf dieses Hingehen kommt es auch heute an, und so „funktioniert“ es seit zweitausend Jahren – meinetwegen zögerlich, mit Zweifeln und Fragen, aber womöglich mit einem Vorschuss an Vertrauen (als ob das wirklich stimmt). Ich gehe hin und lasse mir zusprechen, was ich letztlich nicht verstehen und was dennoch mein Leben verändern kann.

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Die Glocken

Ach ja, die Glocken! Sie waren nie Werkzeuge gegen die Finsternis, aber seit je rufen sie uns näherzutreten unter die Zusage, dass auch noch heute in unserem Leben so etwas Tröstliches wie Ostern gelingen kann.

Samstag, 19. April 2025 | Quelle: Hans-Jürgen Jaworski