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Die Welt ist aus den Fugen – und im Essener Grillo-Theater ziemlich düster (v.l.): Bettina Engelhardt (Gertrud), Christopher Heisler (Hamlet), Mansur Ajang (Claudius), Jan Pröhl (Polonius) und Hân Nguyễn (Laertes), Beritan Balcı (Ophelia).

Shakespeares Tragödie aus weiblicher Sicht

'Hamlet/Ophelia' im Grillo-Theater Essen

In William Shakespeares Fünfakter „The Tragedy of Hamlet, Prince of Denmark“ von 1602 ist der alte König Hamlet von seinem Bruder Claudius (Mansur Ajang) ermordet worden, um dessen Gattin, Königin Gertrud (Bettina Engelhardt), heiraten und selbst den Thron besteigen zu können. Prinz Hamlet (Christopher Heisler), aus der deutschen Universitätsstadt Wittenberg an den Hof von Helsingör zurückgekehrt, erfährt vom rachedurstigen Geist seines Vaters von dem heimtückischen Mord.

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Claudius spürt die Gefahr, die von Hamlet ausgeht und dingt die Höflinge Rosencrantz (Nicolas Matthews) und Güldenstern (Arshia Pakdel), ihn zu bespitzeln wie auch Ophelia (Beritan Balci), die von Hamlet umworbene Tochter des Staatsrats Polonius (Jan Pröhl). Als Letzterer der eigenen Lauschaktion zum Opfer fällt, schickt Claudius seinen Neffen nach England, um diesen dort umbringen zu lassen. Doch Hamlet kann sich seiner Häscher entledigen, kehrt nach Dänemark zurück. Wo er von Ophelias Bruder Laertes (Hân Nguyễn) zum Duell gefordert wird – das am Ende nur Tote hinterlässt. Als der norwegische Prinz Fortinbras, wie so viele(s) andere gestrichen, nach Dänemark kommt, um alte Rechte einzufordern, hat er leichtes Spiel...

Neues Deutsches Theater

Nach 14 „Hamlet“-Inszenierungen von Peter Zadek (Bochum 1977, Berlin 1999) über Achim Freyer (Berlin 2000) und Leander Haußmann (Berlin 2013) bis hin zu Kay Voges (Dortmund 2014) und Johan Simons (Bochum 2019) freut sich der alte weiße Mann naturgemäß auf eine bis auf Torsten Kindermann (Musik) rein weibliche Produktion in Essen, zumal die inszenierende Ko-Intendantin Selen Kara das „Neue Deutsche Theater“ ausgerufen hat, Premiere der nun „Hamlet/Ophelia“ genannten Tragödie war am Samstag (5.10.2024) im Grillo-Theater.

„Das Bild der Ophelia als weiblicher, sexualisierter Körper im Wasser wurde stark ästhetisiert und romantisiert“, so die Regisseurin zur Intention ihrer Shakespeare-Ergänzung (Überschreibung wäre zu viel ausgedrückt). Selen Kara weiter: „Die Nachricht, dass Ophelia gestorben ist, erfahren wir bei Shakespeare am Rande. Auch, dass sie wahnsinnig geworden ist, ist eine Setzung. Es wird viel über sie gesagt und es wird ihr sehr viel zugeschrieben. Wir haben uns gefragt, wer ist eigentlich diese Frau und welche Rolle spielt sie an diesem Hof. Wie sind ihre Beziehungen zu den anderen Figuren, beispielsweise zu Gertrud oder zu ihrem Bruder Laertes oder ihrem Vater? Wenn Hamlets Wahnsinn gespielt ist, was ist dann ihr Zustand?“

Düstere Bühnenschräge

Im auf neun Personen reduzierten Figurenarsenal übernimmt Ophelia die Einführung in die nicht wirklich neu erzählte Geschichte. Sie spielt 160 Minuten lang auf einer düsteren Bühnenschräge Lydia Merkels, deren Treppe direkt in den Hades zu führen scheint. In Wirklichkeit aber in einem Wasserbecken unmittelbar an der Rampe endet, weshalb das Publikum in den ersten Reihen mit Regencapes ausgestattet worden ist. Beritan Balci, zwar nicht befreit von den an die Entstehungszeit des Stückes erinnernden ausladenden Halskrausen, dafür aber von den höchst artifiziellen Kopfbedeckungs-Ungetümen Anna Maria Schories‘, kommt wie eine emanzipierte junge Frau unserer Tage daher.

