
Ideen gegen den Verkehrs-Infarkt
Die Infrastruktur in den Städten der Region ist überlastet. Staus, Lärm und Schadstoffbelastung müssen dringend reduziert werden. Lösungsansätze für dieses ruhrgebietsweite Problem wurden im Projekt „Mobilität im Ruhrgebiet“ der Essener Brost-Stiftung und des Verkehrsministeriums NRW in den Kommunen Herne, Bottrop und Oberhausen gemeinsam entwickelt. Am Montag (4.11.2019) wurden die Ergebnisse sowie deren Umsetzungs-Möglichkeiten präsentiert und mit Podiumsgästen, wie dem Minister für Verkehr NRW, Hendrik Wüst, diskutiert. Zusätzlich wurden erfolgversprechende Ansätze und neuartige Technologien an Infoständen im Foyer präsentiert.
Die Botschaft lässt umfänglich Raum für Phantasie und Emotionen… „In den nächsten 10 Jahren“, so Dr. Clemens Beckmann, Deutsche Post DHL, „wird sich das Volumen von E-Commerce verdoppeln.“ Die Prognose unterfüttert der Verantwortliche für „Smart Cities und Last Mile Solutions“ bei der Deutsche Post DHL Group mit aktuellen Zahlen: 2019 werden die Menschen in Deutschland für rund 48 Milliarden Euro online shoppen. Bereits jetzt nimmt jeder Bürger 24 Pakete pro Jahr entgegen. "…und jetzt lassen Sie Ihrer Phantasie für den Stadtverkehr 2030 unter den Stichworten „Paketdienst“, „Zweite-Reihe-Parken“, „Lieferverkehr“ und „Diesel-Fahrverbot“ einmal freien Lauf!"

Neue Lösungen für den innerstädtischen Lieferverkehr, wie sie die Experten auf Einladung der Brost-Stiftung in Herne diskutierten, sind also maximal gefragt. In einem Rahmen, den Professor Bodo Hombach, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung, bei der Begrüßung konkretisierte: „Citylogistik, die den Namen verdient, sucht nicht krampfig Mode- und Erregungswellen zu folgen. Sie will keine hektischen und polit-opportunistischen Symboltaten. Sie will den gut durchgerechneten, planvollen Wandel.“ Prof. Dr. Uwe Clausen, Fraunhofer Institut: „Es muss sich für die Menschen lohnen, auf Lieferung des Pakets nach Hause zu verzichten. Zum Beispiel durch einen Rabatt bei Abholung an der Paketstation.“
Mit dieser Herausforderung haben sich die verantwortlichen Fachleute auf dem Podium bereits intensiv und erfolgreich auseinandergesetzt. Und NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) müht sich im politischen Tagesgeschäft um nachhaltige Leitplanken für moderne Mobilität. „Wenn der Online-Handel weiter boomt und der anspruchsvolle Kunde künftig Lieferungen frischer Lebensmittel bis an die Haustür wünscht, droht in manchen Städten zur Rush-Hour ein Verkehrskollaps“, so seine naheliegende Prognose. Die Anforderungen und Ansprüche stiegen stetig, gleichzeitig müsse Mobilität sauberer werden, die Menschen erwarteten weniger CO2, weniger Schadstoffe und weniger Lärm. „Im Kern geht’s bei der Verkehrswende um eine Antriebswende und um eine Mobilitätswende“, folgert Wüst. „Also eine Wende zum Beispiel hin zu einem besseren ÖPNV. Ich bin überzeugt: Ein besseres Angebot im ÖPNV kann viele der Verkehrsprobleme in unseren Innenstädten lösen. Auch die Herausforderungen im Bereich der City-Logistik.“

