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Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) und seine Frau Cristina (Maria Fernanda Candido) feiern die Taufe ihres jüngsten Kindes.

Tommaso Buscetta als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra

Neu im Kino: Il traditore

Zum Fest der hl. Rosalia versammeln sich die sizilianischen Mafia-Bosse samt ihrer Familien, sämtlich gläubige Katholiken, zu einer opulenten Feier in einer sorgsam abgeschotteten Luxusvilla vor den Toren Palermos. Hier geht es nicht nur äußerlich so dekadent zu wie im alten Rom: Entsprechend verkleidete Fackelträger beleuchten die abendliche Szenerie, die Darsteller tragen feinste Roben. Die Tafel dieser ehrenwerten Gesellschaft ist überreich gedeckt, es wird musiziert, getanzt und vor allem bürgerlicher Familiensinn demonstriert.

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Schnitt. Rio de Janeiro. Kindstaufe am Zuckerhut, weit weg vom blutigen Alltag sich gegenseitig abschlachtender Mafia-Clans. Aber auch hier streng gesicherter Luxus. Und, was die Misshandlung des wegen Heroinhandels verhafteten Italieners durch brasilianische Beamte im Gefängnis betrifft: die sich als Rechtsstaat verkaufende Demokratie bedient sich der gleichen Mittel wie das organisierte Verbrechen.

Marco Bellocchio ist mit Filmen wie der Kleist-Adaption „Der Prinz von Homburg“, „Buongiorno, notte – Der Fall Aldo Moro“ oder „Sangue del mia sangue“ einer der vielseitigsten italienischen Regisseure. Mit „Il traditore“ („Der Verräter“) stellte er bei der Uraufführung im Mai 2019 im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Cannes ein Mafia-Drama nach wahren Begebenheiten vor, dass einerseits in der Tradition solcher Leinwandepen wie „Der Pate“ steht, andererseits nicht die Verbrecherorganisation, in diesem Fall die Cosa Nostra, in den Mittelpunkt stellt, sondern die Geschichte eines einzelnen Mitglieds der „Familie“.

In den 1960er und 1970er Jahren avanciert der Sizilianer Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) zu einem hochrangigen Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra. Regisseur Bellocchio über seinen Titelhelden: „Tommaso Buscetta ist ein unsteter Mensch und ständig in Bewegung, was sich in seinem Leben und seinen persönlichen Beziehungen widerspiegelt. Er ist ein außergewöhnlicher Mann, intelligent, charmant, entschlossen, mit der Ausstrahlung einer natürlichen Autorität. Ein Mafioso, der nicht nur loyal hinter der Cosa Nostra steht, sondern auch seinen eigenen Prinzipien folgt und keine Angst davor hat, sich mit den Mächtigen anzulegen.“

Ende der 1970er Jahre sehen sich die „Familien“ aus Palermo mit der zunehmenden Macht der Corleonesi und ihres brutalen Clanchefs Salvatore „Totò“ Riina (Nicola Cali) konfrontiert. Diese töten in Missachtung der bisher allgemeingültigen Mafia-Regeln auch Frauen und Kinder. Buscetta geht 1982 daher mit seiner dritten Frau Cristina (Maria Fernanda Candido) und den beiden kleinen Kindern in deren Heimatland Brasilien. Was seine beiden ältesten Söhne Benedetto (Gabriele Cicirello) und Antonio (Paride Cicirello) mit ihrem Leben bezahlen. Aber auch in Südamerika, wo er ein rasch florierendes Drogenhandel-Netzwerk aufbaut, ist er vor der „Organisation“ nicht sicher, wird verraten und von der brasilianischen Polizei in Rio de Janeiro verhaftet.

Als „Don Masino“ 1983 nach Italien ausgeliefert wird, nachdem sein Versuch, mit Strychnin sich selbst das Leben zu nehmen, gescheitert ist, schlägt der nur „Boss der zwei Welten“ genannte Buscetta der Justiz um den unerschrockenen Richter Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi), der bis in höchste Etagen der römischen Politik ermittelt, einen Deal vor: Er ist bereit, als erster bedeutender Mafiaboss den Schweigeeid der sizilianischen Mafia zu brechen und mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Im Gegenzug fordert er Garantien zum eigenen Überleben und dem seiner Familie. Buscetta, darin von seiner jungen Gattin Cristina unterstützt, wird so zum wichtigsten Kronzeugen in den Prozessen der 1980er- und 1990er-Jahre: Getrieben von der Überzeugung, eine Organisation wie die Corleonesis bekämpfen zu müssen, die sich nicht mehr an die von ihm selbst als ehrlich und anständig bezeichneten Werte der Mafia hält, können durch seine Aussagen in Italien und in den USA Hunderte Angehörige der Cosa Nostra verurteilt werden. Darunter ein ehemaliger Gefolgsmann und nun größter Widersacher auf Seiten der Corleonesi: „Pippo“ Calò (Fabrizio Ferracane), der Buchhalter und oberster Geldwäscher der „Familie“. Er selbst überlebt wie sein ehemaliger „Soldat“ Totuccio Contorno (Luigi Cascio) im US-Zeugenschutzprogramm – und stirbt im Jahr 2.000 im Alter von 79 Jahren eines natürlichen Todes an Krebs.

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„Il traditore“ („Der Verräter“), so der italienische Originaltitel, orientiert sich weitgehend an den als bekannt vorauszusetzenden Fakten – bis hin zum final kurz angesprochenen und mit historischen Aufnahmen belegten Prozess gegen den einstigen christdemokratischen Ministerpräsidenten Andreotti, den das tödliche Attentat auf den Richter Falcone am 23. Mai 1992 nicht verhindern konnte. Marco Bellocchios mit 153 Minuten schon sehr langer, aber nie langweiliger Spielfilm, deutsche Erstaufführung war am 3. Juli 2019 beim Filmfest München, offenbart die unheilvolle und weiterhin bestehende Komplizenschaft zwischen Verbrechern und Politikern in Italien. Es ist ein hochspannender, sehr emotionaler - und zutiefst pessimistischer Film, der ursprünglich bereits am 23. April 2020 in unsere Kinos kommen sollte. Ab Donnerstag, 13. August 2020, ist er im Casablanca Bochum, Roxy Dortmund und Astra Essen zu sehen, in der italienischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln nur am Montag, 17. August 2020, um 19:50 Uhr im Casablanca Bochum.

Mittwoch, 12. August 2020 | Autor: Pitt Herrmann