Das Leben der Lee Miller
Model, Muse, Fotografin
Update, Donnerstag (10.10.2024)
Weiterhin zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Dortmund, in der Schauburg Gelsenkirchen, im Eulenspiegel Essen und im Cinema Düsseldorf.
Der Kino-Text
Ein junger Journalist (Josh O’Connor) interessiert sich für die Lebensgeschichte Lee Millers, einst begehrtes Model, umschwärmte Muse, engagierte Mode- und Kriegsfotografin. Diese, inzwischen recht betagt (die Maske hat bei Kate Winslet ganze Arbeit geleistet), reagiert zunächst erstaunt bis zurückhaltend, erinnert sich dann aber doch an ein ereignisreiches Leben.
Südfrankreich im Jahr 1938. Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Viel nackte Haut beim Essen unter Künstlern und Intellektuellen unterm blauen Himmel – und reichlich Küchenpsychologie in den Gesprächen. Die Muse des Avantgarde-Fotografen Man Ray (Sean Duggan) ist es leid, ihren Körper auszustellen, sei es als Mannequin oder Kunst-Objekt. Hitlers opulent inszenierte Geburtstagsfeier läuft in den französischen Fernsehnachrichten, was der heiteren Frühlingsstimmung keinen Abbruch tut.
Fotografin statt nur Fotoobjekt
London 1940. Kurz vor dem „Blitz“, wie der Beginn des Zweiten Weltkriegs auch im angelsächsischen Raum benannt wird, folgt Lee Miller der Liebe ihres Lebens, dem Kunsthändler und Maler Roland Penrose (Alexander Skarsgård), in seine Heimatstadt. Sie möchte endlich selbst Fotografin sein statt nur Fotoobjekt – und erhält gegen den Widerstand ihrer rechten Hand Cecil Beaton (Samuel Barnett) einen Job von Audrey Withers (Andrea Riseborough), der Chefredakteurin der britischen Ausgabe des US-Lifestyle-Modemagazins „Vogue“.
Als diese ihr wider Erwarten sogar erlaubt, als Fotografin an die Front zu gehen, bekommt Lee Miller 1944 als Amerikanerin eine Akkreditierung der US Army. Setzt, als Frau, zu ihrem Bedauern erst nach dem D-Day im Gefolge der Alliierten über den Kanal. An der Seite ihres jüdischen Fotografen-Kollegen David E. Scherman (Andy Samberg), den sie im hart umkämpften Saint Malo trifft, kann sie die Befreiung von Paris dokumentieren. Und später ikonische Bilder von den Überlebenden der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald machen, die sie selbst bis an ihr Lebensende nicht mehr loslassen werden.
In der Badewanne Adolf Hitlers
Ikonisch auch ein Foto, auf dem sie selbst erscheint – in der Badewanne Adolf Hitlers in dessen Münchner Wohnung, die nun von den Siegermächten als Casino genutzt wird. David hat es geschossen, ihrem im letzten Kriegsjahr unverzichtbaren Duo-Partner: beide konnten sich in den heikelsten Situationen aufeinander verlassen. 1945 mit der ganzen Foto-Ausbeute zurück in London. Doch die Hoffnung, ihre Bilder etwa aus Buchenwald würden in der britischen „Vogue“ erscheinen, erfüllen sich nicht. Lee Miller zerschneidet aus Wut zahlreiche Negative.
Melodramatisch gestaltet sich das Wiedersehen mit der Journalistin Solange D’Ayen (Marion Cotillard), ihrem Mann Paul Éluard (Vincent Colombe) und der nun mit ihm verheirateten Surrealistin Nusch Éluard (Noémie Merlant). Es findet auf der Interview-Ebene mit dem Journalisten eine Entsprechung in der Offenbarung Lees, als Kind vergewaltigt worden zu sein – ein Trauma, das sie nie abschütteln konnte. Ein sehr aufwühlendes privates Finale geht man davon aus, dass der namenlose Journalist für Lees Sohn Tony steht.
Spektakuläre Kate Winslet
Gemeinsam mit Antony Penrose, begann Kate Winslet bereits 2016 mit der Entwicklung der Verfilmung der Lebensgeschichte Lee Millers. Ab 1997 begann er den Nachlass seiner zwanzig Jahre zuvor verstorbenen Mutter zu sichten, den er auf dem Dachboden des Elternhauses, dem Farley Farm House in East Sussex, entdeckte. Der Fund, bestehend aus etwa 60.000 Negativen, Abzügen und Manuskripten, wurde zum Grundstock des von ihm geleiteten „Lee-Miller-Archives“.
Im Vordergrund von „Die Fotografin“ steht der prägendste Lebensabschnitt Lees als Kriegsberichterstatterin. Kate Winslet gibt mit spektakulären Nacktszenen hoffentlich den Türöffner für ein Publikum, dass mit Nazi- und Holocaust-Geschichten abgeschlossen hat. Regie führte die ehemalige Kamerafrau Ellen Kuras („Eternal Sunshine of the Spotless Mind“), das Drehbuch stammt von Liz Hannah („The Post“), Marion Hume und John Collee. „Lee“, so der Originaltitel, basiert auf der von Antony Penrose verfassten, 1985 in London erschienenen Biografie „The Lives of Lee Miller“ („Immer lieber woandershin - Die Leben der Lee Miller“).
Das 117-minütige Biopic ist am 9. September 2023 beim Toronto Film Festival uraufgeführt worden, Deutsche Erstaufführung war am 2. Juli 2024 auf dem Filmfest München. Zum Kinostart am 19. September 2024 bei uns zu sehen im Casablanca und Union Bochum, in der Dortmunder und der Gelsenkirchener Schauburg, im Eulenspiegel Essen sowie im Cinema Düsseldorf.