Serie 'Frauen ins Scheinwerferlicht'
Havle Nazik über die Wichtigkeit von Sichtbarkeit
Was als Serie zum Weltfrauentag begann, geht nun weiter. halloherne-Redakteurin Julia Blesgen spricht mit verschiedenen Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Dabei geht es unter anderem um ihre persönlichen Werdegänge, die Herausforderungen, denen sie sich stellen mussten oder was sie ihrem jüngeren Ich oder anderen jungen Mädchen nun mit auf den Weg geben würden. Alle weiteren Teile der Serie sind auf halloherne zufinden.
Dieses Mal berichtet Havle Nazik, Jugendleiterin der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen, über die Wichtigkeit der öffentlichen Sichtbarkeit von Minderheiten und ihre bewegende Rede bei der Anti-Rechts-Demo im Januar 2024, bei der sie vor 4.000 Menschen sprach (halloherne berichtete). „Ich hab vorher noch nie vor so vielen Menschen eine Rede gehalten. Vielleicht mal in der Gemeinde vor 150 Menschen, aber noch nie vor 4.000“, berichtet die 20-Jährige im Gespräch mit halloherne.
Repräsentation der jungen muslimischen Mädchen-Community
Als die Anfrage vom Bündnis Herne kam, habe sie sofort zugesagt, obwohl sie nervös war. „Es war mir einfach wichtig, die junge muslimische Mädchen-Community zu repräsentieren. Diese Chance musste ich ergreifen. Ich glaube, Markus (Vordenbäumen, Anm. d. Red.) weiß gar nicht, was er mit der Anfrage für junge muslimische Mädchen mit Kopftuch getan hat, was er für die weibliche muslimische Community getan hat. Dafür bin ich ihm sehr dankbar“, macht die gebürtige Hernerin deutlich.
Nazik beschäftigte sich in ihrer Rede mit der Frage „Bin ich deutsch?“. Motiviert war ihre Rede von dem im November bekannt gewordenen Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam, das durch das Recherche-Netzwerk Correctiv aufgedeckt worden war. Bei diesem Treffen sei es um die Vertreibung von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland gegangen.
'Lächerliche und paradoxe Pläne'
„Als ich von diesen Plänen zum ersten Mal hörte, fand ich sie so lächerlich und paradox, aber da ist eine große Gefahr hinter. Wenn diese Menschen sich trauen, das so auszusprechen, dann kann es dazu führen, dass irgendwann aus solchen Worten Taten folgen, wenn man sich nicht ganz deutlich gegen sie stellt“, so Nazik.
Weiter sagt sie: „Ich wollte in der Rede auch ein bisschen auf die Klischees aufmerksam machen, wer von außen als deutsch wahrgenommen wird. Ich will zeigen, dass Deutsche eben nicht nur blond und blauäugig sind.“
Erfahrungen mit Ablehnung
Die Rede kam an und Nazik wurde zurecht für ihre Worte von den Teilnehmenden gefeiert. Mittlerweile hat sie die Rede auch schon auf weiteren Anti-Rechts-Demos gehalten. Ihr sei die Gemeinschaftlichkeit wichtig, keine 'Wir gegen die-Mentalität'. Dennoch musste auch sie schon Erfahrungen mit Ablehnung machen. „Vor ein paar Jahren wollten meine Freundinnen und ich am Opferfest Baklava in der Nachbarschaft verteilen - das haben sonst die Jungs unserer Gemeinde gemacht und es kam immer gut an - doch als wir loszogen, haben viele die Türen gar nicht erst aufgemacht oder unser Geschenk nicht annehmen wollen, das war sehr demütigend“, blickt die 20-Jährige zurück.
Dennoch macht sie deutlich: „Ich versuche mir aber immer meinen Vater als Vorbild zu nehmen. Er lässt sich nie entmutigen und sucht immer wieder Gespräche.“ Ihr Vater Tuncay Nazik ist der stellvertretende Imam der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen, die durch ihren Einsatz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt über alle Religionen hinweg, weit über den Stadtteil Röhlinghausen hinaus bekannt ist.
'Wir treten in große Fußstapfen'
„Dass unsere Gemeinde heute den Stellenwert in Herne hat, den sie hat, ist ganz klar meinem Onkel Ibrahim (Imam der Gemeinde, Anm. d. Red.) und meinem Vater zu verdanken. Sie hatten damals die ganze Last allein zu tragen, sie haben ihre Türen geöffnet und sind raus in die Nachbarschaft sowie die umliegenden Städte gegangen und haben im Gegenzug die Menschen in unsere Gemeinde eingeladen. Heute engagieren wir Jüngeren uns in der Gemeindearbeit, aber wir wissen, es sind große Fußstapfen, in die wir treten“, resümiert die Studentin der Sozialen Arbeit.
Gerade diese Offenheit in der Begegnung mit anderen ist Havle Nazik wichtig. Sie macht deutlich: „Integration ist keine Einbahnstraße. Um nun bildlich zu sprechen - wenn jemand an eure Tür klopft, dann macht auf. Es ist wichtig, dass wir einander unterstützen. Ich würde mir wünschen, dass alle die gleichen Chancen auf Integration erhalten können und ihnen beispielsweise der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht so erschwert wird.“
Auf die Frage, was sie anderen jungen Mädchen nun mit auf den Weg geben würde, antwortet sie abschließend: „Ihr müsst keine Rede vor 4.000 Menschen halten. Vernetzt euch mit anderen Mädchen in eurer Gemeinde. Leistet Aufklärungsarbeit in der Schule, eurer Nachbarschaft oder nehmt Stellung zu blöden Kommentaren im Netz. Das Wichtigste ist aber, ihr seid nicht allein. In der Gemeinschaft kann man viel bewirken.“