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Zwischen Mahin (Lily Farhadpour) und dem Taxifahrer Faramarz (Esmail Mehrabi) stimmt die Chemie.

Subtiler Widerstand iranischer Frauen

Ein kleines Stück vom Kuchen

Update, Donnerstag (29.8.2024)

Läuft weiterhin in der Schauburg Dortmund und im Astra Essen.

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Der Film-Text

Mahin (Lily Farhadpour) hat vor dreißig Jahren ihren Mann bei einem Autounfall verloren. Seitdem führt die 70-jährige Witwe ein zurückgezogenes Leben in Teheran, wie es vom iranischen Mullah-Regime vorgeschrieben ist. Allein die monatlichen Treffen mit ihren Freundinnen, die zumeist ihr Schicksal der Einsamkeit trister abendlicher Fernseh-Unterhaltung teilen, bieten Abwechslung.

Beim geselligen Nachmittagstee wird groß aufgetischt, über gesundheitliche Probleme gesprochen, so zeigt eine Freundin Bilder ihrer Darmspiegelung, viel gelacht und über die Männer gelästert. Denen sich alleinstehende oder verwitwete Frauen freilich nicht nähern dürfen, in der Öffentlichkeit schon gar nicht. Aber auch nicht in den eigenen vier Wänden, jedenfalls wenn frau eine so sittenstrenge wie neugierige Nachbarin hat, deren Gatte im Staatsdienst arbeitet und nicht zögern würde, bei der Sittenpolizei Anzeige zu erstatten.

Diese wird in einer Parkanlage aktiv und verhaftet junge Frauen, weil sie ihr Kopftuch nicht den Regeln entsprechend getragen haben. Mahin telefoniert gerade mit ihrer seit zwanzig Jahren in Europa lebenden Tochter, welche sie nicht besuchen kann, weil sie in ihrem Alter kein Visum mehr erhält. Sie schreitet mutig ein und kann zumindest eines der Mädchen, das sich heimlich mit ihrem Freund verabredet hat, vor dem Zugriff bewahren.

Ungezwungenes Verhältnis

Mahin hatte zuvor das Café eines Hotels besucht, in dem zur Schah-Zeit westliche Tanzmusik lief und ein ungezwungenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern herrschte. Da sie in Ermangelung eines Smartphones die nur aus einem QR-Code bestehende Karte nicht lesen konnte, betritt sie nun ein Restaurant für Rentner, um eine Kleinigkeit zu essen. An einem der Tische fällt ihr ein Mann auf, der trotz seines Alters noch berufstätig ist – als Taxifahrer.

Kinofilm: Ein kleines Stück vom Kuchen. Mahin (Lily Farhadpour, r.) hat sich für eine junge Frau eingesetzt, die beim Spaziergang durch einen Park von der Sittenpolizei verhaftet werden sollte, weil sie ihr Kopftuch nicht in vorgeschriebener Weise getragen hat.

Mahin legt es darauf an, sich von ihm nach Hause fahren zu lassen – und nimmt mutig vorn auf dem Beifahrersitz Platz. Die beiden kommen so – ganz und gar unüblicherweise – miteinander ins Gespräch und sie lädt den, wie sich später herausstellt, gleichaltrigen Faramarz (Esmail Mehrabi) zum Essen in ihr Haus ein. Er willigt ein, muss sein Fahrzeug aber eine Straßenecke entfernt abstellen und der neugierigen Nachbarschaft wegen durchs Gartentor eintreten.

Mahin lebt förmlich auf, holt eine sorgsam versteckte Flasche Wein aus dem Keller. Sie sei früher Krankenschwester gewesen, während Faramarz erklärt, noch arbeiten zu müssen, weil seine Rente nicht ausreicht, die er als einst im Krieg verwundeter Soldat erhält. Der lange entbehrte Alkohol lockert die Zungen und beide freuen sich auf eine sicherlich unvergessliche Nacht der Nächte…

„Ein kleines Stück vom Kuchen“ ist bereits die dritte gemeinsame Arbeit des iranischen Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha und nach „Ballade von der weißen Kuh“ (2021) der zweite Film, der auf der Berlinale uraufgeführt worden ist. „My Favorite Cake“, so der internationale Titel, zeichnet ein authentisches Bild des alltäglichen Lebens iranischer Frauen und erzählt mit leisem Humor die gefühlvoll-melancholische Geschichte einer romantischen Begegnung zweier einsamer Senioren.

Subtiler Widerstand

Die 96-minütige Tragikomödie über den subtilen Widerstand vor allem von mutigen Frauen gegen das verbrecherische Regime des selbsternannten Gottesstaates ist am 16. Februar 2024 im Wettbewerb der 74. Berlinale uraufgeführt und mit dem Preis der Ökumenischen Jury sowie dem Fipresci-Preis der int. Filmkritik ausgezeichnet worden. Die nicht das Regisseur-Duo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha entgegennehmen konnte, weil ihm das Regime zuvor die Pässe entzogen hatte. So verlas Hauptdarstellerin Lily Farhadpour, die selbst drei Monate im Gefängnis Evin einsitzen musste im Rahmen einer Verhaftungswelle unabhängiger Journalisten, ein Statement der beiden.

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Zum Kinostart am 11. Juli 2024 zu sehen im Casablanca Bochum, im Filmstudio Glückauf Essen, in den Schauburg-Kinos Dortmund und Gelsenkirchen sowie im Bambi Düsseldorf.

Donnerstag, 11. Juli 2024 | Autor: Pitt Herrmann