
Eine Hommage an Catherine Deneuve
Der Flohmarkt von Madame Claire
Eine junge, attraktive Mutter macht sich ausgehfertig. Ihre kleine Tochter hat Angst, will nicht allein im Kinderzimmer schlafen. Sodass sie erst mit Hilfe von Plüschtieren und einem in einer wundervoll kitschigen Elefantenuhr mit Wackelkopf verborgenen Glockenspiel beruhigt werden muss. Claire Darling (Catherine Deneuve) wacht mitten in der Nacht auf. Sie hat ein Geräusch gehört und zündet sich erst 'mal eine Zigarette an, bevor sie im Dunkel ihrer hochherrschaftlichen Villa zwischen altertümlichem Interieur, die einem Pariser Antiquitätenhändler alle Ehren einbringen würde, nach der Ursache der Störung sucht.
Nachdem ihr das Frühstück serviert worden ist, fällt Claire in der festen Überzeugung, dass dieser schöne Sommertag ihr letzter auf Erden ist, den Entschluss, die Bewohner des kleinen Ortes Verderonne, nördlich der Hauptstadt gelegen in der Region Hauts-de-France, mit handgeschriebenen Plakaten auf einen so noch nicht erlebten Flohmarkt aufmerksam zu machen: sie verkauft alle Möbel, Antiquitäten und kostbaren Sammlerstücke, die sich im Laufe ihres Lebens in ihrem luxuriösen Landhaus angesammelt haben. Junge Männer, die am Wochenende im Steinbruch ihrer Familie arbeiten, helfen Claire beim Ausräumen. Sie scheint immer wieder geistige und körperliche Aussetzer zu haben, in denen sie sich an ihre Kindheit erinnert, etwa an die Eingangsszene mit der Elefantenuhr. Welche Claire, wieder zur Besinnung gekommen, vom Flohmarkttisch im Garten zurück in die Villa trägt.
Martine Leroy (Laure Calamy), Freund von Claires in Paris lebenden Tochter Marie (Chiara Mastroianni), die seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hat, wundert sich, zu welchen Spottpreisen die Kostbarkeiten verscherbelt werden. Er rettet einige der wertvollsten Stücke und ruft Marie zu Hilfe. Als Martine ein kleines Mädchen beobachtet, das neugierig, ja mit staunender Begeisterung zwischen all' den Kuriositäten herumläuft, erinnert er sich an die eigene Kindheit (Lewine Weber) mit Marie (Mona Goinard) und ihrem später im Steinbruch tödlich verunglückten Bruder Martin (Joseph Flamme, später Simon Thomas). Und an erstaunliche Erlebnisse mit den hier zum Verkauf anstehenden mechanischen Wunderwerken.
Als Marie nach zwanzig Jahren in ihr Zuhause zurückkehrt, ist sie über die Auktion, von der selbst private Fotoalben nicht ausgeschlossen sind, entsetzt und versucht zu retten, was noch zu retten ist. „Heute ist mein letzter Tag“ beharrt Claire, die sich daran zurück erinnert, wie einst ihr Gatte Claude (Olivier Rabourdin), der erfolgreichste Zementunternehmer im ganzen Department Oise, eine Menge Bargeld vor der Steuer versteckte und sie das Haus zu einem einzigartigen nostalgischen Kunstwerk gestaltete. Aus dem die hiervon überforderte Marie, zudem mit ihrer schönen, aber als gefühlskalt empfundenen Mutter (als junge, erlebnishungrige Claire: Alice Taglioni) ständig über Kreuz, frühzeitig floh.
Auch Amir (Samir Guesmi, als Jugendlicher: Amine Mejri), Maries früherer Freund, hat von der Auktion Wind bekommen und stoppt sie, als ganze Bündel alter, in Büchern und Antiquitäten versteckter Franc-Noten auftauchen. Amir hat einst den Arbeitsunfall, der bei einer Sprengung passierte und Martin das Leben kostete, überlebt. Claire hat zeitlebens ihrem Gatten die Schuld gegeben und als dieser zusammenbrach, bewusst nicht die Rettung gerufen, wie sie Marie gegenüber seinerzeit behauptete, nachdem Claude gestorben war. Viele Fragen aus der Vergangenheit tauchen auf, werden besprochen – und erstmals gesteht Claire eigene Fehler ein. Am Krankenbett der Klinik, in der sie nach einem Zusammenbruch eingeliefert worden ist, versöhnen sich Mutter und Tochter. Aber es bleiben noch Fragen offen. Da ist noch das echte Seerosen-Gemälde Monets in der Sakristei des Pfarrers Georges (Johan Leysen), der als junger Pater (Julien Charival) verbotenerweise mehr als nur ein Auge auf die schöne Claire geworfen – und es ihr offenbar versprochen hat. Als diese sich freiwillig einem Exorzismus-Ritus unterwerfen wollte.
Nicht nur das Verhältnis zwischen Claire und dem Pastor bleibt ungeklärt. Wie ein Roter Faden geistert der jährliche Rummel in Verderonne samt Gastspiel eines kleinen Circus durch den 94minütigen Film. Eine Tscherkessin (Michele Clement) spielt dabei eine zentrale, aber im Dunkel bleibende Rolle. Was freilich einem versöhnlichen Ende nicht im Wege stünde. Doch dann will die wieder genesene, glücklich daheim lebende Claire Teewasser aufsetzen – und löst eine gigantische Gasexplosion aus…
Nach dem 2013 erschienenen Debütroman Faith Bass Darling's Last Garage Sale der texanischen Journalistin und Reise-Schriftstellerin Lynda Rutledge hat Julie Bertuccelli die Geschichte einer göttlichen Eingebung in der Silvesternacht des Jahres 2.000 für die Leinwand adaptiert und nach Europa verlegt. Ursprünglich sollte Der Flohmarkt von Madame Claire eine Woche nach dem Filmstart in Frankreich (12. Dezember 2018) in Deutschland in einer OmU-Fassung herauskommen. Aber der Verleih Neue Visionen hat den Start auf Mai 2019 verschoben. Die deutsche Synchronfassung ist jetzt unter anderem in den beiden Bochumer Kinos Casablanca und Union zu sehen.
Der Flohmarkt von Madame Claire endet also mit einem Knalleffekt. Ein Grund zum Meckern? Ein versöhnlicher Schluss wäre mir lieber, weil dem Thema, Umgang mit den Dämonen der Vergangenheit, angemessener gewesen. Doch dann hätte die Kritik von einem Familienfilm mit üblicher Happy-End-Sauce geschrieben. Nun schreibe ich von einem konstruierten, aufgesetzt wirkenden Finale. Unterm Strich bleibt, typisch französisch, noch viel Raum für die eigene Phantasie. Und das ist auch gut so.