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Noch streiten sich Jerome Siebold (Tobias Schwieger) und Heiko Braubach (Mario Thomanek) nur verbal.

„Furor“ im Kulturzentrum

Fake-News und die Macht des Smartphones

Eine junge Frau tigert nervös in ihrer Wohnung herum. Setzt sich auf einen Küchenstuhl, kommt einfach nicht zur Ruhe. Es klingelt. Ein Mann tritt herein, lässige Eleganz, Haare zum Schopf gebunden. Zweieinhalb Wochen hat er sich Zeit gelassen, um diesen Gang nach Canossa anzutreten…

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Ausgerechnet in der heißen Phase seines Wahlkampfs um das Amt zum Oberbürgermeister einer großen deutschen Stadt gerät der Ministerialdirigent Heiko Braubach (Mario Thomanek) in einen Verkehrsunfall. Mitten im Bahnhofsviertel kollidiert sein Fahrzeug mit einem jungen Mann, der so schwer verletzt wird, dass er für immer an den Rollstuhl gefesselt sein wird. Braubach trifft keine Schuld: Enno, das 15-jährige Opfer, stand zum Zeitpunkt des Unfalls unter massivem Drogeneinfluss und war einfach auf die Straße gelaufen.

Ehrliche Betroffenheit oder was?

Dennoch beschließt er, wenn auch mit zweieinhalbwöchiger Verspätung, die Mutter des Jungen aufzusuchen, um mit ihr gemeinsam zu überlegen, wie man ihrem Sohn, der noch auf der Intensivstation des Krankenhauses liegt, die richtige Hilfe zukommen lassen kann. Nele Siebold (Franziska Ferrari) ist selbständige Altenpflegerin von Beruf und muss jeden Cent dreimal umdrehen. Sie reagiert zunächst reserviert auf Braubachs Vorstoß. Mit der Zeit jedoch taut sie merklich auf und wirkt fast dankbar angesichts der ehrlichen Betroffenheit Braubachs und seiner so selbstlos wie großzügig vorgetragenen Hilfsangebote.

Nele Siebold (Franziska Ferrari) versucht vergeblich, ihren Neffen „Jerry“ (Tobias Schwieger) zur Vernunft zu bringen.

Stunde des heiligen Zorns

Alles scheint auf ein vernünftiges Ziel hinzulaufen, als mit einem Mal der Cousin des beinamputierten Jungen, Jerome (Tobias Schwieger), auftaucht. Der 30-jährige, vom Sub-Sub-Unternehmer mit fünf Euro Stundenlohn abgespeiste Paketzusteller sieht die Stunde seines heiligen Zorns auf die kapitalistische Gesellschaft und ihre politischen Ermöglicher gekommen. Aus seiner Sicht zeigt der nur vordergründig empathische Heiko Braubach die Fratze eines machtgierigen, bigotten und nur auf die eigene Karriere bedachten Politikers. Für ihn ist klar, dass dieser nur aufgekreuzt ist, um zu vermeiden, dass sich die ganze Geschichte im Wahlkampf gegen ihn wenden könnte.

Chance auf eine lukrative Erpressung

Und so wittert Neles Neffe seine Chance, Braubach zu erpressen: 100.000 Euro Schmerzensgeld plus eine monatliche Rente von 3.000 Euro. Doch da hat er die Rechnung ohne den abgezockten Politiker gemacht. Ein Schlagabtausch entspinnt sich zwischen den beiden: auf der einen Seite der etablierte, pragmatische Politiker, auf der anderen Seite ein aggressiver junger Mann voller extremer Positionen, die sich aus Enttäuschung, Wut und Hass speisen. „Jerry“ hat freilich auch nicht mit Nele Siebolds neu erwachtem Selbstbewusstsein gerechnet…

Akute gesellschaftliche Phänomene

„Furor“ – ein nicht nur verbal ausgetragener Fight ohne Gürtellinie. In der unter die Haut gehenden Inszenierung des WLT-Intendanten Ralf Ebeling (Ausstattung: Jeremias H. Vondrlik) eine Eskalation, die an der Rampe nicht halt macht und über neunzig elektrisierende Minuten das Publikum herausfordert, über die eigene Positionierung nachzudenken. Geht es in dem Auftragswerk für das Schauspiel Frankfurt, das in der Mainmetropole am 2. November 2018 uraufgeführt worden ist, doch um leider nach wie vor akute gesellschaftliche Phänomene wie Wutbürgertum, Hate-Speech, „Lügenpresse“, Fake-News und die Macht des gezückten Smartphones.

Das seit 2001 bestehende Berliner Duo Lutz Hübner / Sarah Nemitz gehört zu den erfolgreichsten Autoren-Teams in der deutschen Theaterlandschaft. Der gebürtige Heilbronner des Jahrgangs 1964 und die gleichaltrige gebürtige Düsseldorferin waren zunächst als Schauspieler in Saarbrücken und Karlsruhe sowie gemeinsam in Neuss und Magdeburg engagiert, bevor sie mit ihren gesellschaftlich relevanten Stücken das Theater nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern in ganz Europa prägten.

Die nächsten Aufführungen im WLT-Studio am Europaplatz in Castrop-Rauxel

  • Mittwoch, 10. Januar 2024, 20 Uhr
  • Donnerstag, 11. Januar 2024, 20 Uhr
  • Freitag, 12. Januar 2024, 20 Uhr

Karten unter westfaelisches-landestheater.de oder Tel 02305 – 97 80 20.

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Gastspiel in Herne

Am Mittwoch, 14. Februar 2024, gastiert das WLT mit „Furor“ um 19:30 Uhr im Kulturzentrum Herne. Karten im Vorverkauf beim Stadtmarketing Herne, Kirchhofstraße 5, Telefon 02323 / 9190514, auf proticket.de oder über die Ticket-Hotline 0231 / 9172290.

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  • Sonntag, 14. Januar 2024, um 19:30 Uhr
Dienstag, 9. Januar 2024 | Autor: Pitt Herrmann