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Ein breites Bündnis von Experten aus Wissenschaft, Fachpolitik und Praxis ruft zu einem „Nationalen Fonds Kinder- und Jugendhilfe“ auf (Symbolbild)

Erklärung zum Start der neuen Bundesregierung

Nationale Fonds für Kinder- und Jugendhilfe gefordert

Mainz/ Hildesheim. Ein breites Bündnis von Experten aus Wissenschaft, Fachpolitik und Praxis ruft zu einem „Nationalen Fonds Kinder- und Jugendhilfe“ auf. Mit diesem auf zehn Jahre angelegten Fonds in Höhe von insgesamt 10 Milliarden Euro sollen dringend notwendige Investitionen in die kommunale Infrastruktur, den Kinderschutz und gleich- wertige Lebensverhältnisse für junge Menschen in ganz Deutschland finanziert werden.

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Mehr Schutz für Kinder

Die Kinder- und Jugendhilfe umfasst Angebote von den Frühen Hilfen über Kindertagesstätten bis hin zum Kinder- und Jugendschutz und stellt damit die bedeutendste soziale Infrastruktur für alle jungen Menschen und Familien in Deutschland dar. Jährlich nutzen Millionen Kinder, Jugendliche und Eltern Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, die von über 550 Jugendämtern, freien Trägern und Vereinen mit zusammen mehr als einer Million Fachkräften erbracht werden. Bundesweit wurden im Jahr 2023 gut 1,2 Millionen junge Menschen und Familien durch eine erzieherische Hilfe erreicht. Knapp 65.000-mal mussten Jugendämter eine Kindeswohlgefährdung feststellen und den betroffenen jungen Menschen verlässlich Schutz und Hilfe anbieten.

Dennoch wird diese zentrale Infrastruktur politisch oft nur als Anhängsel von Schule oder Familie betrachtet und erhält nicht den nötigen Stellenwert. Prof. Dr. Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim betont: „Die Kinder- und Jugendhilfe ist weit mehr als nur ein ergänzendes System zu Schule oder Familie – sie begleitet, unterstützt, schützt und stärkt junge Menschen und leistet einen zentralen Beitrag zur Verwirklichung der Rechte von Kindern Jugendlichen und jungen Erwachsenen, für den sozialen Zusammenhalt, Bildungsgerechtigkeit und Demokratiebildung.“

In vielen Kommunen macht sich ein drastischer Investitionsstau schmerzhaft bemerkbar: Marode Einrichtungen, fehlende Betreuungsplätze und überlastetes Personal gefährden mancherorts bereits eine verlässliche Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Familien. „Die Kom- munen können die enormen Finanzierungslücken nicht mehr aus eigener Kraft schließen“, warnt Heinz Müller (ism gGmbH) und fordert entschlossenes Gegensteuern von Bund und Ländern. „Ohne frisches Geld vom Bund lassen sich die strukturellen Probleme nicht lösen. Ein nationaler Fonds würde den dringend nötigen Innovationsschub geben, um überfällige Reformen anzustoßen – ohne dabei die Verantwortung der Kommunen in Frage zu stellen.“ Ein solcher Fonds dürfe also keinesfalls kommunale Pflichtaufgaben ersetzen, sondern müsse gezielt zusätzliche Mittel für Zukunftsaufgaben bereitstellen.

'Kommunale Jugendhilfe unter Druck'

„Gerade in strukturschwachen Regionen wird deutlich, wie sehr die kommunale Jugendhilfe unter Druck steht“, betont Stephanie Jordan, Jugenddezernentin der Stadt Herne. „Viele Städte sind durch hohe soziale Belastungen, knappe Haushalte und einen enormen Fachkräf- temangel doppelt gefordert. Wenn wir den Kindern und Jugendlichen wirklich gerecht werden wollen, braucht es jetzt eine echte gemeinsame Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Län- dern und Kommunen. Eine gezielte Fachkräfteoffensive und Investitionen in digitale Infrastruk- tur sind entscheidende Bausteine, damit wir als Kommunen handlungsfähig bleiben – und die Jugendhilfe zukunftsfest gestalten können.“

