
Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase
Kein Terminkauf in der Arztpraxis
Unlängst erschien in der in dieser Region dominierenden Tageszeitung in großer Aufmachung ein Artikel: „Schnellere Arzttermine gegen Bares“. Schon die Überschrift suggeriert, dass man sich einen früheren Termin für eine kassenärztliche Leistung durch Zahlung einer bestimmten Summe erkaufen könne. Das ist Unsinn.
Es ist laut Vertragsarztrecht schlicht verboten, privatärztliche Leistungen in Verbindung mit einer Kassenleistung zu erbringen. Wenn ein Arzt das trotzdem tut, läuft er Gefahr, seine Kassenzulassung zu verlieren. Insbesondere für so genannte IGEL-Leistungen (Individuelle Gesundheits-Leistungen) muss ein gesonderter Termin vereinbart werden. Wenn also ein Patient zu seinem üblichen „Check up 35“ erscheint und zusätzlich eine privat zu bezahlende Blutuntersuchung auf Prostatakrebs wünscht, muss er noch einmal erscheinen, um die notwendige Blutabnahme durchführen zu lassen. Ich mag nicht ausschließen, dass diese Bestimmung in Einzelfällen relativ freizügig praktiziert wird. Schließlich ist es auch für Patienten relativ lästig, Leistungen, die „in einem Rutsch“ erledigt werden können, terminlich zu splitten. Den Versuch eines Verkaufes von kassenärztlichen Terminen kann jeder Patient bei der kassenärztlichen Vereinigung anzeigen und damit rechnen, dass der Arzt hierfür zur Verantwortung gezogen wird.
Einen rascheren Termin für eine Behandlung wird man deswegen aber nicht bekommen. Diese Problematik hat sehr viel tiefere und kompliziertere Ursachen.
Seit Jahrzehnten und mit ständig steigender Tendenz verstopfen nicht die Patienten die Terminpläne, die aufgrund ernsthafter gesundheitlicher Störungen behandlungsbedürftig sind. Diese Patienten müssen unter dem Konsum zum Nulltarif im Gesundheitswesen leiden. Jeder, der einmal in einer Arztpraxis tätig war, hat sich das Kopfschütteln darüber, wegen welcher Bedürfnisse der Arzt konsultiert wird, längst abgewöhnt. Da ist die Krankmeldung wegen Frust am Arbeitsplatz nur eine winzige Spitze dieses Eisberges. Modediagnosen, wie die explosionsartige Ausbreitung des Burn-out-Syndroms, sind ein weiteres, medizinisch kaum zu erklärendes Phänomen. Es gibt hunderte solcher Bedürfnisse, für deren Lösung das Gesundheitssystem instrumentalisiert wird, die aber im Grunde nichts mit ärztlicher Tätigkeit zu tun haben.
Ich habe in meiner Praxistätigkeit nicht selten Fälle erlebt, in denen Patienten aufgrund beruflicher Beanspruchung nur ein begrenztes Zeitfenster für einen Arztbesuch zur Verfügung hatten. Meine Mitarbeiterinnen haben zwar versucht, diesen Patienten nach Möglichkeit gerecht zu werden. Bei den terminlichen Unwägbarkeiten, denen eine Arztpraxis ausgesetzt ist, war das aber nur extrem schwer zu bewerkstelligen. Um einen Termin präzise zu garantieren, muss die terminliche Zeittaktung so weit zurück gefahren werden, dass auch Notfälle den Terminplan nicht abstürzen lassen. Eine derartige Praxis kann nicht wirtschaftlich betrieben werden.
Die präzise Termingarantie ist der mit Abstand teuerste Service einer Arztpraxis, ein Zusatzhonorar für diese Leistung beim Kassenpatienten aber verboten. Das Honorar für jedwede kassenärztliche Leistung ist meilenweit entfernt von der kostendeckenden Bezahlung einer derartigen Serviceleistung. Letztlich wird mancher Patient auf diese Weise durch die kassenärztlichen Bestimmungen mehr diskriminiert als durch den Arzt.
Unser Gesundheitssystem ist ein aus allen Nähten platzender Konsummarkt zum gefühlten Nulltarif. Die Ärzte sind dagegen durch so genannte Regelleistungs-Volumina auf begrenzte Fallzahlen eingeschränkt. Sie behandeln darüber hinaus viele dringliche Krankheitsfälle auch zum Nulltarif. Aber die Dringlichkeit sollte dann schon von einem Arzt und nicht an der Biertheke festgestellt werden.
Es hat sich durch die Unfähigkeit der Politik, den massenhaften unsinnigen Konsum gesundheitlicher Dienstleistungen einzudämmen, eine Nachfrageblase ungeahnten Ausmaßes entwickelt. Dies führt in einem marktwirtschaftlich gestalteten aber sozialistisch finanzierten System zwangsläufig zu Auswüchsen, die man nicht immer gut finden muss. Mit gebetsmühlenartig wiederholten Beschimpfungen und Diskreditierungen der Leistungsträger wird man vielleicht von politischer Unfähigkeit ablenken oder einzelne Leser einer Zeitung unterhalten können. Einer Problemlösung wird uns das aber keinen Millimeter näher bringen.
Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey