'NS-(Un)Recht: 90 Jahre Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses'
Gedenkveranstaltung am OLG Hamm
Am Montag (17.6.2024) fand am Oberlandesgericht Hamm eine Gedenkveranstaltung mit dem Titel „NS-(Un)Recht: 90 Jahre 'Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘“ statt, die an die tiefe Verstrickung der Justiz in das nationalsozialistische Unrecht erinnerte. Die Veranstaltung, initiiert von NRW-Justizminister Dr. Benjamin Limbach, hatte das Ziel, die Rolle der Justiz im Rahmen der nationalsozialistischen Verbrechen aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken.
Limbach unterstrich in seiner Eröffnungsrede, dass Artikel 1 des Grundgesetzes eine klare Absage an jede Nützlichkeitserwägung sei: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Menschen werden nicht danach sortiert, wie nützlich jemand ist“.
Theaterstück zu Beginn
Zu Beginn der Veranstaltung präsentierte das Schülerensemble LichterSchatten sein preisgekröntes Theaterstück „Briefe nach Ewigheim“. Das Stück beleuchtet eindrucksvoll die tragischen Schicksale von Familien, die unter den Maßnahmen der nationalsozialistischen Euthanasieprogramme litten. Ein besonders erschütternder Teil des Stücks zeigte die Geschichte eines Vaters, der um die Erlaubnis bat, sein blindes und behindertes Kind zu töten, was den Beginn des Euthanasieprogramms markierte.
Es folgte eine Podiumsdiskussion mit namhaften Experten aus den Disziplinen Rechtswissenschaften, Beratungsstellen, Gedenkarbeit und Forschung. In der Diskussion wurden die perfiden Mechanismen totalitärer Staaten erläutert, die scheinbare Rechtsstaatlichkeit bewahren, um ihre menschenverachtenden Programme zu legitimieren. Im Dritten Reich waren es nicht nur Richter, sondern auch Ärzte, die zu Richtern über Leben und Tod wurden. Besonders erschütternd war die Rolle der öffentlichen Fürsorgerinnen, die bei der Durchführung der Euthanasie eine immense Bedeutung hatten.
Ein zentrales Thema war auch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das vor 90 Jahren in Kraft trat und die Zwangssterilisation von 400.000 Menschen zur Folge hatte – eine Art Generalprobe für die späteren Vernichtungsprogramme.
Tief beeindruckt
Tuncay und Havle Nazik, Vertreter der Islamischen Gemeinde Herne-Röhlinghausen, nahmen ebenfalls an der Veranstaltung teil. Tuncay Nazik äußerte sich tief beeindruckt: „Es war eine sehr eindrückliche und traurige Gedenkveranstaltung. Diesen Teil der NS-Unrechtstaten kennen nur sehr wenige Menschen. Angesicht dessen, dass immer mehr Zeitzeugen sterben, müssen wir als Gesellschaft etwas für das Gedenken und Erinnern tun“.
Havle Nazik, Jugendleiterin der Gemeinde, hatte auch positive Nachrichten: „Wir haben neben Dr. Benjamin Limbach auch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Gudrun Schäpers getroffen und die Zusage erhalten, eine ähnliche Veranstaltung über die Verstrickung der Gerichte und die Euthanasie in der NS-Zeit in Herne zu organisieren“.