
Schwestern in Käfigen
Kurdwin Ayubs 'Mond'
Der Mixed Material Art-Kampf zwischen Sarah Reisinger (Kinodebüt für die Choreographin und Performerin Florentina Holzinger) und Mandy Böhm, lässt uns der TV-Reporter im Vorspann wissen, war der letzte für die unterlegene Wienerin. Die putzt jetzt ihre zahllosen Pokale und trainiert in einem Studio der Donaumetropole eine junge Frau, welche nicht wirklich an Kampfsport, sondern nur an ihrem Social-Media-Look interessiert ist: „Schauts cool aus?“
Was ihre offenbar in gutbürgerlichen Verhältnissen lebende Schwester und frischgebackene Mutter Bea nach Sarahs Businessplan fragen lässt. Es gibt keinen, aber ein gut dotiertes Jobangebot aus Jordanien vom millionenschweren Unternehmer Abdul Al-Fahadi (Omar Al-Majali): die durchtrainierte Sarah kifft ein letztes Mal mit ihrer Clique, bevor sie sich ins Flugzeug nach Ammann setzt und sich in ein Luxushotel chauffieren lässt. Von ihrem Zimmer im 28. Stock hat sie einen weiten Blick über die Dächer der Hauptstadt, kann sich Pool auf dem Dach vom Bodybuilding im Keller abkühlen und in der Bar noch nach Mitternacht einen Drink nehmen.
Hermetisch abgeriegelte Villa
Tagsüber bringt sie der Chauffeur in eine komplett andere, da hermetisch abgeriegelte, aber nicht weniger luxuriöse Welt weit draußen in wüster Gegend: in der von Bewaffneten geschützten Villa ihres neuen Arbeitgebers, dessen Eltern in Qatar arbeiten, soll sie dessen Schwestern Nour (der jordanische Netflix-Star Andria Tayeh), Fatima (Celina Antwan) und Shaima (Nagham Abu Baker) sportlich stählen – und auch bei ebenfalls stets streng überwachten Ausflügen aus dem goldenen Käfig etwa in ein Einkaufszentrum begleiten.
Zuvor aber muss Sarah einen Kontrakt unterzeichnen: Keine Fotos, kein Handy, kein Internet und die Räume im 1. Stockwerk sind tabu.

Ihre neuen Schützlinge sind nicht wirklich an sportlicher Ertüchtigung interessiert, hängen lieber auf dem Sofa ab, schauen kitschige Seifenopern und lassen sich von der Europäerin beim Shoppen beraten. Bald schaut Sarah hinter die Kulissen ihres Traum-Jobs, wird gewahr, dass mit Aya noch eine vierte Schwester im Haus lebt, die an Schizophrenie erkrankt sein soll und daher mit Medikamenten sediert wird. Und leiht den jungen Frauen heimlich ihr Handy für den verbotenen Kontakt zur Außenwelt.
Ausbruch aus dem Goldenen Käfig
Besonders Nour drängt darauf, auszubrechen. Und überredet Sarah dazu, ihnen zu helfen: Mit neuer Kleidung einschließlich Hidschāb versehen steigen sie zu ihr ins Auto, doch bei der Ausfahrt des Parkhauses endet der Fluchtversuch kläglich. Die desillusionierte Wienerin kann sich glücklich schätzen, nach Hause und ins besagte Athletikstudio zurückkehren zu dürfen. In der letzten Einstellung scheint Sarah aber wieder im Nahen Osten unterwegs zu sein, nicht die einzige Irritation eines ansonsten über 93 Minuten sehr realistischen Films…
Brechend mit White Savior-Stories und Soap Opera-Prämissen hat die kurdisch-österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub einen zum Ende hin zunehmend fesselnden Thriller auf die Leinwand gebracht als Mittelteil einer mit „Sonne“ (Berlinale 2022) begonnenen Trilogie, die 2026 mit „Sterne“ ihren Abschluss finden soll. Kurdwin Ayub, 1990 im Irak geboren, lotet darin die Grenzen zwischen postmigrantischer, feministischer und popkultureller Erzählkunst aus. Aktuell hat sie mit ihrem ersten Theaterstück „Weiße Witwe", uraufgeführt am 14. Februar 2025 an der Berliner Volksbühne, für Furore gesorgt.
Drang nach Freiheit
Kurdwin Ayub im Grandfilm-Presseheft: „Der Drang nach Freiheit, den Nour verspürt, steht in krassem Gegensatz zur Leere und Einsamkeit, die Sarah in Österreich fühlt. Nour will aus ihrem Käfig ausbrechen, Sarah wünscht sich ihren insgeheim zurück. Es geht also um Schwestern, egal woher sie kommen, und um Käfige, egal wo sie stehen. Hilft Sarah einer anderen Frau und begibt sich damit womöglich in Gefahr? Wem kann sie glauben, wem vertrauen? Hilft sie ihr, auch wenn sie nicht weiß, was wahr ist und wer Recht hat? Und wem glauben wir? Würden wir helfen?“
Regisseurin in Köln
Gedreht vom 24. April bis 18. August 2023 in Jordanien und Wien ist der 92-minütige Film „Mond“ am 11. August 2024 beim Int. Filmfestival Locarno/Schweiz uraufgeführt und mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet worden. Zum Kinostart am Donnerstag, 27. März 2025 kommt die Regisseurin Kurdwin Ayub um 20 Uhr ins Filmhaus Köln (Maybachstraße 111). Bei uns zu sehen im Roxy Dortmund, in der Galerie Cinema Essen und im Bambi Düsseldorf, am 10. April 2025 um 20 Uhr auch in der Bastion Bochum (Karl-Lange-Straße 53 unweit Ruhrstadion).
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- Donnerstag, 27. März 2025