Düsterer Verdi mit Weltklasse-Solisten
„Die Macht des Schicksals“ in Essen
In seiner ersten Oper einer neuen Art, so der Komponist Giuseppe Verdi über „La forza del destino“, steht nicht mehr die möglichst wirkungsvolle Abfolge von Musiknummern im Mittelpunkt, sondern die Darstellung von Ideen: Ist es doch die Macht des Schicksals, die in dem am 10. November 1862 im Kaiserlichen Opernhaus St. Petersburg uraufgeführten Vierakter das Leben nicht nur der Protagonisten, sondern das ganzer Völker bestimmt.
Die düsterste aller Opern Verdis ist eine Auftragsarbeit des russischen Zarenhofes für den Petersburger Impresario Mauro Corticelli und seinen berühmten Tenor Enrico Tamberlik. Sie hat die slowakische Regisseurin und Performerin Sláva Daubnerová in der Essener Aalto-Oper neuinszeniert unter der am Premierenabend des 9. November 2024 völlig zu Recht mit Ovationen gefeierten musikalischen Leitung eines naturgemäß Verdi-kundigen Italieners, des Essener Generalmusikdirektors Andrea Sanguinetti.
Spirale aus Hass und Verrohung
„Die Macht des Schicksals“ entstand auf Verdis Landgut Sant'Agata in politisch brisanter Zeit: der Patriot Verdi, der sich nach dem für Habsburg verlorenen Krieg gegen das Königreich Sardinien-Piemont für ein neues vereinigtes Königreich Italien einsetzte, vertrat bis zur Wahl Vittorio Emanueles im Jahr 1865 als Abgeordneter seinen Heimatort Busseto im italienischen Parlament. Wahrscheinlich erklärt sich so Verdis Sicht auf eine Menschheit, die unfähig ist, sich aus Konventionen und Traditionen zu befreien. Ja, die den Einzelnen in der Masse als unfähig erachtet, sich der aus dem Krieg resultierenden Spirale aus Hass und Verrohung zu befreien.
Was sich – leider – ganz heutig anhört. Wo nur noch die überarbeitete Mailänder Fassung Verdis mit der sinfonischen Ouvertüre und des Librettisten Antonio Ghislanzoni mit einem etwas versöhnlicheren Schluss, uraufgeführt am 20. Februar 1869 im Teatro alla Scala, auf den Spielplänen steht, so jetzt auch in Essen: Geradezu aberwitzige Zufälle bestimmen das Leben dreier hoffnungsvoller junger Menschen, die durch einen tödlichen Unglücksfall aus ihrem – aus heutiger Sicht freilich nur scheinbar - geordneten Dasein gerissen werden.
Hinterhältiger Mord
Bei Sláva Daubnerová ist der Marchese di Calatrava (Andrei Nicoara) nicht unglücklich im Handgemenge ums Leben gekommen, sondern von seiner Tochter Leonora di Vargas (Astrik Khanamiryan) von hinten erschossen worden. Sie flieht zusammen mit ihrem Geliebten Don Alvaro (der venezuelanische Ausnahme-Tenor Jorge Puerta als Gast von der Deutschen Oper Berlin) vor den Racheschwüren ihres Bruders Don Carlo di Vargas (der gefragte italienische dramatische Bariton Massimo Cavalletti als Gast).
Bei Verdi will er den vermeintlichen Mörder auch deshalb töten, um die Ehre seiner spanischen Adelsfamilie wiederherzustellen. Denn Don Alvaro stammt weder aus derselben gesellschaftlichen Schicht wie die Familie Vargas noch ist der adlige Spross eines südamerikanischen Inka-Geschlechts überhaupt ein Spanier. Was beim woken Zeitgeist heute natürlich keine Rolle mehr spielen darf, wie auch Preziosilla keine Angehörige eines fahrenden Volkes, um das Z-Wort zu vermeiden, mehr sein darf: Bettina Ranch geistert im hochgeschürzten gelben Kleid (Kostüme: Cedric Mpaka) als Amazone mit automatischem Gewehr und reichlich Sex-Appeal durch die knapp vierstündige Aufführung.