Angesichts klammer Kassen vieler Städte und Kreise sei ein starker finanzieller Impuls des Bundes unerlässlich, um eine bundesweite Kraftanstrengung für die Jugendhilfe zu ermögli- chen. „Als Kommune spüren wir jeden Tag, wo die Lücken klaffen – ob in der Kita, im Kinder- schutz oder in der Schulsozialarbeit. Wir stehen bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber wir brauchen dafür auch die nötigen Mittel. Der Fonds wäre ein starkes Signal: Kinder und Jugendliche sind nicht das Anhängsel der Politik – sie sind ihr Herzstück.“ - betont Christel Sprößler, Sozial- und Jugenddezernentin Landkreis Darmstadt-Dieburg

Schwerpunkte

Um die Kinder- und Jugendhilfe zukunftsfähig aufzustellen, skizziert der Aufruf vier strategi- sche Schwerpunkte, in die die Fondsmittel fließen sollen:

1. Stärkung der kommunalen Infrastruktur: Ziel ist es, inklusive Angebote passgenau auf die Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und Familien auszurichten, Doppelstrukturen abzubauen und Bürokratie zu reduzieren. Interkommunale Zusammenarbeit und Modellprojekte – etwa bei komplexen Hilfebedarfen – werden angeregt, damit alle Kommunen voneinander profitieren können.

2. Ausbau und Modernisierung von Einrichtungen: Mit Hilfe des Fonds sollen Kommunen nötige Sanierungen, energetische Modernisierungen und Erweiterungen ihrer Einrichtungen angehen können, die sie aus eigenen Mitteln kaum stemmen können. Moderne, barrierefreie Gebäude und Räume vor Ort sind die Voraussetzung dafür, dass Kinder und Jugendliche sich wohlfühlen und bestmöglich gefördert werden können.

3. Fachkräfteoffensive: Qualifiziertes Personal ist das Rückgrat der Kinder- und Jugendhilfe. Doch es fehlt bundesweit an genügend Erzieher:innen, Sozialarbeiter und weiteren Fachkräften. Der Fonds soll eine Fachkräfteoffensive unterstützen – von mehr Studien- und Ausbildungsplätzen bis zur beschleunigten Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse – und spezielle Programme zur Fachkräftegewinnung fördern.

4. Digitale Innovation und Entbürokratisierung: Gesellschaftlicher Wandel und neue Lebenswirklichkeiten junger Menschen erfordern innovative Konzepte. Mit Fonds-Mitteln sollen digitale Angebote und Beteiligungsprojekte für Jugendliche erprobt und etabliert werden. Gleichzeitig soll der Abbau von Bürokratie vorangetrieben werden – etwa durch klare Zuständigkeiten an Schnittstellen zwischen Jugendhilfe, Schule, Arbeitsförderung und Gesundheitssystem, damit Hilfen nahtlos greifen. Eine Digitalisierungsstrategie mit einheitlichen Standards und Fortbildungen soll die Verwaltung und Vernetzung in der Jugendhilfe modernisieren.

Zentrales Finanzierungsinstrument

Der vorgeschlagene Bundesfonds – dotiert mit 10 Milliarden Euro über zehn Jahre – würde als zentrales Finanzierungsinstrument dienen, um die Infrastruktur und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe grundlegend zu stärken und gleichwertige Lebensverhältnisse für alle jungen Menschen in Deutschland zu schaffen. „Die Kinder- und Jugendhilfe ist eine Zukunftsschmiede unserer Gesellschaft – hier werden Chancen geschaffen, Teilhabe ermöglicht und Zusammen- halt gestiftet. Aber ohne zusätzliche Investitionen von Bundesseite geraten die Kommunen zunehmend an ihre Grenzen. Ein nationaler Fonds würde uns den nötigen Spielraum verschaffen, um die Qualität zu sichern und jungen Menschen echte Perspektiven zu eröffnen.“ – Patrik Lauer, Landrat Landkreis Saarlouis, Vorsitzender des Saarländischen Landkreistages.

