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Dieses grandios spielfreudige Trio aus Franziska Schmitz, Gareth Charles und Sefa Küskü ließ die Flottmannhallen erbeben in der fulminanten „Troja“-Urinszenierung Frank Hörners.

Blinde Passagiere im Trojanischen Pferd

Kallmeyer-Uraufführung begeisterte

Ein mächtiges Gewitter geht über Troja nieder. Es blitzt und donnert, prasselnder Regen ist zu hören. Die junge Griechin Briseis (Franziska Schmitz) hat sich unter die Kämpfer geschmuggelt, die im großen hölzernen Pferd darauf harren, die Stadt zu erobern. Sie kennt nichts anderes als Krieg, denn dieser währt nun schon zehn Jahre. Und will nun hautnah dabei sein, wenn er mit der Zerstörung Trojas endet.

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Auch der etwa gleichaltrige Trojaner Spourgitis (Sefa Küskü) kennt keinen Frieden. Als der Trojanische Krieg ausbrach, war er noch ein kleines Kind. Nun ist er vom Lärm draußen außerhalb des Palastes aufgewacht und sieht, wie feindliche griechische Soldaten einer riesigen hölzernen Figur entsteigen, um für ihre draußen harrenden Kameraden die Stadttore zu öffnen. Dieses außergewöhnliche Pferd interessiert ihn, zumal es ihm Schutz vor den Kampfhandlungen bieten könnte.

Ein Götterbote mit Entertainer-Qualitäten: Gareth Charles.

Spourgitis hat noch nie das Meer gesehen, obwohl seine Vaterstadt unmittelbar am Meer liegt. Aber die griechische Flotte verhinderte einen Ausflug an den Strand. Nun hofft er das Versäumte nachzuholen, trifft im Bauch des hölzernen Rosses aber auf ein junges Mädchen, das ihn mit dem Schwert in der Hand wie einen Feind empfängt. Haben beide doch die Propaganda der Kriegstreiber verinnerlicht: Hasst eure Feinde! „Die Griechen haben alle Fell!“, davon ist Spourgitis überzeugt. Obwohl er noch nie einen gesehen hat. „Alle in Troja haben Schweinenasen“, ist sich Briseis sicher. Und das, obwohl sie keinen Trojaner kennt.

Es ist Krieg, da lernt man sich nicht kennen, da wird nur gekämpft. Als sich die beiden jungen Leute nun unverhofft gegenüberstehen, greift die forsche Briseis sogleich zur Waffe, während der ängstliche Spourgitis noch nie ein Schwert in der Hand gehalten hat. „Troja muss brennen!“: Als sie ihn zum Zweikampf auffordert, ist er ganz anderer Auffassung: „Das ist doch mein Zuhause, der Krieg muss enden!“ Und macht ihr einen wahrhaft entwaffnenden Vorschlag: „Vielleicht können wir uns ja mit deinem Schwert abwechseln.“

„Tun, nicht denken!“: Der selbstherrliche Götterbote Hermes (mit Entertainer-Qualitäten: Gareth Charles), der auf seinem im wahren Wortsinn gefiederten (Motor-) Rad die Szene beobachtet, rauft sich die Haare. Hat er sich doch gerade über die Götteranbetung der Sterblichen, die sich seit Jahr und Tag die Köpfe einschlagen, lustig gemacht. Und nun das: Spourgitis, der junge Trojaner, will einmal Koch werden und denkt gar nicht daran, dem Unsterblichen zu willen zu sein. Eingedenk eigener Erfahrungen mit den Erwachsenen verweigert sich schließlich auch die junge Griechin seinen Anfeuerungsrufen. Freilich bleibt den beiden am Ende nur eine Alternative: Krieg oder Flucht…

Der Bochumer Henner Kallmeyer, seit vielen Jahren dem Theater Kohlenpott vor allem als Regisseur verbunden, hat mit „Troja - Blinde Passagiere im Trojanischen Pferd“ sein erstes eigenes Theaterstück für junges Publikum ab neun Jahren verfasst. Und sich mit dem Text erfolgreich beim in Frankfurt/Main angesiedelten Kinder- und Jugendtheaterzentrum der Bundesrepublik Deutschland für eine Förderung im Rahmen des Projektes „Nah dran! Neue Stücke für das Kindertheater“ beworben, das gemeinsam mit dem Deutschen Literaturfonds aufgelegt worden ist.

Seinerzeit bestand die Idee darin, dem jungen Theaterpublikum die griechische Mythologie nahezubringen. Inzwischen ist Russlands Überfall auf die Ukraine hinzugekommen als leider sehr aktueller Bezug zum bis dato unvorstellbaren Krieg mitten in Europa. Zum am Premierenabend in den Flottmannhallen Herne völlig zu Recht umjubelten dreiköpfigen Ensembles gehört mit Sefa Küskü ein gebürtiger Wanne-Eickeler des Jahrgangs 1997, der als Jugendlicher beim Theater Kohlenpott erste Bühnenluft schnupperte, in „Leider Deutsch“ von Christian Schönfelder mitspielte und nun nach Absolvierung der Kölner Schauspielschule „Der Keller“ gastweise an seine Wurzeln zurückgekehrt ist.

Frank Hörner inszeniert in der mit wenigen Requisiten auskommenden Ausstattung der Kohlenpott-Debütantin Natalia Nordheimers ein flottes Spiel im Spiel: Bei der Fake-News-Frage, was Wahrheit, was Lüge ist, kommt es ganz auf den Standpunkt an. Weshalb die Entstehungsgeschichte des Trojanischen Kriegs ‘mal aus griechischer und ‘mal aus trojanischer Sicht erzählt wird. Die 70-minütige Produktion entwickelt mit fetzigem Motown-Sound der Supremes („Stop In The Name Of Love“) und witzigen Songs einen ungeheuren Drive und könnte durchaus als Musical durchgehen. Für die Musik ist einmal mehr Sebastian Maier verantwortlich, während die Liedtexte Ensemble-Gemeinschaftsarbeit sind.

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Nach den beiden letzten Vormittagsaufführungen für Schulen am Dienstag und Mittwoch, 28. und 29. März 2023, kann „Troja“ bedingt durch die Dachsanierung der Flottmannhallen leider erst wieder Anfang November 2023 in Familienvorstellungen aufgeführt werden.

Dienstag, 21. März 2023 | Autor: Pitt Herrmann