
Passend zur Neuauflage: 'Das fliegende Klassenzimmer'
Erich Kästner in der Erstverfilmung von 1954
In der im Hochsommer auf einer grünen Wiese am Fuß der Zugspitze geschriebener Weihnachtsgeschichte „Das fliegende Klassenzimmer“, die 1933 erschien und den Untertitel „Schul-Roman für Kinder“ trägt, gibt sich der Ich-Erzähler Erich Kästner im zweiteiligen Vorwort sowie im Nachwort breiten Raum. Was wohl vor allem biographisch zu deuten ist: die Weimarer Republik, in der die sich über zwölf Kapitel erstreckende Handlung spielt, war als erste parlamentarische Demokratie in Deutschland mit den Erfolgen der Nationalsozialisten dem Untergang geweiht und mit dem Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 endgültig Geschichte.
Der in New York geborene Jonathan „Johnny“ Trotz (Peter Kraus) wird, nachdem sich seine Eltern getrennt haben, als Vierjähriger in einem Dampfer nach Hamburg gesetzt. Aber nicht wie versprochen von den Großeltern abgeholt, weshalb sich der Kapitän (Arno Ebert) erbarmt und den Jungen in die Obhut seiner verheirateten Schwester gibt. Als Zehnjähriger landet Johnny, der spätere Verfasser des Theaterstücks „Das fliegende Klassenzimmer“, in Kirchberg, im Internat des Johann-Sigmund-Gymnasiums.
Wo er die Stube mit sehr unterschiedlichen Altersgenossen teilt, die bald Freunde werden: der stets hungrige Matthias „Matz“ Selbmann (Bert Brandt) will einmal Profiboxer werden, weshalb er es verkraften kann, in der Schule keine Leuchte zu sein. Ihm hilft der so kluge wie schmächtige Uli von Simmern (Knut Mahlke), der stets Opfer von Spott und – würde man heute sagen – Mobbing der „Externen“ ist. Dabei handelt es sich um Schüler, die bei ihren Eltern im (fiktiven) Ort wohnen und nicht im Internat. Sebastian Frank (Axel Arens) gehört noch dazu, Rudi Kreuzkamm (Michael von Welser), der Sohn des Deutschlehrers (Bruno Hübner), sowie der Primus der Tertia, Martin Thaler (Peter Tost), ein begnadeter (Bühnen-) Maler.
Ein alter Streit bricht wieder aus
In eine Theaterprobe platzt die Nachricht, die Realschüler um den Anführer der Externen, Egerland (Bernhard von der Planitz), hätten Rudi Kreuzkamm überfallen, als dieser die Diktathefte seinem „Alten“ bringen wollte. Ein alter Streit ist wieder ausgebrochen, den die Schüler seit Generationen austragen, wie ein nur „Nichtraucher“ genannter Mann (Paul Klinger), der in einem entsprechend ausgeschilderten, ausrangierten Eisenbahnwaggon haust und in der Vorstadtkneipe „Zum letzten Knochen“ Klavier spielt, weiß. Und der dafür sorgt, dass es statt einer Massenkeilerei nur einen Zweikampf gibt zwischen Matz Selbmann und Heinrich Wawerka (Horst Dieter Bauer).

Den Ersterer zwar gewinnt, aber da die Realschüler wortbrüchig werden, suchen Martin, Johnny und Matthias nach dem Entführten und befreien Kreuzkamm aus dem Egerland-Keller. Die Diktathefte sind freilich nur noch ein Häuflein Asche. Der Hauslehrer Johann „Justus“ Bökh (Paul Dahlke) empfängt die arg geschundene, aber letztlich erfolgreiche Truppe in seinem Arbeitszimmer. Anders als vom so dienstbeflissenen wie arroganten Primaner Theodor (Peter Vogel), nur „der Schöne“ genannt, erwartet, billigt Justus nicht nur den klaren Verstoß gegen die Heimordnung, sondern lädt die Jungs zu Kakao und Kuchen ins Turmzimmer ein.