Praktikable Lösungen dazu suchte Birgit Heitzer, Leiterin Logistik Konzern, REWE, unterstützt von Prof. Dr. Uwe Clausen, Institutsleiter Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik, in einem dreijährigen Forschungsprojekt zum Thema „Nachtanlieferung“. Mit Elektro-Lastern wurden ausgewählte Märkte beliefert, dabei selbst die Rollcontainer lärmgedämmt, um Anwohner nicht im Schlaf zu stören. „In einem Pilotprojekt haben wir fünf Wochen lang die Nachbarschaft zur Beteiligung aufgerufen“, berichtet Heitzer. „Es gab keinerlei Beschwerden.“
Sie selbst hatte im Rückblick jedoch einiges zu kritisieren: „Man benötigt zur Nachtanlieferung Ausnahme-Genehmigungen, es ist schwer, dafür in den Städten den richtigen Ansprechpartner zu finden.“ Wüst versprach maximale politische Unterstützung, er hält den Nachtplan für „eine Bombe“. „Stellen Sie sich vor, die ganzen REWE-Laster rollen morgens im Berufsverkehr nicht mehr aus dem Zentrallager auf die Autobahnen unseres Landes.“

Er möchte auch die Post sowie andere Dienstleister in ein ganzheitliches Mobilitätskonzept einbinden. Stichwort Paketstationen. Wüst: „In Ländern wie Japan oder China gibt es bereits Schließfächer, in denen Sie vom Hemd bis zur vorgekochten Mahlzeit alles zwischenlagern können. Solche Stationen brauchen wir an den Endhaltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, dann können die Menschen ihr Paket auslösen, bevor sie für die letzten Meter vielleicht aufs Rad oder einen E-Scooter umsteigen.“
Im Bereich seiner Verantwortung soll das große Rad Richtung Mobilität von morgen gedreht werden: Aktivierung stillgelegter Bahnstrecken, Erneuerung von Straßen- und U-Bahngleisen (eine Milliarde Euro Investition). Mit 190 Millionen Euro soll das Projekt „Robustes Netz“ Umfahrungen finanzieren, wenn die Deutsche Bahn in den nächsten Jahren das NRW-Netz erneuert. „Entscheidend für ein besseres ÖPNV-Angebot ist die digitale Qualität“, sagt Wüst. „Es muss verfügbar, abrufbar, buchbar und bezahlbar sein.“ In Kürze soll „Mobil NRW“ starten, eine Ticket-App, in der erstmalig alle NRW-Tarife gebündelt werden und online buchbar sind.
Den vielen Ankündigungen setzten die mehr als 100 Besucher der Debatte in der Akademie Mont-Cenis in der abschließenden Diskussion schon einige Skepsis entgegen. Eine zentrale Frage: Was hindert denn die Verantwortlichen in erster Linie an der Umsetzung? Dazu der Verkehrsminister entwaffnend offen: „Das deutsche Planungsrecht. Ich habe in den letzten Monaten etwa 20 Spatenstiche zum Start von Bauprojekten gemacht. Nur zwei wurden zu meinen Lebzeiten geplant, die anderen alle vor meiner Geburt.“ Hendrik Wüst kam 1975 zur Welt.
Viele Projekte vorgestellt
Auf dem Markt der Möglichkeiten, der im Anschluss an die Gesprächsrunde im Foyer der Akademie stattfand, präsentierten Aussteller ihre Ansätze und Projekte für eine sauberere, leisere und effektivere Logistik.
Die Hochschule Bochum zeigte ihre Modelle für Lastenräder für Lieferverkehr und für Familien. Damit können Logistik und Einkauf innerstädtisch mit null Emissionen durchgeführt werden.

Der Transportdienstleister GLS zeigte an seinem Stand das in Herne getestete eCUVS „Tripl“. Damit liefere man bereits jeden Tag aus, zwar keine Großlieferungen jedoch immerhin rund 40 Pakete am Tag, und das meist abends. Mit einer Reichweite von 100 km und einer Nutzlast von 200 kg ist der eScooter vielseitig einsetzbar.
Das Projekt LOUISE aus Bottrop wiederum setzt auf Vernetzung von Händlern und einer ebenfalls sauberen Auslieferung per Lastenrad. Der Einzelhandel soll so eingebunden werden, dass Lieferungen gebündelt an Hubs geschickt werden können. Am 4. November, startete eine Testphase mit 1700 städtischen Angestellten und Testhändlern. Zukünftig sollen LOUISE Points als Hubs eingerichtet werden und auch eine Sammellieferung an Firmen sei denkbar.
Auch die IHK, die Stadtwerke Herne zeigten ihre Logistik Ideen dem interessierten Publikum.