Spaß ohne Risiko mit Nebenwirkung
„Pension Schöller“ am WLT
Philipp Klapproth (wie immer eine Bank: Guido Thurk) ist ein älterer, gutsituierter Rentier, den es von seinem Anwesen in Kyritz an der Knatter hinaus in die große weite Welt zieht. Und seine Nichte Ida (Ensemble-Neuzugang Carolin Leweling), die daheim die Wirtschaft am Laufen hält, mit seiner Abenteuerlust regelmäßig in den Wahnsinn treibt. Da sein Neffe Alfred (Tobias Schwieger) ein Künstlercafé eröffnen will und dabei auf die finanzielle Unterstützung seines Onkels angewiesen ist, begleitet er diesen zu einem besonderen Vorhaben nach Berlin.
Hat sich Philipp doch in den Kopf gesetzt, daheim im Brandenburgischen ein Fürsorgeheim zu eröffnen. Er möchte sich nun zur Vorbereitung in einer „Nervenheilanstalt“ umsehen. Zunächst landen die beiden in einem Café mit recht skurrilen Gästen, zu denen mit dem pensionierten Major von Mühlen (kann auch Knallcharge: Burghard Braun einfach umwerfend in Mimik und Gestik) ein stets unzufriedener Haudegen uralter Schule gehört. Aber auch mit Professor Bernhardy (Mike Kühne) ein eloquenter, in der ganzen Welt umherreisender Wissenschaftler sowie mit Josephine Zillertal (elegante Nervensäge: Ensemble-Neuzugang Arikia Orbán) eine aufstrebende Schriftstellerin mit großen Ambitionen.
Weil das mit dem Anstaltsbesuch nicht so einfach ist, geht Alfred auf den Vorschlag des so reizenden wie schlagfertigen Kellners Franz (Cafébesitzertochter Franziska Schöller mit Menjou-Bärtchen: Ensemble-Neuzugang Lesley-Ann Eisenhardt gewinnt nicht nur Alfreds Herz im Fluge) ein, das Panoptikum Café Schöller flugs zur Anstalt zu erklären. Was noch glaubwürdiger wird, als sich der Chef Ludwig Schöller (Mario Thomanek) als Musiker entpuppt und sich sein Mündel Eugen „Schönner“ (bricht wie ein Tsunami in die illustre Gesellschaft ein: der furiose Ensemble-Neuzugang Jan-Hendrik Kroll), der den Buchstaben L nicht aussprechen kann und diesen stets mit N ersetzt, als klassischer Mime versucht…
„Pension Schöller“, das Lustspiel von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs, uraufgeführt am 7. Oktober 1890 im Wallner-Theater Berlin, hat mit legendären Theaterproduktionen u.a. am Millowitsch-Theater Köln, am Ohnsorg-Theater Hamburg, am Theater am Kurfürstendamm sowie sogar an Frank Castorfs Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, mit allein drei Verfilmungen des Regisseurs Georg Jacoby (1930 und 1952 mit Paul Henckels, 1960 mit Theo Lingen) sowie mit rund einem Dutzend TV-Bearbeitungen eine singuläre Popularität im deutschsprachigen Raum erlangt und bis heute gehalten.
Stürmisch gefeierte WLT-Neuproduktion
Auch die am Premierenabend des 30. November 2024 in Castrop-Rauxel stürmisch gefeierte WLT-Neuproduktion von Regisseur Kristoffer Keudel und Ausstatterin Imme Kachel setzt diese Erfolgsstory fort, gerade weil hier kein Körnchen Staub auf der 134 Jahre alten Posse liegt: Das Figurenarsenal wurde entschlackt, der Text gekürzt und sprachlich unserer Zeit angepasst. Aber auch die Optik ist verjüngt worden: das Interieur der von einer an Gummizellen erinnernden Polsterung eingefassten Bühne erinnert an das Berlin der 1920er Jahre, die besonders bei Arikia Orbán und Jan-Hendrik Kroll schrille Farbigkeit der Kostüme an die bunte Gesellschaft unserer Tage.
Und dennoch, um ein paradigmatisches Beispiel aus dem 1. Akt zu nennen, ist das Korsett der Geschichte unverändert geblieben: der Kellner Jean, der nun Franz heißt – und Franziska ist – kassiert beim ollen Militär, den es nun allerdings nicht mehr nach der Lektüre der Militärwochenzeitung gelüstet, sondern nach der FAZ, immer noch nur „Eins fünfzig“ für fünf Cognac. Die kongeniale, für jede Rolle punktgenaue Besetzung mit neun rundum begnadeten Schauspielern, darunter vier Ensemble-Neuzugängen, sorgt für zwei Stunden Spaß ohne Risiko mit der einzigen Nebenwirkung der Stimulanz des Glückshormons Dopamin.
Die nächsten Vorstellungen
- Freitag, 3. Januar 2025, 20 Uhr, Stadthalle Castrop-Rauxel
- Sonntag, 19. Januar 2025, 18 Uhr, WLT-Studio Castrop-Rauxel
- Sonntag, 16. Februar 2025, 15 Uhr, Theater Marl
- Dienstag, 11. März 2025, 19.30 Uhr Kulturzentrum Herne