Stalingrad-Mahnung
Das Schicksal will es, dass sich im Krieg die Wege der Kontrahenten unter der monumentalen Stalingrad-Statue „Mutter Heimat ruft“ von Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch und Nikolai Wassiljewitsch Nikitin unerkannt kreuzen: Alvaro rettet Don Carlo das Leben. Doch als dieser seinen Retter im Kloster des Padre Guardinano (der weltweit erfolgreiche italienische Bass Roberto Scanduzzi als Gast) aufspürt, in dem auch Leonora unerkannt als Eremitin lebt, kommt es zum blutigen Showdown-Finale…
Evviva Verdi: Sein Vierakter „La forza del destino“ fordert den Dacapo-reifen Gast-Solisten, noch zu nennen die slowenische Mezzosopranistin Tina Drole von der Oper Köln, die für die erkrankte Marie-Helen Joël in der Partie der Curra einsprang, den vorzüglichen Ensemblemitgliedern sowie dem einmal mehr überragenden Opernchor Höchstleistungen ab, vorbildlich unterstützt, wenn nicht gar getragen, vom Generalmusikdirektor am Pult.
Augen zu und durch
Apropos tragen: Die 44-jährige Regisseurin ist offenbar der Meinung, dass auf den Brettern immer etwas passieren muss in einer Zeit, in der sich die Menschen aufgrund der ständigen medialen Befeuerung nicht einen Moment konzentrieren können. So ist in der Klosterszene des vierten Aktes ein ganzes Heer von Statisten in Mönchskutten damit beschäftigt, Bücher herumzuschleppen. Volker Hintermeiers von besagter Statue beherrschte Bühne ist zum Parkett hin mit einem transparenten Gaze-Vorhang verschlossen, auf denen Projektionen des Videodesigner Andreas Deinert leider schon während der Ouvertüre die spätere Handlung vorwegnehmen und auch sonst nur vom Eigentlichen ablenken. Augen zu und durch: Verdis grandiose Musik und ihre großartige Interpretation machen einen Besuch der zweiten Aalto-Neuproduktion dieser Spielzeit zu einem Muss.
Die weiteren Vorstellungen im Essener Aalto-Theater
- Sonntag, 17. November 2024, 16: 30 Uhr
- Samstag, 23. November 2024, 18 Uhr
- Samstag, 30. November 2024, 19 Uhr
- Donnerstag, 19. Dezember 2024, 19:30 Uhr
- Sonntag, 12. Januar 2025, 18 Uhr
- Mittwoch, 5. Februar 2025, 19:30 Uhr
- Sonntag, 2. März 2025, 18 Uhr
- Freitag, 28. März 2025, 19:30 Uhr
- Donnerstag, 24. April 2025, 19:30 Uhr
- Einführung jeweils 45 Minuten der Vorstellung
Karten und Nachgespräche
Karten (11 bis 57 Euro) sind erhältlich unter theater-essen.de oder Tel. 0201 81 22-200.
Nachgespräch am Samstag, 23. November 2024, Aalto-Cafeteria Blaue Stunde am Montag, 25. November 2024, 19:30 Uhr, Aalto-Theater mit Prof. Dr. Elisabeth Schmierer (Vortrag), Boris Gurevich (Klavier) und Solisten des Ensembles.
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- Samstag, 23. November 2024, um 18 Uhr
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- Donnerstag, 19. Dezember 2024, um 19:30 Uhr
- Sonntag, 12. Januar 2025, um 18 Uhr
- Mittwoch, 5. Februar 2025, um 19:30 Uhr
- Sonntag, 2. März 2025, um 18 Uhr
- Freitag, 28. März 2025, um 19:30 Uhr
- Donnerstag, 24. April 2025, um 19:30 Uhr