Mutprobe mit Fallschirmabsprung
Wo er ihnen eine 20 Jahre alte Geschichte aus der eigenen Schulzeit hier im Internat erzählt – von einer großen, opferbereiten Freundschaft. Leider sei der Freund Robert, nachdem er Gattin und Kind verlor, spurlos verschwunden. Als, angestiftet vom Externen Georg Kunzendorf, der schmächtige Uli im Papierkorb unter der Klassenzimmerdecke baumelt, wird der Deutschlehrer Prof. Kreuzkamm grundsätzlich: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ Der so gedemütigte Uli lässt sich zu einer Mutprobe hinreißen, einem Fallschirmabsprung von der hohen Turnleiter.
Der „Nichtraucher“, der sich bald als vermisster Freund Robert entpuppt und eigentlich Mediziner ist, leistet Erste Hilfe bei Uli. Dessen Beinbruch stellt sich als halb so schlimm heraus. Sodass Oberstudiendirektor Prof. Dr. Balduin Grünkern (Herbert Kroll) die Schulgemeinde nach einer gelungenen Weihnachtsfeier vor den Eltern frohgemut in die Ferien schicken kann. Martin Thaler freilich muss in Kirchberg bleiben: Sein Vater (Willy Reichert) ist arbeitslos und kann die acht Mark Reisekosten nicht aufbringen. Justus Bökh, der im „Letzten Knochen“ gerade seinem alten neuen Freund Robert die vakante Stelle des Schularztes offeriert hat, befragt Martin so hartnäckig, bis dieser mit der ihm peinlichen Wahrheit herausrückt. Mit einem Zwanzig-Mark-Schein in der Tasche gibt’s auch für die Familie Thaler ein fröhliches Weihnachtsfest…
In der ersten Verfilmung seines Romans durch Kurt Hoffmann, die am 2. September 1954 in München Premiere feierte, tritt Erich Kästner höchstpersönlich als Erzähler auf, der mitten im Sommer bei 39 Grad Celsius mit der Zigarette im Mund auf einer Wiese sitzt und an der Weihnachtsgeschichte schreibt, bis ihn das Kalb Eduard anstubst und mit ihm nach Kirchberg trottet. Naturgemäß ist in den 1950er Jahren der Lehrer eine Autoritätsperson und kein Kumpeltyp wie in späteren Verfilmungen, Paul Dahlke gibt den „Justus“ entsprechend kurz angebunden und streng. Dafür darf Bruno Hübner als wunderbar trockenhumoriger Deutschlehrer Prof. Kreuzkamm um so selbstironischer sein.
Genrespezifische Freiheiten genommen
Wenn ein Romancier auch Verfasser des Drehbuchs ist, kann man ihm schlecht vorwerfen, auf Werktreue geachtet zu haben. Erich Kästner hat sich durchaus genrespezifische Freiheiten genommen. So bastelt Johnny für seinen Stiefvater ein Buddelschiff als Weihnachtsgeschenk, der schöne Theodor scharwenzelt um die Krankenschwester Beate (Heliane Bei) herum, die längst auch ins Blickfeld des „Nichtrauchers“ geraten ist. Friseur Krüger (Rudolf Vogel) verpasst Uli eine blonde Zopf-Perücke für seine Mädchen-Rolle im hier optisch stark erweiterten Stück für die festliche Adventsaufführung vor den Eltern. Und bevor die Proben dazu beginnen, muss die Turnhalle erst von Boogie-Woogie-Tänzern geräumt werden.
Parallel zum Kinostart der vierten Neuverfilmung durch Carolina Hellsgård (halloherne berichtete) ist Kurt Hoffmanns Erstverfilmung von 1954 wieder in unsere Kinos gekommen, so im Sweetsixteen Dortmund: Am Samstag, 7. und Sonntag, 8. Oktober 2023 sowie am Samstag,14. und Sonntag, 15. Oktober 2033 jeweils um 15 Uhr an der Immermannstraße 29 in der Dortmunder Nordstadt.
Vergangene Termine (4) anzeigen...
- Samstag, 7. Oktober 2023, um 15 Uhr
- Sonntag, 8. Oktober 2023, um 15 Uhr
- Samstag, 14. Oktober 2023, um 15 Uhr
- Sonntag, 15. Oktober 2023, um 15 Uhr