Beritan Balcı (Ophelia) und Christopher Heisler (Hamlet) begegnen sich auf Augenhöhe bei der, so Regisseurin Selen Kara, ermächtigenden Rückeroberung des Handelns in „Hamlet/Ophelia“ am Schauspiel Essen.

Die auch gleich den Part der Geistererscheinung von Hamlets Vater mit übernimmt und den Zumutungen ihres Vaters Polonius nicht nur mit keckem Blick entgegentritt: „Warum kann ich mir meinen Geliebten nicht selbst wählen?“. Ophelia ist bereit, „Verbotene Liebe“ auf den Bühnenbrettern statt im Pantoffelkino, sich mit dem schönen jungen Königssohn, auch ein Kind unserer Tage, einzulassen.

In ihrem großem, mit Verve vorgetragenen Monolog im 4. Akt nach der Pause weigert sie sich, zu sterben und ganz generell, sich geschlagen zu geben. Beim ollen Elisabethaner steht das nicht, egal, welche Übersetzung frau wählt. Es soll sich um einen Text der ukrainisch-brasilianischen Feminismus-Ikone Clarice Lispector (1920 – 1977) handeln, im Essener Programmheft fehlt jeder Hinweis. Ihrem Schicksal entkommt die Tochter des Oberkämmerers freilich nicht – und das wird auch im Grillo-Theater eher verschämt-beiläufig erwähnt.

Schlammschlacht statt Degenduell

Und sonst? Die große Theater-auf-dem-Theater-Szene „Die Mausefalle“, welche bei Shakespeare immerhin die Ermordung Gonzagos enthüllt, wird von den warum auch immer als Zwillinge kostümierten Nicolas Matthews und Arshia Pakdel, die später auch noch clowneske Totengräber geben müssen, als Joke verkauft. Aus „Sein oder Nichtsein“ wird „Menschsein oder nicht“, was an verschwurbelte Gendersprache erinnert. Und am Ende duellieren sich Hamlet und Laertes nicht mit Degen, sondern liefern sich eine veritable Schlammschacht im Wassergraben.

Im 2. Akt hat Gertrud noch „Mehr Inhalt, weniger Kunst“ gefordert, im 5. Akt ist ihre Gift-Szene dem Rotstift zum Opfer gefallen. Was bleibt von der Behauptung der Dramaturgin Margrit Sengebusch, „Hamlet/Ophelia“ sei „eine ermächtigende Rückeroberung des Handelns“ aus feministischer Sicht? Die Behauptung.

Karten unter theater-essen.de oder Tel. 0201-8122200. Die nächsten Vorstellungen im Grillo-Theater Essen:

  • 9. Oktober 2024, 19.30 Uhr
  • 16. Oktober 2024, 19.30 Uhr
  • 25. Oktober 2024, 19.30 Uhr
  • 2. November 2024, 19.30 Uhr
  • 3. November 2024, 16 Uhr
  • 22. November 2024, 19.30 Uhr
Oktober
25
Freitag
Freitag, 25. Oktober 2024, um 19:30 Uhr Grillo Theater, Theaterplatz 11, 45127 Essen Karten unter theater-essen.de oder Tel. 0201-8122200.
Weitere Termine (3) anzeigen...
  • Samstag, 2. November 2024, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 3. November 2024, um 16 Uhr
  • Freitag, 22. November 2024, um 19:30 Uhr
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  • Mittwoch, 9. Oktober 2024, um 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 16. Oktober 2024, um 19:30 Uhr
Montag, 7. Oktober 2024 | Autor: Pitt Herrmann
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