Er soll als Hebel wirken, mit dem Bund, Länder und Kommunen gemeinsam einen bundesweiten Kraftakt für die nächste Generation stemmen. „Die Jugendämter stehen tagtäglich im Zent- rum des Geschehens, wenn es darum geht, junge Menschen zu schützen, zu fördern und zu begleiten. Aber gute Jugendhilfe fällt nicht vom Himmel – sie braucht eine verlässliche Infrastruktur, ausreichend Personal und politische Rückendeckung. Ein nationaler Fonds wäre ein dringend nötiger Aufbruch in eine handlungsfähige Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe,“ be- tont Iris Bothe, Stadträtin für Jugend, Bildung, Integration und Soziales der Stadt Wolfsburg. Organisatorisch könnte der Fonds analog zur erfolgreichen Bundesstiftung „Frühe Hilfen“ als eigenständige Einheit auf Bundesebene aufgesetzt werden, um die Mittel strategisch und un- bürokratisch zu vergeben. Jede Kommune würde daraus einen finanziellen Beitrag erhalten, orientiert an Einwohnerzahl, Sozialindikatoren und spezifischen Bedarfen – verbunden mit klaren Leitlinien, aber ohne aufwändige Hürden. „Wir brauchen jetzt ein entschlossenes Signal der Politik, damit die Kinder- und Jugendhilfe nicht länger das Stiefkind der Sozialpolitik bleibt“, unterstreicht Prof. Schröer die Dringlichkeit. „Kinderschutz und Kinderrechte dulden keinen Aufschub – die Zeit zum Handeln ist jetzt.“

Heinz Müller, Geschäftsführer ism gGmbH, hebt die langfristigen Vorteile einer solchen Investition hervor: „Jeder in die junge Generation investierte Euro zahlt sich mehrfach aus – in Form von besseren Bildungschancen, zukünftigem Fachkräftenachwuchs und einem starken demokratischen Miteinander. Eine robuste Jugendhilfe bedeutet, dass alle jungen Menschen – un- abhängig von Herkunft oder Einkommen der Eltern – faire Chancen auf Bildung, Teilhabe und persönliches Wohlergehen haben.“ Familien würden entlastet, weil sie sich darauf verlassen könnten, dass von der verlässlichen Kita-Betreuung bis zur Beratung in Krisensituationen gute Angebote bereitstehen. „Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, bei Kindern und Jugendlichen zu sparen – im Gegenteil: Es sind Investitionen in die Zukunft unseres Landes“, so Manuela Kastrup, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter. Zugleich sei es eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber der nachwachsenden Generation, jetzt entschlossen in Strukturen zu investieren – denn sie wird jene Schulden zurückzahlen müssen, die die heutige Politik zur Bewältigung der Krisen aufgenommen hat.

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Viele haben bereits unterzeichnet

Der Aufruf „In die Zukunft der Kinder, Jugendlichen und Familien investieren – Für starke kommunale Strukturen und eine zukunftsfähige Kinder- und Jugendhilfe“ findet schon jetzt breite Unterstützung. Über 350 Professoren, Fach- und Spitzenverbände, Jugendämter und Einrichtungen haben ihn bereits unterzeichnet. Mit ihrer gemeinsamen Forderung wollen sie ein deutliches Signal an die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen senden, der Kin- der- und Jugendhilfe endlich höchste Priorität einzuräumen. „Es geht um nicht weniger als die 4 Zukunft der jungen Generation und damit die Zukunft unserer demokratischen Gesellschaft“, betont Wolfgang Schröer. „Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden – mit Mut, Weitsicht und einer Investition, die sich vielfach auszahlen wird.“

Freitag, 11. April 2025 | Quelle: Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism gGmbh)