
'Toni Erdmann' wieder im Kino
In Memoriam Peter Simonischek
Fünf Europäische Filmpreise und gleich sechs „Lolas“ beim Deutschen Filmpreis: Maren Ades bei der Uraufführung in Cannes mit stehenden Ovationen gefeierte Tragikimödie „Toni Erdmann“ mit dem herausragenden Vater-Tochter-Gespann Peter Simonischek und Sandra Hüller kommt am Donnerstag, 8. Juni 2023, erneut in die Kinos in Erinnerung an den am Montag (29.5.2023) im Alter von nur 76 Jahren gestorbenen großen österreichischen Schauspieler. Bei uns zu sehen für eine Woche im Casablanca Bochum.
Ein Paketbote klingelt an der Haustür. Ihm öffnet ein Mann, der offenbar nicht zu wissen scheint, dass er etwas bestellt hat. Er bittet den Kurierfahrer um etwas Geduld und fragt scheinbar einen anderen Mann, der sich erinnert und dann – als Toni Erdmann - auch an der Tür erscheint: Es ist der erste, nur jetzt mit Perücke und gewaltiger Überbiss-Zahnprothese. Winfried Conradi (Peter Simonischek), ein 65-jähriger Musiklehrer, der mit Lukas gerade seinen letzten Klavierschüler verloren hat, ist ein Scherz-Keks. Von Gattin und Tochter getrennt lebt er nur mit seinem ebenfalls schon sehr betagten Hund allein in seinem Haus und hält sich mit solchen harmlosen Späßen, die für ihn gar etwas Erotisches haben, selbst bei Laune. Weil er sich gerne verwandelt, gibt er auf dem Ball seiner ehemaligen Schule zur Freude aller das Monster.
Outsourcing-Projekt in Rumänien
Seine gerade bei einem großen Outsourcing-Projekt in Rumänien tätige Tochter Ines (Sandra Hüller) kann Winfried nur beim Geburtstag seiner „Ex“ sehen, wo er prompt als Schulball-Monster aufkreuzt. Die kinderlose, um die Welt reisende Karrierefrau „optimiert“ Firmen, was nichts anderes heißt als Rationalisierung und Entlassungen – ein rotes Tuch für den sozialromantisch-antikapitalistischen Alt-68er, der mit seinem Mitgefühl für die Ausgebooteten auch in den kurzen Begegnungen mit seiner merkwürdig nervösen, ihm gegenüber gar scheuen dauertelefonierenden Manager-Tochter nicht hinterm Berg hält.
Nach dem Tod seines geliebten Vierbeiners Willi beschließt Winfried, seine Tochter spontan in Bukarest zu besuchen. Da Ines naturgemäß von Termin zu Termin eilt, bemüht sich ihre so beflissene wie attraktive Assistentin um „Papa“ Winfried, der sich bei nächstbester Gelegenheit wieder in Toni Erdmann verwandelt – ausgerechnet in der Lobby des Ölkonzerns, für den seine Tochter gerade ein Sparprogramm entwerfen soll. „Die Kunst ist es, dem Kunden zu erklären, was er eigentlich will“ erklärt die Assistentin, worauf Winfried trocken repliziert: „Das kann meine Tochter bestimmt sehr gut.“
Lästige Einkaufstouren
Die dann doch gute Miene zum bösen Spiel des „Toni Erdmann“ macht und diesen zum abendlichen Empfang des US-Botschafters mitnimmt. Wo Ines nicht nur auf ihren Chef Gerald Marburger (Thomas Loibl) trifft, sondern auch auf ihren rumänischen Kunden Titus Henneberg (Michael Wittenborn), der sie sogleich dazu verpflichtet, anderntags seine Gattin Natalja (Viktoria Malektorovych) durch eine dieser gigantischen Shoppng-Malls zu führen. Auch solche lästigen touristischen Einkaufstouren gehören zu ihren Kundendienst-Pflichten, was Ines sogleich peinlich ist gegenüber ihrem intellektuellen Vater: Sie fühlt sich beobachtet, gar durchschaut.
Zumal Winfried 'mal wieder auf Toni macht und die Natalja-Clique mit Tatjana (Hadewych Minis) und Steph (Lucy Russell) ordentlich aufmischt. Entsetzt vom freudlos-unerfüllten Leben seiner Tochter, dabei hat er vom traurigen Sex mit ihrem Kollegen Tim (Trystan Pütter), den sie auf Petit Fours ejakulieren lässt, gar keine Ahnung, gibt er mit skurrilsten Erfindungen den Clown, um Ines aus der Reserve zu locken. Ob im Strip-Lokal oder beim Besuch in einer vornehmen Bukarester Familie zum orthodoxen Osterfest, bei der er sich als deutscher Botschafter ausgibt und seine zunächst widerstrebende Tochter, die er als Sekretärin „Whitney Schnuck“ vorstellt, dazu bringt, aus vollem Halse „Greatest Love of All“ singen lässt zu seiner Keyboard-Begleitung.
Furzkissen-Attacke und Handschellen
Ganz zu schweigen von der Furzkissen-Attacke oder der total abgefahrenen Handschellen-Nummer, aus der die beiden nur mit Hilfe recht zwielichtige Freunde von Ines' rumänischem Fahrer Bogdan (Radu Banzaru) befreit werden. Winfried stürzt seine Tochter von einer Verlegenheit in die andere, bis Ines zurückschlägt – und aus ihrem vom Chef eingeforderten Teambuilding-Abend unangekündigt eine Nacktparty macht. Bei der ihre Sekretärin eindeutig die beste Figur abgibt...
Mit diesem vor allem in den Medien als spektakulär empfundenen Befreiungsschlag der Tochter könnte Maren Ades nach „Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003) und „Alle Anderen“ (2009) erst dritter Spielfilm zu Ende sein, allein es muss noch einiges mehr passieren, bevor sich Vater und Tochter, in deutlich entspannter Atmosphäre, bei der Beerdigung seiner Mutter wiedersehen. Zu einem in der deutschen Komödienlandschaft unter TV-Koproduktions-Bedingungen üblichen Happy End hat sich die 39-jährige Autorenfilmerin nach dann doch recht langen 162 Minuten nicht durchringen können: Ines hat zwar Bukarest glücklich hinter sich gelassen und hängt nicht mehr ganz so junkiehaft am Smartphone, aber einen neuen Stress-Job angenommen: für zwei Jahre geht es nach Schanghai.
Im Mittelpunkt stehen mit Peter Simonischek und Sandra Hüller, dem seinerzeit Ensemblemitglied des Schauspielhauses Bochum, zwei mutige Ausnahme-Schauspieler, deren Botschaft offenbar global ankommt: „Toni Erdmann“ ist mittlerweile in sechzig Länder verkauft worden. Mit dem soften Anarcho-Papa und seiner toughen neokonservativen Tochter, die sich im Macho-Business der Unternehmungsberatung behaupten muss, stehen sich nicht nur zwei Generationen, sondern auch zwei Lebensmodelle gegenüber. Maren Ade schildert bei aller Skurrilität und Überzeichnung Situationen des Alltags, die einen hohen Wiedererkennungseffekt beim Publikum haben. Und die Sympathien auf beide Protagonisten gleichmäßig verteilen.
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- Donnerstag, 8. Juni 2023