Düsteres Drama über mittelbaren Selbstmord
Des Teufels Bad
Update, Donnerstag (21.11.2024)
Weiterhin zu sehen im Casablanca und Union (OmU) Bochum sowie in der Galerie Cinema Essen.
Der Kino-Text
Eine junge Frau nimmt ihr schreiendes Baby und schreitet durch den Wald schnurstracks auf einen hohen Wasserfall zu. Sie hängt dem Kind ihr Amulett, ein christliches Kreuz, um und wirft es in den reißenden Strom. Ungerührt kehrt sie in das Dorf zurück und übergibt sich der Obrigkeit: „Ich hab‘ was zu gestehn.“ Erst werden ihr die Fußzehen abgehackt, dann übernimmt der Henker den blutigen Rest.
Oberösterreich, Mitte des 18. Jahrhunderts: Auf einem von tiefem, dunklem Wald umgebenen Hügel wird die Hingerichtete zur Schau gestellt – als Warnung. Auch für die junge Frau, die sich für ihre bevorstehende Hochzeit gerade einen bunten Früchtekranz geflochten hat. Agnes (grandioses Spielfilmdebüt der österreichischen Sängerin und Komponistin Anja Plaschg) betrachtet die Tote mit einer Mischung aus Mitleid und Furcht.
Gefühlskalte Welt
Ahnt sie doch, dass sie sich in der gefühlskalten Welt ihres künftigen Gatten Wolf (der Kabarettist David Scheid) und dessen eifersüchtiger Mutter Gänglin (Maria Hofstätter) nicht heimisch fühlen wird. Agnes legt der Tradition entsprechend vor der Hochzeitsnacht einen menschlichen Finger, woher sie diesen auch immer hat, unters Brautbett: der soll in Kombination mit anderen archaischen Bräuchen wie dem Hühnerkopf-Schlagen zur gesegneten Mutterschaft führen.
Doch Wolf verweigert zunächst und dann selbst in der vielbeschworenen Vollmondnacht den Beischlaf in der alten, einsam an einem Karpfenteich gelegenen steinernen Kate, in die das junge Paar ziehen muss, da sein älterer Bruder als Erstgeborener den elterlichen Hof allein bewirtschaftet. Weil die Schwangerschaft ausbleibt, nimmt Mutter Gänglin immer stärker das Heft in die Hand. Als auch das mehrfache tägliche Vaterunser im Herrgottswinkel und sogar bei der Essenszubereitung nicht hilft, zieht sich die tiefreligiöse und hochsensible Agnes immer mehr in sich selbst zurück.
Freudloses Erdendasein
Eine Blutegel-Kur beim Bader soll Agnes die Schwermut austreiben, was ebenso wenig Erfolg zeitigt wie der durch den Nacken gezogene Faden, an dem das Gift aus dem Körper entrinnen soll. Die von Alpträumen heimgesuchte Agnes verfällt zunehmend dem Wahnsinn, weil sie ihre Mutterrolle nicht erfüllt. Anstatt den Grund beim sich ihr verweigernden Wolf zu suchen, will sie ihrem freudlosen Erdendasein selbst ein Ende bereiten.
Agnes hat mitbekommen, dass der Dorfpfarrer einen Selbstmörder nicht auf dem Friedhof bestatten will, da der Suizid aus Sicht der Kirche ein schlimmeres Verbrechen ist als Mord. Weil letzterer nach einer Beichte des Täters durch den Kirchenmann vergeben werden kann. So plant Agnes eine gottlose Tat, nach der sie – zumindest nach Auffassung der Kirche – dennoch in den Himmel kommen kann…
Suicide by Proxy
Veronika Franz und Severin Fiala schlagen in ihrem zweiten Spielfilm ein bisher unbeleuchtetes Kapitel europäischer Geschichte auf, das auf vierhundert historischen Gerichtsprotokollen aus Österreich und Deutschland zum mittelbaren Selbstmord basiert. Diese hatte die US-Historikerin Kathy Stuart für ihr Sachbuch „Suicide by Proxy – The Unintended Consequences of Public Exetucions in Eighteenth-Century Germany“ ausgewertet. Das reale Vorbild der Protagonistin Agnes ist Eva Litzfeller, die sich 1762 nach einem Kindesmord der Justiz stellte. „Des Teufels Bad“ zeichnet darüber hinaus ein universelles Bild vom gesellschaftlichen Umgang mit Außenseitern und Tabus.
Vielfältig ausgezeichnet
Nach der Uraufführung am 20. Februar 2024 im Wettbewerb der 74. Berlinale wurde Kameramann Martin Gschlacht mit dem Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung ausgezeichnet: Seine archaischen Bilder dieses auf 35mm gedrehten dunklen Films prägen „Des Teufels Bad“ ebenso wie die herausragende schauspielerische Leistung von Anja Plaschg, die unter ihrem Künstlernamen Soap&Skin zudem die Filmmusik komponierte – und dafür ursprünglich auch vorgesehen war, bis die bereits gecastete Hauptdarstellerin aus terminlichen Gründen absagen musste. In der Rolle der Mutter Gänglin glänzt Maria Hofstätter, die selbst in einer sehr religiösen, oberösterreichischen Bauernfamilie aufgewachsen ist und dem Filmteam zahllose Hinweise geben konnte.
Das 121-minütige, mit acht Österreichischen Filmpreisen ausgezeichnete Historiendrama „Des Teufels Bad“ ist vom 1. November 2020 bis zum 29. Januar 2023 in Litschau, der nördlichsten, an das tschechische Südmähren grenzenden Stadt Österreichs, sowie in Nordrhein-Westfalen gedreht worden und startet hochdeutsch untertitelt am 14. November 2024 in den Kinos. Bei uns zu sehen im Metropolis Bochum, im Eulenspiegel Essel sowie im Metropol Düsseldorf.