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Rona (Saoirse Ronan) und ihr Vater Andrew (Stephen Dillane) in dessen Wohnbaracke.

Hoffnung auf Selbstheilung

Nora Fingscheidts „The Outrun“

Update, Donnerstag (26.12.2024)

Weiterhin zu sehen im Casablanca Bochum, in der Schauburg Dortmund, im Astra Essen sowie im Atelier und Bambi Düsseldorf.

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Der Kino-Text

Wenn Menschen ertrinken, so die schottische Mythologie, werden sie zu Seehunden, zu Selkies. Bisweilen kehren sie an Land zurück und verwandeln sich wieder in Menschen, die von Mitternacht bis zum Sonnenaufgang tanzen. Dann müssen sie wieder ins Meer zurückkehren. Selkie-Frauen sollen, wenn sie ihr Robbenfell abgelegt haben, besonders schön sein…

Rona (Saoirse Ronan) ertrinkt – in Bier und Schnaps. Indem sie kurz vor Zapfenstreich alle Reste der am Tresen und auf Tischen stehenden Gläser eines Londoner Pubs leert, bis sie der Türsteher Dave (David Garrick) unsanft vor die Tür befördert. Die 29-Jährige stammt ursprünglich aus dem Norden Schottlands und hat sich schon immer für die Natur der einzigartigen Landschaft, in der sie aufgewachsen ist, begeistert. Auf einer der entlegenen Orkney-Inseln bewirtschaften ihre Eltern eine Farm hauptsächlich für Schafe.

Ausschweifendes Leben ist ihr nicht gut bekommen

Rona hat während der Schulzeit Ferienjobs beim Vogelschutz absolviert und folgerichtig in London ihren Master in Biologie gemacht. Aber ihr ausschweifendes Leben in der aufregenden Themse-Metropole ist ihr nicht gut bekommen, Rona ist förmlich abgestürzt. Und nach zehn Jahren erstmals auf die nun allein von ihrer Mutter Annie (Saskia Reeves) bewohnte Farm zurückzukehren, um ihrem betagten, unter einer bipolaren Störung leidenden Vater, der in einer kargen Baracke haust, beim Ablammen und der Kennzeichnung der Neugeborenen zu helfen – und dann möglichst schnell wieder in die Großstadt zurückzukehren. Obwohl ihr der heftige Rückfall nach 90-tägiger Abstinenz in einer Therapiegruppe eine Warnung sein müsste.

Doch daraus wird erst einmal nichts. Rona, deren Eltern seit geraumer Zeit getrennt leben, fühlt sich bald wieder eins mit der rauen Natur der windumtosten Inseln. Erinnerungen an ihre Kindheit (Freya Evans als junge Rona), an ihre gläubige Mutter kehren zurück, werden allerdings immer wieder überlagert von geradezu alptraumartigen Rückblicken auf die Londoner Partynächte in einschlägigen Clubs. Gerade als sie nachts mitten im Steinkreis der archäologischen Ausgrabungsstätte „Ring of Brodgar“ steht, kommen schmerzhafte Erinnerungen an ihre große Liebe auf: Daynin (Paapa Essiedu) hat immer wieder vergeblich versucht, mit ihren Alkoholexzessen fertig zu werden – und sich nun einer neuen Freundin zugewandt.

Rona lernt Calum (Martin Gray) kennen, der den einzigen Laden auf der Insel führt, spricht mit Farmern und Naturschützern, die sie teilweise von früher kennt. Als es zu Weihnachten wetterbedingt weder Fähr- noch Flugverbindungen aufs britische „Festland“ gibt, kann sich Rona vorstellen, ein neues Leben zu beginnen in und mit der Natur. Besonders die für das Überleben der Menschheit bedeutsame Forschung zur Algenzucht weckt ihr Interesse…

Basiert auf autobiografischem Buch der Journalistin Amy Liptrot

„The Outrun“, das mehrfach preisgekrönte autobiografische Buch der Journalistin Amy Liptrot, ist ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Alkoholkrankheit sowie der Flora und Fauna ihrer Heimat, der Orkneyinseln vor der Nordküste Schottlands. In Deutschland ist „Nachtlichter“ 2017 im btb Verlag erschienen. Die Amy des Buches heißt im Film Rona – nach einer schottischen Insel, nicht bezogen auf die Schauspielerin Saoirse Ronan.

Rückblick auf glückliche Zeiten: Rona (Saoirse Ronan) und ihr Freund Daynin (Paapa Essiedu).

Die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt, die schon in „Systemsprenger“ einen harten Kampf der Titelfigur mit den eigenen Dämonen zeigte, ist mit „The Outrun“ ein Film über die Möglichkeiten der Selbstheilung gelungen, der analog zum Buch Hoffnung machen soll. Er ist ganz auf die irische Hauptdarstellerin und Mitproduzentin Saoirse Ronan zugeschnitten, die zudem aus dem Off Passagen der Vorlage vorträgt, die nicht unmittelbar in eine Filmhandlung zu integrieren sind – von geologischen Untersuchungen der Inselgruppe bis hin zur Lebensweise des vom Aussterben bedrohten Wachtelkönigs.

Neben dem Berliner Kameramann Yunus Roy Immer, dessen ungewöhnliche Perspektiven von bewusst eingeengtem Blickfeld bis hin zu grandiosen Natur- und Landschaftspanoramen erst auf der großen Kinoleinwand ihre suggestive Wirkung entfalten, gebührt dem im fränkischen Hof geborenen Editor Stephan Bechinger ein Großteil der Meriten: chronologisch erzählt wäre „The Outrun“ nur eine herkömmliche Geschichte mit essayistischem Einschlag.

Die Uraufführung des vom 21. Juli bis 23. September 2022 auf Orkney und in London gedrehten knapp zweistündigen Films fand am 19. Januar 2024 beim Sundance Film Festival in Park City (USA) statt, die Deutsche Erstaufführung am 17. Februar 2024 im Panorama-Wettbewerb der 74. Berlinale. Zum Kinostart am 5. Dezember 2024 ist „The Outrun“ im Casablanca Bochum, im Capitol Bochum (OmU), in der Schauburg Dortmund, im Astra Essen, in der Schauburg Gelsenkirchen sowie im Atelier Düsseldorf zu sehen.

Dienstag, 3. Dezember 2024 | Autor: Pitt Herrmann