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v.l. Guido Thurk, Mike Kühne, Vesna Buljevic und Franziska Ferrari.

Die Mitwisser

Post-Alexa-Dystopie am WLT

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„Ich schmeiß mich weg!“: Theo Glass (Mike Kühne) ist begeistert. Josef K. (Guido Thurk) macht sein Leben und das seiner zunächst eher entgeisterten Gattin Anna (Svenja Marija Topler) einfacher. Nicht nur, dass er sich seinen eigenen Stuhl baut, auf dem er künftig wartet, bis ihn ein neuer Auftrag erreicht, er kann auch Kaffee kochen, Vorschläge zur Optimierung des Haushalts unterbreiten und auf das Stichwort „Astern“ Gruseliges von Gottfried Benn zitieren. Besagter Josef K. – „wie bei Kafka“ – hört freilich auf den Namen Kwant und tritt erst seine segensreiche Tätigkeit an, als Theo die Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterzeichnet. Die kommen dermaßen verklausuliert und als so dickes Buch daher, dass er sogleich kapitulierend zum Kugelschreiber greift.

Anna ist zwar zunächst noch skeptisch, ob es wirklich einer 1.300 Euro teuren neuen Kaffeemaschine bedarf, aber da Herr Kwant ist als neuer persönlicher Assistent der Familie auch beruflich einsetzbar ist und keinen Cent kostet, darf es schon etwas mehr Luxus sein als bisher gewohnt. Das Leben kann so einfach sei: Herr Kwant weiß alles, kann alles, kocht nur noch Lieblingsgerichte, übernimmt mit Theos Kreditkarte alle Bestellungen auch für den netten Nachbarn Fred Jäger (Tobias Schwieger), ist immer anwesend und ahnt alles voraus. Social Media in menschlicher Form: Herr K. kennt seine Pappenheimer bald besser als diese sich selbst.

Theo, Senior-Enzyklopädist im Int. Institut des allgemeinen Wissens, trainiert im Büro bald nur noch seine körperliche Fitness: Herr K. übernimmt vollständig seine Aufgaben und erledigt sie in Rekordzeit, was im Institut zu einer kräftigen Normenerhöhung führt und ihn letztlich bei der Institutschefin Fürst (Vesna Buljevic) überflüssig macht. So geht es wenig später auch seiner Kollegin Sabrina David (Franziska Ferrari), die sich natürlich auch einen Herrn Kwant zugelegt hat. Mit dem Unterschied, dass sie diesen nun für sich arbeiten lässt: Sabrina verwandelt sich in die Schminktipp-Influencerin Babsi Bunt und kann sich bald weder vor Followern noch vor zahlungskräftigen Sponsoren retten.

Als Anna schwanger ist, weiß es ihr Herr K. noch vor ihr: die Kwant-Klone übernehmen die Regie in Haushalt, Beruf – und nun auch im Bett. Da zeigt der „Gefällt mir“-Daumen kollektiv nach oben. Theo will aussteigen, aber er hat seine Totalüberwachung eigenhändig unterschrieben. Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus…

Philipp Löhle hat mit „Die Mitwisser“, das Auftragswerk für das Düsseldorfer Schauspielhaus ist dort in der Inszenierung der Hausregisseurin Bernadette Sonnenbichler am 28. April 2018 uraufgeführt worden, ein bei dieser beängstigenden Thematik erstaunlich lockeres, komödiantisches Well-Made-Play geschrieben über unseren gefährlich lockeren Umgang mit Big Data in einer durch und durch digitalisierten Welt. In der die Menschen freiwillig jegliche Kontrolle über ihr Leben abgegeben haben.

Seit vielen Jahren ist Philipp Löhle einer der renommiertesten deutschsprachigen Dramatiker. Der Durchbruch gelang ihm mit seinem 2007 am Schauspielhaus Bochum uraufgeführten kapitalismuskritischen Stück „Genannt Gospodin“, für das er ausgerechnet mit dem Förderpreis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ausgezeichnet wurde. 2008 gewann er mit „Lilly Link“ den Jurypreis des Heidelberger Stückemarkts, 2012 mit „Das Ding“ den Publikumspreis der Mülheimer Stücketage. Seine Post-Siri- und Post-Alexa-Dystopie „Die Mitwisser“ hat Markus Kopf jetzt am Westfälischen Landestheater in Manfred Kaderks schlichter Simultanbühne herausgebracht, umjubelte Premiere der einschließlich Pause gut zweistündigen Inszenierung war am 1. Februar 2020 am Europaplatz in Castrop-Rauxel. Das bestens aufgelegte siebenköpfige Ensemble, noch zu nennen Mario Thomanek, verkörpert unsere unaufhaltsam digitale Welt auf höchst unterhaltsame Weise analog. Entbehrlich: die nervigen und dabei auch noch gesundheitsschädlichen Stroboskoplichtblitze bei allen Szenenwechseln.

Die nächsten Vorstellungen im WLT-Studio am Europaplatz in Castrop-Rauxel: 7. und 8. Februar 2020 jeweils um 20 Uhr, 9. Februar um 18 Uhr, 10. und 11. Februar jeweils um 20 Uhr. Karten unter westfaelisches-landestheater.de oder Tel. 02305 – 97 80 20.

Sonntag, 2. Februar 2020 | Autor: Pitt Herrmann