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Mia Goth als Boyse.

Neu im Kino: High Life

Gewächshaus. Eine Treppe, die in ein dunkles Nichts führt. Ein Kind im Laufstall – und ein Astronaut. Es ist ein verwirrendes Bilder-Puzzle, mit dem die Kameraleute Yorick Le Saux und Tomasz Naumiuk in das futuristische Drama der französischen Regisseurin Claire Denis einführen. Die Assistentin von Wim Wenders bei Der Himmel über Berlin hat sich häufig mit Menschen am Rande der Gesellschaft beschäftigt wie in Der Fremdenlegionär (1999), Trouble Every Day (2001) oder Land in Aufruhr (2009). In der knapp zweistündigen Dystopie High Life geht es um eine Gruppe zum Tod verurteilter Straftäter, die mit dem Staat einen trügerischen Deal eingegangen ist: Sie soll lebenswichtige Energieressourcen im All finden und im Gegenzug dafür die Strafe erlassen bekommen.

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Die Reise ohne Wiederkehr führt in den Tiefen des Weltalls. Jenseits unseres Sonnensystems hausen Monte (Robert Pattinson) und seine Tochter Willow (Jessie Ross) als letzte Überlebende der Crew an Bord des Raumschiffs Nummer 7. Steuerungslos und gänzlich isoliert schweben sie durchs All, der Tag nur gegliedert durch Nahrungsaufnahme in besagtem Gewächshaus, Reparaturarbeiten und tägliche Statusreports an die Erde. Vater und Tochter sind der übrig gebliebene Teil einer experimentellen Mission, die sich ihrem letzten und unausweichlichen Ziel nähert – dem Schwarzen Loch, dem Ende von Zeit und Raum.

Juliette Binoche und Robert Pattinson.

In Rückblenden werden die Versuchskaninchen aus der Todeszelle gezeigt bei ihren mehr oder weniger wissenschaftlichen Experimenten von der Fortpflanzung über die Schwangerschaft bis hin zur Geburt - unter strenger Aufsicht einer Ärztin, die ebenfalls ein langes Strafregister hat: Juliette Binoche, kurzfristig eingesprungen für Patricia Arquette, gibt Dr. Dibs als eine Art Doktor Seltsam im All, so verrückt wie gefährlich. Der französische Weltstar erstaunt mit einer ekstatischen Dildo-Szene, die ich der zarten Frau höchstens in einem Film von Michael Haneke zugetraut hätte. Claire Denis, die sich gegen die Klassifizierung Science-Fiction-Film wehrt, über die Strafkolonie in ferner Galaxie: „Eine eine Art Produktions- und Wohngenossenschaft, in der niemand wirklich Befehle erteilt, selbst die Ärztin nicht, deren Aufgabe darin besteht, Sperma wie eine Bienenkönigin zu sammeln. Die Bienenkönigin ist zuständig, aber der wirkliche Anführer, der einzige absolute und unmerkliche Kommandant, ist das Raumschiff selbst, das dafür programmiert ist, sie alle in die Unendlichkeit, in ein Schwarzes Loch und damit in den Tod zu führen.“

Gedreht Ende 2017 in Berlin und Bialystok, vor allem aber in einem kleinen Studio vor den Toren Kölns, in dem einst Rainer Werner Fassbinders fünfteilige TV-Serie Acht Stunden sind kein Tag entstand, verzichtet High Life auf allen technischen Schnickschnack großer Hollywood-Produktionen. Obwohl Robert Pattinson mit dem ganzen Ensemble bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA in der Domstadt ein Astronautentraining absolvierte, spielt die Schwerelosigkeit wie in der Realität, wenn ein Raumschiff nahe an Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, keine Rolle.

Aus selbst gezüchteten Treibhaus-Möhren bereitet Monte einen Brei für sein liebevoll behütetes Baby zu, das wenig später die ersten Schritte im düsteren Gang des zugemüllten Raumschiffs wagt. Menschliche Körper liegen wie Schlafende in Vakuumsäcken, die nach und nach aus einer Luke ins All entsorgt werden. Dem sexuellen Notstand der noch Lebenden sollen Masturbations-Maschinen in einer Fuckbox abhelfen. Körperflüssigkeiten dienen andererseits für wissenschaftliche Experimente – und, wieder zu Trinkwasser recycelt, dem eigenen Überleben. Claire Denis setzt auf poetische, bisweilen aber auch den Rand des Erträglichen streifende Bilder von Verlangen und Begierde, von Leidenschaft und menschlicher Grausamkeit. Zu nennen etwa noch Lars Eidinger, Mitglied im Ensemble Thomas Ostermeiers an der Berliner Schaubühne, als roher und brutaler Chandra, der massiv und zerbrechlich zugleich erscheint. Und der junge Nymphomaniac-Star Mia Gotha als so schöne wie hartnäckig-entschlossene, rebellische Boyse.

Uraufgeführt wurde diese tragische, in vielen Szenen freilich allzu spekulativ-voyeuristisch aufgeladene Geschichte einer allumfassenden Liebe in menschenfeindlicher Umgebung, deren Einzelheiten nicht vorab verraten werden sollten, am 9. September 2018 bei den Internationalen Filmfestspielen Toronto. Den Fipresci-Preis gabs beim Festival San Sebastian und den Preis für die beste Musik (Stuart A. Staples/Tindersticks) beim Festival Ghent International im gleichen Jahr. High Life startet am Donnerstag, 30. Mai 2019, bundesweit in den Kinos und läuft unter anderem in den beiden Bochumer Kinos Metropolis und Casablanca.

Mittwoch, 29. Mai 2019 | Autor: Pitt Herrmann