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Trauern gemeinsam um ihren Sohn: Kurt (Til Schweiger) und Jana (Jasmin Gerat).

Neu in der Filmwelt Herne

Kinofilm: Lieber Kurt

„Ich bin mit zwei Kurts zusammengezogen. Einem ganzen Kurt und einem Halbtagskurt“: Lena Horstmann (Franziska Machens), Journalistin bei einem Berliner Stadtmagazin, und Kurt Rieß (Til Schweiger), Texter in der Werbeagentur seiner Ex-Gattin Jana (Jasmin Gerat), haben sich im grünen Umfeld der Hauptstadt ein schönes, wenn auch arg renovierungsbedürftiges Haus am Rande Oranienburgs gekauft.

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Beide genießen die Brandenburgischen Idylle auch zu dritt, denn Kurt und Jana haben sich entschieden, das Sorgerecht für ihren Sohn, der auch Kurt heißt aber zumeist „Kurti“ genannt wird, zu teilen, weshalb der aufgeweckte Sechsjährige (Levi Wolter, Schauspieler-Kind des Jahrgangs 2014, glänzt bei seinem Leinwand-Debüt mit natürlicher Präsenz) wochenweise zwischen den elterlichen Patchwork-Familien hin und her pendelt. Zwei Häuser, das der Mutter mondän direkt an der Havel gelegen, zwei Kinderzimmer, unterschiedliche Regeln zwar, aber alle Menschen, die er liebt, in unmittelbarer Nähe. Und spannender Erstklässler-Unterricht nicht nur in der Schule, sondern auch in der freien Natur (gedreht wurde am Schloss Marquardt bei Potsdam).

Doch dann fällt der kleine Kurt in der großen Pause vom Klettergerüst des Schulhofes – Genickbruch. Und nichts ist so wie zuvor. Zuerst hilft noch die Routine, etwa bei der Wahl der Kinderurne für die Bestattung in einem Friedwald. Doch der lähmende Schmerz über den Verlust kehrt in die Stille beider Häuser rasch zurück, der Alkohol ist ebenso wenig ein Seelentröster wie Peter (Lee Rychter), der Neue an Janas Seite, oder gar Lena, die nicht minder um Kurti trauert als dessen leibliche Eltern. Ihre aus Berlin angereiste ältere Schwester Laura (Marie Burchard) versucht vergeblich, Lena zu einem Tapetenwechsel zu animieren.

Haben Spaß beim Renovieren der neuen Heimat: Lena (Franziska Machens) und Kurt (Til Schweiger).

„Überleben ist was Egoistisches, immer.“ Und: „Es wird nie ganz vorbei sein“: Die Familientherapeutin Dr. Wagner (Nina Proll) und Kurts Vater Wolfgang (Peter Simonischek) geben ihr Bestes, um Lena und Kurt eine Perspektive zu geben. Aber als Letzterer stark alkoholisiert eine wichtige Präsentation versaut, bleibt seinem Vorgesetzten Frank (Aleksandar Jovanović) nichts anderes übrig, als ihn freizustellen. Lena kommt einfach nicht an Kurt heran, der sich nächtelang in Kneipen und Bars besäuft, wenn er nicht bei Jana in alten Erinnerungen schwelgt.

Eine Luftveränderung täte beiden gut und so geht es im Campingbus des verwitweten Nachbarn Hannes Gauger (Heiner Lauterbach) an die Ostsee. Seit einem halben Jahr will Lena der äußeren und inneren Einsamkeit entfliehen. Erst als ihre Schwester Laura Interessenten für das inzwischen komplett renovierte Haus durchs Gebäude und den blühenden Garten führt, kommt Kurt zur Besinnung: an einen Verkauf ist nun nicht mehr zu denken…

Mit „Kurt“ hat die TV-Moderatorin und „Nerdnacht“-Produzentin Sarah Kuttner 2019 bei S. Fischer einen unter die Haut gehenden Roman herausgebracht, in dem sie auf 230 Seiten über nicht enden wollende Trauer schreibt, aber auch über die Kraft, die Menschen nach einer Katastrophe wie dem Verlust ihres Kindes entwickeln können. Und darüber, dass es auf manche Fragen einfach keine Antworten gibt. Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Form aus der Perspektive Lena Horstmanns.

Lieblingsszene des großartigen Newcomers Levi Wolter: Eisessen des großen und des kleinen Kurt am Hamburger Jungfernstieg.

Zusammen mit Vanessa Walder hat Til Schweiger diesen Roman für die große Leinwand adaptiert. Die 136-minütige Tragikomödie „Lieber Kurt“, am 7. September 2022 im Berliner Zoo-Palast uraufgeführt und seit 15. September 2022 auch in der Filmwelt Herne zu erleben, setzt genrebedingt andere Schwerpunkte als der Roman. Die Film-Dialoge sind oberflächlicher, die (Kneipen-) Szenen des völligen Kontrollverlustes spektakulärer und die Biographien der Protagonisten verändert. So hat Kurt die Werbeagentur Janas bereits nach der Trennung verlassen, ist Laura im Roman die jüngere Schwester Lenas, welche in Berlin mit einer Frau zusammenlebt, und Nachbar Hannes keineswegs Witwer.

Fällt aber alles nicht ins Gewicht: Der Film punktet mit den technischen Möglichkeiten der Rückblende. Immer wieder rufen sich Kurt, Lena und Jana wunderbare Erlebnisse mit Kurti in Erinnerung. Und der Abspann wartet mit einem heiter-versöhnlichen Bonbon für den Nachhauseweg auf nach dem für Til Schweigers Verhältnisse schon emotional fordernden Zweistünder: Pleiten, Pech und Pannen beim Kennenlernen von Kurt und Lena auf dem Hamburger Jungfernstieg.

Freitag, 16. September 2022