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Die vierbändige Neapolitanische Saga Elena Ferrantes ist auch, und in der Bochumer Adaption vor allem die Geschichte der beiden Freundinnen Elena „Lenú“ Greco (Jele Brückner) und Raffaela „Lila“ Cerullo (Stacyian Jackson).

Sechs Stunden sind kein Tag

„Meine geniale Freundin“ in Bochum

Die zwischen 2011 und 2014 erschienene vierbändige „Neapolitanischen Saga“ der unter Pseudonym schreibenden Autorin Elena Ferrante ist zuallererst die wohl autobiographisch grundierte Geschichte der erfolgreichen, nur „Lenú“ genannten Schriftstellerin und Ich-Erzählerin Elena Greco und ihrer höchst ambivalenten Beziehung zu ihrer Klassenkameradin und besten Freundin Raffaella Cerullo (Stacyian Jackson), von ihr Lila, von allen anderen, warum auch immer, Lina genannt.

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Spannendes Zeitpanorama

„Wir waren arm und mussten reich werden, wir hatten nichts und mussten es schaffen, alles zu haben“: Auf 2180 Seiten entfaltet sich zugleich ein zumal für die heutige Generation hochspannendes Zeitpanorama der späten 1960er und auch in Italien hochpolitischen 1970er Jahre mit besonderem Fokus auf den prekären Stadtteil Rione, aus dem beide Freundinnen lange nicht hinauskommen. Das Schusterskind Lila und Lenú, Tochter eines städt. Pförtners, sind sozialistisch eingestellt, Letztere wird später die Kommunisten unterstützen: Ihr gemeinsamer Feind sind die Brüder Michele (Jakob Schmidt als Mafioso-Hänfling) und der ausgerechnet mit Lenús Schwester verheiratete Marcello (in Bochum gestrichen) aus der postfaschistischen Solara-Familie, die später auf offener Straße erschossen werden.

Jeder der vier Bände, wobei der Titel des ersten, „L’amica geniale“, dem sechsstündigen Ereignis im Schauspielhaus Bochum den Namen gibt, beginnt mit einer fünfseitigen Aufzählung der handelnden Personen aus neun Familien, der vier Grundschul- und Gymnasiallehrer sowie der auf Ischia lebenden Cousine einer der Lehrerinnen. Da musste der Bearbeiter Koen Tachelet schon beim Figurenarsenal kräftig den Rotstift betätigen, immerhin stehen noch neun Darsteller in 21 Rollen auf den Brettern an der Bochumer „Kö“. Da kann man schon ‘mal durcheinanderkommen.

Multimediale Inszenierung

Die erfolgreiche Schriftstellerin „Lenú“ (Jele Brückner, Mitte) zwischen zwei Männern, Bruno Soccavo (mit Elvis-Tolle: Oliver Möller) und der Liebe ihres Lebens, Nino Sarratore (William Cooper), dem Vater ihrer dritten Tochter Imma.

Zumal die multimediale Inszenierung des Hausherrn Johan Simons („Netflix-Serie auf der Bühne“) ordentlich aufs Tempo drückt: auf der stets rotierenden Drehbühne (kongeniale Piazza mit zwei Balkonen und Zuschauertribüne: Wolfgang Menardi) sind zwei Live-Kameras stets auf die Protagonistinnen gerichtet. Zwar sorgen historische Aufnahmen aus der Nachkriegszeit Neapels und charakteristische Filmschnipsel des italienischen Neorealismus für Zeitkolorit, im Mittelpunkt der Adaption aber stehen deutlich zwei (nicht mehr ganz so) junge Frauen, die beide mit 36 Jahren noch einmal Mutter werden.

Weshalb sich Johan Simons in für ihn typischer Manier die Freiheit nimmt, Lilas ersten Gatten Stefano Caracci (Guy Clemens) als Weichei mit Krawatten-Problem zu zeichnen, was über die stets vorhandene Ironie der literarischen Vorlage weit hinausgeht. Vielleicht will der Regisseur aber auch nur die vom Intendanten zu verantwortende Schieflage im Bochumer Ensemble ausgleichen: die Stuttgarterin des Jahrgangs 1966 und die Rotterdamerin des Jahrgangs 1989 spielen gleichaltrige Freundinnen. Und die 1976 im thüringischen Wartburgkreis geborene Karin Moog stemmt mit Lenús, Lilas und Pasquales Mutter, der Gymnasiallehrerin Galiani sowie mit Lenús Schwiegermutter gleich eine Handvoll Altersrollen - bravourös.

