
30 Jahre Prinz Regent Theater Bochum
Der Reichsbürger
„Können sie beweisen, dass es den Staat gibt? Dass es die Bundesrepublik Deutschland gibt?“ fragt Wilhelm S. sein Publikum im weltweiten Netz und beantwortet die Frage sogleich selbst: „Deutschland gibt es, natürlich gibt es das. Aber den Staat Deutschland gibt es nicht.“ Björn Geske ist zurück in Bochum. Back to he roots sozusagen, lagen die Anfänge seiner künstlerischen Laufbahn doch auch am Rottstr5Theater, erinnert sei an „Zoo Story“ und „Richard III.“ Nun konnte ihn Hans Dreher für das von ihm inszenierte Monodram „Der Reichsbürger“ von Annalena und Konstantin Küspert ans Bochumer Prinz Regent Theater verpflichten – ein Gewinn für die am Premierenabend zu Recht umjubelte Auftaktinszenierung der neuen Spielzeit. Und ein Verlust zugleich: Der Potsdamer Schauspieler gehört parallel zur im Osten höchst populären Olsen-Bande in der Komödie Leipzig, sodass es nach den beiden Nachfolgeterminen am 22. und 23. September erst wieder Aufführungen mit ihm im November 2021 an der Prinz-Regent-Straße geben wird.
„Ich bin kein Reichsbürger, ich bin Selbstverwalter“ gibt der Alleinherrscher im „Reichsgebiet Wilhelm“ über sein Smartphone, das als Filmkamera und Mikrophon zugleich auf Augenhöhe in einer runden Lampenkonstruktion (Ausstattung: Clara Eigeldinger) steckt, bekannt. Wie ein Prepper hat er sich im bunkerähnlichen Keller von der Außenwelt abgeschottet, lebt von Dosen-Ravioli, schläft auf einem Feldbett und sondert täglich Botschaften aus wie: „Diesem Fake-Staat schulde ich nichts, keine Steuern, keine Treue, und schon gar nicht mein Leben und meine Sicherheit.“ Er glaubt, dass unser Land eine in den USA eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist und bestreitet die Rechtmäßigkeit unserer staatlichen Organe. Schließlich sei die Besetzung Deutschlands durch die vier alliierten Siegermächte nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur 1945 nie beendet worden, das Deutsche Reich lebe daher fort.

„Der Reichsbürger“, ein Auftragswerk des Theaters Münster, ist dort am 13. Februar 2018 von Julia Prechsl mit Wilhelm Schlotterer urinszeniert worden und inzwischen in der ganzen Republik zu sehen, am spektakulärsten vielleicht in Thomas Krupkas am 21. September 2019 im Schauspiel Essen herausgekommenen multimedialen Version mit Stefan Diekmann, die man daheim mit einer VR-Brille hautnah verfolgen kann. In Hans Drehers neunzigminütiger PRT-Inszenierung ist Björn Geske kein waffenstarrender Militaria-Sammler und auch kein selbsternannter Reichskanzler in Operettenuniform wie der Hildesheimer Rentner Norbert Schittke, einer von schätzungsweise 19.000 Reichsbürgern bundesweit. Diese Realitätsverweigerer, ideologisch verblendeten Sonderlinge, Verschwörungstheoretiker, Utopisten und radikalen Wutbürger bilden keine homogene Gruppe und lassen sich im Übrigen auch nicht so einfach in der rechten Ecke verorten.
Im Prinz Regent Theater überrascht Björn Geske mit durchaus linken Mainstream-Themen wie dem Trend zur Stadtflucht aufs Land, dem Wunsch nach Unabhängigkeit von globalen Konzernen und dem Bemühen um eine Selbstversorgung unter ökologischen Gesichtspunkten. Und sammelt mit realsatirischen Kommentaren etwa zum Personalausweis beim Publikum Sympathiepunkte, bevor er weltpolitische Manipulationen und staatliche Propaganda aufzudecken versucht mit Hilfe seiner Pinnwand-Materialsammlung und schließlich immer mehr Züge einer Paranoia aufweist. Die von Hans Dreher neben unerklärbaren Geräuschen und Stromausfällen in der von Julia-Mareen Korte verkörperten gesichtslosen Frau im weißen Bettlaken-Gewand visualisiert wird: die Alptraum-Erscheinung mit langem schwarzem Haarschopf, welcher Augen, Nase und Mund komplett verhüllt, könnte der Bildwelt des belgischen Surrealisten René Magritte entsprungen sein – oder asiatischen Horrorfilmen.
„Der Reichsbürger“ ist als hochaktuelles Stück programmatisch auf den Spielplan gesetzt worden zum dreißigjährigen Bestehen des Prinz Regent Theaters, das coronabedingt nicht groß gefeiert werden konnte. Immerhin sorgten, in Anwesenheit einer Schulklasse des Herner Pestalozzi-Gymnasiums, mit Nele Sommer und Maximilian Strestik das „Gretchen“ und der Titeldarsteller aus Drehers grandioser „Faust I“-Inszenierung vom September 2019, die unbedingt wiederaufgeführt gehört, für eine launig vorgetragene Chronik eines der ältesten „freien“ Theater im Revier. „Der Reichsbürger“ steht wieder am Mittwoch, 22. September, und Donnerstag, 23. September 2021 um jeweils 19:30 Uhr auf dem Spielplan, Karten unter prinzregenttheater.de. oder Tel. 0234 – 77 11 17.
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- Mittwoch, 22. September 2021, um 19:30 Uhr
- Donnerstag, 23. September 2021, um 19:30 Uhr