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Il Trittico - Zwei überragende Gäste geben in „Il Tabarro“ ihr Aalto-Debüt: Sergey Polyakov (Luigi) und Annemarie Kremer (Giorgetta).

Puccini-Gesamtkunstwerk im Essener Aalto

Il Trittico - Das Triptychon

Wer unter einem Triptychon ein dreiteiliges Gemälde oder einen Flügelaltar mit beweglichen Seitenteilen versteht, liegt ganz richtig. Dieser aus der Kunstgeschichte stammende Begriff fasst auch die drei einaktigen Opern „Il Tabarro“ (Der Mantel), „Suor Angelica“ (Schwester Angelica) und „Gianni Schicchi“, in dieser Reihenfolge uraufgeführt am 14. Dezember 1918 an der Metropolitan Opera New York, zusammen. Was den irrigen Eindruck erweckt, sie hingen thematisch zusammen wie etwa die Motive im kleinen, für die Mitnahme auf Reisen vorgesehenen Dresdener Marienaltar Jan van Eycks oder Francis Bacons großformatige Tafeln „Three Studies of Lucian Freud“.

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Sowohl die beiden Gesamtausgaben des Klavierauszugs von 1918 und 1919 als auch die von Riccordi verlegten Ausgaben tragen nur die Einzeltitel und damit der Tatsache Rechnung, dass es weder musikalisch noch thematisch unmittelbare Verbindungen gibt. Wie sie von Giacomo Puccini ursprünglich geplant waren in Analogie zu den drei Teilen „Inferno“, „Purgatorio“ und „Paradiso“ in Dantes „Divina comedia“. Nachdem nur „Gianni Schicchi“ beim Publikum beiderseits des Großen Teichs Erfolg hatte, stimmte der Komponist einer Trennung der drei Stücke zu. In Gelsenkirchen etwa wurde 2004 „Gianni Schicchi“ mit dem 1917 uraufgeführten Opern-Einakter „Eine florentinische Tragödie“ Alexander von Zemlinskys verbunden.

Il Trittico - Fürchten in „Gianni Schicchi“ um das Erbe v.l.: Christina Clark (Nella), Christoph Seidl (Simone), Marie-Helen Joël (Zita), Uwe Eikötter (Gherardo), Carlos Cardoso (Rinuccio), Liliana de Sousa (La Ciesca) und Tobias Greenhalgh (Marco).

Unter der musikalischen Leitung des am Premierenabend im Aalto-Theater mit Ovationen gefeierten Italieners Roberto Rizzi Brignoli, einem weltweit gefragten Experten des italienischen und französischen Repertoires, haben Regisseur Roland Schwab (zuletzt „Otello“ und „Bajazzo“ in Essen) sowie seine Ausstatter Piero Vinciguerra (Bühne) und Gabriele Rupprecht (Kostüme) den überaus gelungenen Versuch einer variantenreichen, über dreieinhalb Stunden durchgängig spannungsgeladenen Verknüpfung rund um das bevorzugte Thema des Musiktheaters, den Tod, unternommen. Dieses akustisch wie optisch grandiose Gesamtkunstwerk, das noch bis Mitte Juni 2022 insgesamt siebenmal auf dem Spielplan steht, sollte sich kein Opernfreund entgehen lassen!

„Non Ricordare“ steht auf dem Vorhang, was die Aufforderung „Erinnere dich nicht“ bedeuten kann, aber auch: „Halte nichts fest.“ Als sich dieser hebt, beansprucht ein schier überwältigendes Bild die Aufmerksamkeit des ausverkauften Hauses: blaues Neonlicht, dessen Farben sich später veränderten Stimmungen anpassen, und Wolkenformationen bildender Bühnennebel umhüllen ein knöcheltiefes Wasserbassin. Im gewaltig dimensionierten, schräg gestellten Spiegel wird unter dem Tuten eines Schiffshorns der Körper eines offenbar ertrunkenen Kindes mit Schulranzen auf dem Rücken sichtbar.

Il Trittico - Jessica Muirhead verkörpert im wahren Wortsinn die Titelheldin in „Suor Angelica“.

Die veristische Kurzoper „Il Tabarro“ (Der Mantel) spielt im Pariser Schiffermilieu: Seit sie vor einem Jahr ihr gemeinsames Kind verloren haben, ist die Ehe von Giorgetta (die niederländische Sopranistin Annemarie Kremer mit umjubeltem Aalto-Debüt) und Michele (Heiko Trinsinger) zerstört. Während Letzterer sich in Arbeit stürzt, sehnt sich seine Frau nach Zärtlichkeit und Liebe, welche sie beim Untergebenen Luigi (herausragend: der russische Tenor Sergey Polyakov als Gast) findet: In „È ben altro il mio sogno!“ singen beide von ihrer Sehnsucht nach einem beschaulichen Leben in der Pariser Vorstadt Belleville. Michele kommt hinter das Verhältnis…

Nahtloser Übergang zum im 19. Jahrhundert spielenden Klosterdrama „Suor Angelica“ (Schwester Angelica), dem Mysterium der von Jessica Muirhead im wahren Wortsinn verkörperten jungen Frau, die von der Familie nach der Geburt ihres unehelichen Kindes verstoßen wurde (Stoffbahnen symbolisieren die Abgeschiedenheit hinter Klostermauern). Ihr zart-rosafarbenes Kostüm offenbart sie als Außenseiterin, die sehnsüchtig auf eine Nachricht von ihrem Kind wartet. Als die Principessa, das Familienoberhaupt, erscheint, um sie aufzufordern, auf ihr Erbe zu verzichten, erfährt Angelica vom Tod ihres Kindes. Und unterzeichnet den Kontrakt mit stetem Blick auf das weiterhin in Roland Schwabs „Seelengewässer“ liegende Kind, bevor sie ihrem nun sinnlos gewordenen Leben ein Ende setzt. Jessica Muirheads unter die Haut gehendes Gebet „Senza mamma, o bimbo, tu sei morto“ und Puccinis erschütternde (Chor-) Musik werden leider überhöht durch einen völlig überflüssigen Ausflug ins Kitschige.

„Addio Speranza“: Lebewohl Hoffnung. Nach der Pause ist emotionale Erholung für alle Sinne angesagt - mit der Komödie „Gianni Schicchi“. Welche in einer florentinischen Villa samt in Cocktail-Türkis beleuchtetem Pool spielt. Der vom Erzkomödianten Heiko Trinsinger mit Rampensau-Qualitäten im Mantel des Michele gegebene Titelheld, ein windiger Rechtsverdreher, schlüpft im Auftrag sich zu kurz gekommen fühlender Angehöriger in die Rolle des verstorbenen Buoso Donati, um ein neues Testament zu erschleichen – zu seinen Gunsten. Und betrügt so die Betrüger, die er aus dem nun ihm gehörenden Haus wirft zur Freude auch seiner jungen Tochter Lauretta („O mio babbino caro“: die niederländische Sopranistin Lilian Farahini als Gast mit Szenenapplaus) und ihres Freundes Rinuccio (Carlos Cardoso), die nun endlich heiraten können.

Die weiteren Vorstellungen: am 5. und 13. Februar 2022, am 2., 20. Und 31. März 2022, am 24. April sowie am 15. Juni 2022, Karten unter Tel 02 01- 81 22 200 sowie online unter theater-essen.de.

Dienstag, 1. Februar 2022 | Quelle: Pitt Herrmann