
Der Breitengrad der Liebe
Neu im Kino: Cold War
Pawel Pawlikowskis biographisch grundierter Spielfilm Cold War – Der Breitengrad der Liebe erhielt nach der Uraufführung im Wettbewerb des 71. Festivals in Cannes 2018 die Palme für die Beste Regie. Am 15. Dezember 2018 kann Jaroslav Kaminski in Sevilla den Europäischen Filmpreis 2018 in der Kategorie Bester Schnitt entgegennehmen. Das Bochumer Kino Casablanca stellt den Film am Sonntag, 25. November 2018, um 18 Uhr in einer Sondervorstellung mit der Filmexpertin Lidia Jansen vor und lädt anschließend zur Publikumsdiskussion ein.
Wir begrüßen die Zukunft verkündet ein Banner über dem Portal eines beinahe im Schlamm versinkenden Herrenhauses. Im Polen des Jahres 1949, das immer noch unter den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs leidet, sucht der Komponist Wiktor (Tomasz Kot) nach traditionellen Melodien für sein neues Tanz- und Musik-Ensemble Mazurek. Warschau ist noch zerstört, so weicht er auf ein Landgut aus, obwohl es dort nicht nur an Elektrizität mangelt. Liebe ist Liebe, und das war‘s: Gleich beim ersten Anblick ist Wiktor von der blonden Studentin Zula (Joanna Kulig) elektrisiert. Sie hat bei einem Vergewaltigungsversuch ihren Vater getötet und ist auf Bewährung aus der Haft entlassen worden. Schön, hinreißend und energiegeladen ist sie Sängerin Zula schon bald der Mittelpunkt des neuformierten Ensembles und die beiden verlieben sich leidenschaftlich ineinander.
Partei, Volk, Vaterland steht auf dem Banner des Warschauer Theaters, in dem die begeisternden jungen Leute 1951 auftreten. Die Kommunistische Partei vereinnahmt Mazurek sogleich für eigene Zwecke und schickt die Sänger und Tänzer 1952 in die Hauptstadt der DDR zum Internationalen Jugendfestival der FDJ. Der Parteifunktionär Kaczmarek (Borys Szyc) scheut nicht vor brutalen Mitteln zurück, um seine Truppe beisammenzuhalten, der er eine glorreiche Zukunft verspricht: „Heute Berlin, morgen Moskau.“
Wiktor nutzt die noch offene Fronstadt zur Flucht in den Westen, Zula wird von Kaczmarek daran gehindert, ihm zu folgen. 1954 verdingt er sich als Barpianist in einer Pariser Jazzcombo, als er Zula wiedertrifft – Mazurek bereist nun auch den kapitalistischen Westen. Beide behaupten, gebunden zu sein – doch glücklich sehen sie dabei nicht aus. Neue Lieder mit internationalem Format bestimmen nun das Repertoire, als Zula mit der Truppe 1955 in Jugoslawien gastiert – und Besuch von Wiktor bekommt. Doch bevor sie sich sprechen können, wird Wiktor vom Geheimdienst in den ersten Zug gesetzt, der das offiziell neutrale Land nach Frankreich verlässt, wo er immer noch als Staatenloser lebt. Zwei Jahre später kommt es in Paris zur nächsten Begegnung: Zula hat einen Italiener geheiratet und kann so frei reisen.
Der Versuch einer gemeinsamen privaten und beruflichen Zukunft scheitert, auch wenn sich der Filmregisseur Michel (Cedric Kahn) und die Dichterin Juliette (Jeanne Balibar) sehr um die beiden bemühen. Doch Zula, die eine Platte mit französischen Chansons aufnimmt, will kein Püppchen in den Händen nur am Profit interessierter Manager sein. Mitten im Kalten Krieg kehrt sie 1959 nach Polen zurück, um sich wieder Mazurek anzuschließen. Und Wiktor? Er folgt seiner großen Liebe, obwohl er weiß, dass ihm wegen Spionage der Prozess gemacht wird. 15 Jahre Arbeitslager lautet das Urteil.
„Was haben wir uns da eingebrockt?“, gesteht Zula ein, als sie ihn im Lager besucht und verspricht, auf ihn zu warten. Mitte der 1960er Jahre ist sie ein Popstar, hat Kaczmarek, der sie einst vergewaltigte, geheiratet und ein Kind bekommen - stets mit dem Ziel vor Augen, Wiktor aus dem Lager zu befreien. Als es soweit ist, hockt ihr ein Wrack gegenüber: die kommunistischen Schergen haben ihm die Finger gebrochen und damit auch den Willen. Zula beschließt für sie beide: „Gehen wir auf die andere Seite, da ist die Aussicht besser“…
Cold War ist - bis auf das allzu melodramatische Finale – längst nicht nur, aber auch die Geschichte der Eltern des Regisseurs. Der echte Wiktor und die echte Zula starben 1989 kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. Sie hatten die letzten vierzig Jahre mehr oder minder zusammen verbracht, trennten und fanden sich immer wieder, sich gegenseitig jagend und bestrafend auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Pawel Pawlikowski: „Sie beide waren starke, wunderbare Menschen, aber als Paar eine unendliche Katastrophe.“ Über das Biographische hinaus stellt der Film zeitlose Fragen: Wie überlebt man im Exil, wenn man sich selbst und seiner Kultur treu bleiben will? Wie gelingt es, Anstand und persönliche Integrität zu wahren in einem totalitären Staat?
In seinem in Schwarzweiß und dem ungewohnten, fast quadratischen Academy-Format (1:1,33) gedrehten Meisterwerk Zimna Wojna erzählt der 1957 in Warschau geborene und seit 1977 in Großbritannien lebende Regisseur (Oscar für „Ida“, 2013) von der schier unbändigen, zutiefst menschlichen Kraft der Liebe. In so magischen wie sinnlichen Bildern, für die der Kameramann Lukasz Zal verantwortlich zeichnet, überzeugt Cold War – Der Breitengrad der Liebe mit seiner Besetzung, für die überragende Joanna Kulig ist es nach Der geheimnisvolle Fremde und Ida bereits die dritte Zusammenarbeit mit Pawlikowski.
Und er überzeugt mit der intensiven, ja mitreißenden Musik der im übrigen realen, nach dem Krieg vom polnischen Komponisten Tadeusz Sygietynski und seiner Frau, der Schauspielerin Mira Ziminska, gegründeten Gruppe Mazowsze. Beide sammelten in ländlichen Gegenden Polens Volkslieder und entwickelten von traditionellen Bauerntrachten inspirierte Kostüme. Wie das fiktionale Mazurek-Ensemble im Film wurde auch Mazowsze von der kommunistischen Regierung als nützliches Propagandawerkzeug zweckentfremdet. Der rund 90-minütige Film kommt ist jetzt in Deutschland angelaufen und ist im Casablanca Bochum sowie ab 25. November 2018 auch im Kino Endstation im Kulturbahnhof Bochum-Langendreer zu sehen.
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- Sonntag, 25. November 2018, um 18 Uhr