Großartiges Event

Genug der Meckerei. „Meine geniale Freundin“ ist wie zuvor Simons’ Dostojewski-Brocken ein großartiges Event. Zu dem die häufig slapstickhafte Inszenierung des Intendanten (Übertreibungskünstler Ole Lagerpusch als Gast) ebenso beiträgt wie das furiose Wechselspiel der Rollen, wenn etwa Lenús Text über Pietro Airota von diesem selbst vorgetragen wird. Und dass nicht nur Ninos Verführungskünste choreografisch umgesetzt, sondern auch die zahlreichen Gewaltszenen familientauglich umschifft werden, ist nicht das geringste Verdienst Johan Simons‘. Ganz zu schweigen vom nostalgiegesättigten Soundtrack und der allerdings nur für Romankenner zu goutierenden akustischen Umsetzung des „Hochzeitsfotos“ im neueröffneten Schuhgeschäft.

Lila (Stacyian Jackson) muss sich einiges anhören von Nunzia Cerullo (glänzt gleich in mehreren Mutterrollen: Karin Moog), im Hintergrund Abenaa Prempeh und Ole Lagerpusch. Foto:

„Mit dir kann man keine richtige Beziehung haben, für dich zählen nur die Arbeit und Tante Lina; es gibt nichts, was nicht davon verschlungen wird, die eigentliche Strafe für Elsa ist, hierbleiben zu müssen. Ciao, Mama“: Nach Koen Tachelets Streichung des Schlussteils „Alter. Die Geschichte vom bösen Blut“ könnte man dem Vorwurf von Lenús Tochter Dede zustimmen, dass sich emanzipierte Frauen vor allem um sich selbst kümmern. Lenú, die sich förmlich aus dem Rione herausarbeiten musste in Sprache, Auftreten, Kleidung und Konversation, hat ihre beiden ersten Töchter häufig abgestellt, bei Lila etwa, bei Schwiegermutter Adele Airota in Genua oder bei der Schwägerin in Mailand. Nachzüglerin Imma hat es da besser getroffen, aber am Ende studieren alle drei in Boston bzw. Paris.

Sitzplatz-Wechsel und Antipasti

Zum Event-Charakter gehören natürlich auch der zweimalige Sitzplatz-Wechsel vom Parkett auf die Bühne und retour sowie in der zweiten großen Pause der leckere Vorspeisenteller des Lieblings-Italieners des Intendanten, einer Pasta-Manufaktur an der Hattinger Straße unweit des Schauspielhauses. Die Vorstellungen nach der Premiere am 24. Januar 2025 waren stets so gut wie ausverkauft, weshalb sich Interessenten rechtzeitig um Karten bemühen sollten, der Vorverkauf läuft für alle Termine bis Saisonende.

Die weiteren Vorstellungen (Beginn jeweils 16 Uhr):

Karten

Nur noch Restkarten am Samstag, 29. März, Sonntag, 30. März und Samstag, 19. April 2025.

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Karten in allen Preisklassen sind noch vorhanden am 18. April, 31. Mai, 1. Juni, 14. Juni sowie am 15. Juni 2025. Karten unter schauspielhausbochum.de oder an der Theaterkasse unter Tel. 0234 – 3333 5555.

April
18
Freitag
Freitag, 18. April 2025, um 16 Uhr Schauspielhaus Bochum, Königsallee 15, 44789 Bochum
Weitere Termine (5) anzeigen...
  • Samstag, 19. April 2025, um 16 Uhr
  • Samstag, 31. Mai 2025, um 16 Uhr
  • Sonntag, 1. Juni 2025, um 16 Uhr
  • Samstag, 14. Juni 2025, um 16 Uhr
  • Sonntag, 15. Juni 2025, um 16 Uhr
Vergangene Termine (2) anzeigen...
  • Samstag, 29. März 2025, um 16 Uhr
  • Sonntag, 30. März 2025, um 16 Uhr
Freitag, 28. Februar 2025 | Autor: Pitt Herrmann