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Nico Holonics als Oskar Matzerath in der „Blechtrommel“ am Berliner Ensemble.

Berliner Ensemble lädt zum Stream der Woche

Die Blechtrommel von Günter Grass

Ab Karfreitag, 10. April 2020, zeigt das Berliner Ensemble (BE) in seinem wöchentlichen Online-Stream auf „BE at home“ das Monodram Die Blechtrommel nach dem gleichnamigen Roman von Günter Grass (mit englischen Untertiteln). Regisseur und Bearbeiter Oliver Reese erzählt die Geschichte des ewigen Trommlers in einer ganz auf die Perspektive der Hauptfigur zugeschnitten Fassung, gespielt von Nico Holonics schon auf dem Grünen Hügel in Recklinghausen im Rahmen der Ruhrfestspiele 2017.

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Für New York Times-Feuilletonredakteur Matthew Anderson zählt diese Inszenierung nach einem USA-Gastspiel zu den Theaterhighlights des 2019. Die Aufzeichnung entstand in der allerletzten Vorstellung, die noch vor Corona am 12. März 2020 gespielt werden konnte, und dokumentiert einen besonderen Abend. Im Rahmenprogramm lädt das BE zu einem digitalen Publikumsgespräch am Mittwoch, den 15. April 2020, um 21 Uhr ein. Alle Interessenten können Hauptdarsteller Nico Holonics und Regisseur Oliver Reese direkt Fragen zur Inszenierung stellen und diese erzählen vom Entstehungsprozess der Produktion, unter anderem wie sie Günter Grass während der Proben besucht haben. Fragen zur „Die Blechtrommel“ können bereits vorab per E-Mail an geschickt werden.

Nico Holonics als Oskar Matzerath in der „Blechtrommel“ am Berliner Ensemble.

In seinem 1959 erschienenen Debütroman Die Blechtrommel über die Verführbarkeit der Menschen und nicht zuletzt der als persönliche Schuld empfundenen eigenen Verführung in Nazi-Deutschland erzählt Günter Grass die Geschichte der kaschubischen Familie Matzerath von der Jahrhundertwende bis Mitte der Fünfziger Jahre – aus der Sicht des in vielfacher Hinsicht außergewöhnlichen Kindes Oskar, das Mitte der Zwanziger Jahre in Danzig bereits als frühreifer Säugling geboren wird. Im zarten Alter von drei Jahren bekommt der Knabe – und Stolz gleich zweier mutmaßlicher Väter, denn sowohl Alfred Matzerath als auch Oskars Onkel Jan Bronski wollen ihn mit Agnes Matzerath gezeugt haben – eine blecherne, weiß-rote Trommel geschenkt, die fortan sein unüberhörbares Markenzeichen ist.

Oskar ist nicht nur äußerlich ein ungewöhnliches Kind, dessen Wachstum nach einem von ihm selbst arrangierten Treppensturz ins Stocken geraten ist: Der Junge hat die Gabe, mit seiner hohen Stimme Gläser aller Art zerspringen zu lassen – wovon er stets kräftig Gebrauch macht bis hin zu veritablen Kirchenfenstern. Zwar kleinwüchsig, reift Oskar dennoch körperlich heran. Er schläft mit seiner Stiefmutter Maria, der geilen Nachbarin Lina Greff sowie der kleinen somnambulen Roswitha Raguna und sammelt auch sonst zumeist obszöne Lebenserfahrungen. Aber auch geistig ist der Zwerg, der auf seine beiden väterlichen Freunde, den Liliputaner Bebra und den Spielzeughändler Markus bauen kann, auf der Höhe seiner Zeit und gibt kluge, hintergründig-witzige Kommentare im einlullenden Märchenton von sich: „Es war einmal ein leichtgläubiges Volk, das glaubte an den Weihnachtsmann, aber der Weihnachtsmann war der Gasmann.“

David Bennent als Oskar Matzerath und Katharina Thalbach als Stiefmutter Marie: Als Volker Schlöndorff 1979 den Roman verfilmte, war „Die Blechtrommel“ längst zum ersten Welterfolg der deutschen Nachkriegsliteratur avanciert, der nicht unwesentlich zum Literatur-Nobelpreis des „kaschubischen Dichters“ Günter Grass beigetragen hat. Auch Volker Schlöndorffs kongeniale, mit einem enormen Staraufgebot verwirklichte Adaption unter andem mit Mario Adorf, Angela Winkler, Andrea Ferreol und Charles Aznavour wurde ein Welterfolg – und erhielt als erster bundesdeutscher Film der Nachkriegszeit die „Goldene Palme“ in Cannes.

Eine wie auch immer geartete Dramatisierung der Blechtrommel muss auch Jahrzehnte nach der Verfilmung mit den unvergesslichen, inzwischen geradezu ikonischen Leinwand-Bildern leben. Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensemble, hat sich in seiner von ihm selbst inszenierten Fassung auf die beiden ersten Teile des Romans beschränkt und sich damit auf Oskars Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus konzentriert.

Eine ausgehobene Grube rechterhand ist dann auch zentrales Requisit der Bühne Daniel Wollenzins neben einem überdimensionierten Stuhl, der die Kleinwüchsigkeit des Protagonisten Oskar optisch unterstreicht. „Wie fange ich an?“: Nico Holonics fällt erst einmal aus der Rolle des Ich-Erzählers. Der Schauspieler, dem Laura Krack ein Kostüm im Stil der Knickerbocker-Mode der Dreißiger Jahre verpasst hat, hält sich mit solchen epischen Distanzierungsmitteln freilich nicht lange auf. „In medias res“ lautet vielmehr seine Devise und die Oliver Reeses: Im fliegenden Wechsel von der ersten zur dritten Person geht es zwei Stunden heftig zur Sache, Regisseur und Schauspieler lassen keinen Spielraum für Reflektionen. Nico Holonics, der nicht nur in die Rolle Oskars schlüpft, sondern sowohl den Part des Erzählers als auch des kommentierenden Ein-Personen-Chors übernimmt, steht auf der Stelle, steigt auf den Stuhl, balanciert halsbrecherisch mit dessen Lehne, hechtet über die sandige, beim Stuhl-Rücken Staub aufwirbelnde Bühne.

Im nächsten Moment dirigiert der Leipziger des Jahrgangs 1983, der auch als furioser Geräuschemacher fungiert, die Bühnentechnik wie ein Maestro vom Pult sein Orchester, etwa wenn zur akustischen Untermalung „Heil“-Rufe aus dem Off benötigt werden. Der Ernst-Busch-Absolvent, inzwischen unter anderem im „Tatort“ auch häufiger auf dem Bildschirm zu erleben, lässt die Schlöndorff-Bilder verblassen – durch unmittelbares, körperbetontes Spiel, das er mimisch, aber auch lautmalerisch sehr anschaulich unterlegt.

Berliner Ensemble: BE at home, das digitale Angebot in Zeiten wie diesen.

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  • Mittwoch, 15. April 2020, um 21 Uhr
Freitag, 10. April 2020 | Quelle: Pitt Herrmann