
Porträt einer selbstbestimmten Frau
Ich will alles. Hildegard Knef
Update, Donnerstag (24.4.2025)
Weiterhin zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Dortmund, im Filmstudio Glückauf Essen sowie im Cinema Düsseldorf.
Der Kino-Text
„Ich will, ich will“: Mit Ausschnitten aus einem Live-Konzert mit der Big Band des 1920 im damals noch selbständigen Herner Ortsteil Bönig geborenen Kurt Edelhagen beginnt ein Dokumentarfilm der Kölner Regisseurin Luzia Schmid über Hildegard Knef, die ihrer Zeit weit voraus gewesen ist und sich 1986 auf ihrer letzten Tournee mit „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ herzzerreißend von ihrem Publikum verabschiedet.
„Aber die Emanzipation, die wir vorhin angesprochen haben, da kommt sie wieder, die hat eben nicht stattgefunden, für uns, und gerade in meinem Beruf. Es wird Zeitlosigkeit verlangt, ein gewisser Glamour, eine Zeitlosigkeit, die von Männern nie verlangt wird“: Hildegard Knef, Weltstar, Enfant Terrible und Grande Dame des Chansons in einem ihrer Interviews, in denen sie kein Blatt vor den Mund genommen hat.
Spiegel und Gegensatz ihrer Zeit
Sie war Diva, Kämpferin, Spiegel und zugleich Gegensatz ihrer Zeit im Adenauerschen Nachkriegs-Deutschland: Mehr als fünf Jahrzehnte feierte sie als Schauspielerin, Sängerin und Autorin internationale Erfolge, erlebte aber auch krachende Niederlagen. Und erfand sich immer wieder neu.
„Ich habe eigentlich nie eine Mittellage gehabt. Ich habe immer entweder sehr großen Erfolg gehabt oder ganz bedeutenden Misserfolg. Aber diese Zeit, in der ich absolut Misserfolg hatte und gar nicht arbeiten konnte, war für mich sehr wichtig für das, was ich dann später getan habe“: Mit dem ersten deutschen Nachkriegsfilm, Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ aus dem Jahr 1946, wurde die 20-jährige Hildegard Knef in der Trümmerlandschaft Berlins zum ersten deutschen Nachkriegsstar.

In sechs Sekunden zum Skandal
Bereits zwei Jahre später wurde sie nach Hollywood gelockt, aber bald „auf Eis gelegt“ – drei endlose Jahre lang. Nachdem sie nach Berlin zurückgekehrt war, drehte der Regisseur Willi Forst mit ihr das Melodram „Die Sünderin“. Hildegard Knef wurde nach einer nur sechs Sekunden währenden Nacktszene von den Medien (und der zur Adenauer-Zeit noch einflussreichen Kirche) zur Skandalnudel hochstilisiert. Luzia Schmid unterlegt die entsprechenden Bilder mit Knefs Kommentar, in Deutschland sei „eine auf Keuschheit bedachte Betulichkeit“ eingezogen.
Musical-Star am Broadway
Also zurück in die USA, wo sie 1955 in Cole Porters Musical „Silk Stockings“ als erste und bisher auch einzige Deutsche eine Hauptrolle am Broadway bekam. Hildegard Knef blieb mit Marlene Dietrich und Marilyn Monroe befreundet, als sie nach einem Zerwürfnis mit 20th Century Fox über die Filmrechte 1957 nach Deutschland zurückkehrte.
„Von nun an ging’s bergab“: Anschließend musste sie Jahre des Misserfolgs überstehen, bevor sie sich als mehrfach vom Jazzer Edelhagen begleitete Sängerin sehr persönlicher, (selbst-) ironischer Chansons und Autorin („Der geschenkte Gaul“, 1971) regelrecht neu erfand. Eines aber war ihr trotz aller Rückschläge, allein 56 Krebs-Operationen Mitte der 1970er Jahre, wichtig: ein möglichst selbstbestimmter Teil der deutschen Öffentlichkeit zu sein. So wurde Hildegard Knef zur schillernden Expertin des Überlebens: „Ich glaube, das Leben schuldet uns nichts als das Leben. Und alles andere haben wir zu tun.“
Lebenshunger und Löwenmut
In ihrer filmischen Biographie lässt Luzia Schmid vor allem Hildegard Knef selbst zu Wort kommen – in verblüffend offenen Interviews und heute nicht mehr vorstellbaren Talkshow-Auftritten, mit ihren sehr persönlichen Chansons, die wie ein roter Faden durch den Film führen. „Ich will alles“ lässt die Faszination, den Charme und das Charisma Hildegard Knefs, ihre Widersprüchlichkeit, Nonchalance und Unbeugsamkeit, ihren Lebenshunger, Witz und Löwenmut lebendig werden
„Alles, was man schreibt, glaube ich, ist doch verschämt oder weniger verschämt autobiografisch. Und ich bin da ziemlich hemmungslos und unverschämt autobiographisch oder sagen wir ... Ich kann nur über das schreiben, was ich empfinde. Und sei es auch nur einmal für ganz kurze Zeit“: Nina Kunzendorf gibt Hildegard Knef eine Stimme, indem sie aus ihren Büchern liest.
Ungeschönt und bewegend
In dem über 98 Minuten bewegenden, weil ungeschönten Porträt einer einzigartigen Frau und Künstlerin, die ehrgeizig, hoch sensibel, lakonisch und scharfsinnig der Welt vorführte, wie man sich selbst treu bleibt, indem man sich immer wieder neu erfindet, kommen auch Hildegard Knefs Tochter Christina Palastanga und ihr dritter und letzter Ehemann Paul von Schell zu Wort.
Vom 13. Mai bis 30. September 2024 in Berlin und New York City gedreht und am 16. Februar 2025 im Panorama-Wettbewerb der 75. Berlinale uraufgeführt, kommt „Ich will alles“ am 3. April 2025 in die Kinos, bei uns zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Gelsenkirchen, im Filmstudio Glückauf Essen sowie im Cinema Düsseldorf.