
Pilgertour: Auf dem Fahrrad bis nach Peking
13 Fahrradpilger aus Herne und Herten machten sich am Freitag (24. Juli 2015) per Flugzeug auf den Weg nach Riga in Lettland, wo sie ihre Reise Richtung Peking fortsetzten. 2014 war die Gruppe von der Kirche St. Martinus in Westerholt aufgebrochen und bis Riga gefahren - jetzt also die Fortführung über Lettland, Estland und Russland. Bis zum 11. August fahren die Pilger ihr zweites Teilstück auf dem Weg nach Peking und kehren dann wieder heim. Philipp Trzaskowski, einer der Pilger, berichtet von unterwegs per Tagebuch über die Fahrt. Hier seine Mitteilungen über die ersten acht Tage.

Tag 1 - 24. Juli 2015:
Wir sind es gewohnt, dass unsere Pilgerreisen jedes Jahr ein Abenteuer beinhalten. Schwierigkeiten bei der Grenzüberschreitung, Schäden an unseren Rädern oder Verdauungsprobleme durch die Umstellung auf die kulturellen Essgewohnheiten sind uns hinlänglich bekannt. Dass aber unser Abenteuer bereits am Flughafen Düsseldorf beginnt, ist auch für uns erfahrene Reisende neu. Trotz akribischer Planung und Anmeldung der Fahrräder für den Transport hatte die Fluggesellschaft (wir nennen sie mal Air Baltic) keine Kapazitäten mehr frei, um alle Fahrräder in dasselbe Flugzeug zu packen. Sechs Räder mussten daher am Düsseldorfer Flughafen bleiben sowie das Gepäck von Herman. Zunächst drohte es, dass auch mein Rucksack, der als Sperrgepäck aufgegeben werden musste, ebenfalls zurückbleiben musste. Doch plötzlich wurde neben der Bordtoilette ein Sondergepäckfach freigeräumt und einige Koffer konnten mit auf die Reise gehen. Wichtig zu beachten ist bei Geschichte, dass wir in einer besseren Propelermaschine saßen, die Platz für 85 Leute hatte.
Familiäre Atmosphäre sowie einfache Ausstattung beschreiben wohl am besten die Flugbedingungen. Der Osteuropäer fliegt halt einfach, und Verspätungen sind gar kein Problem. Durch unseren Fahrradtransport wurde Air Baltic an ihre logischen Grenzen gebracht, und wir sind mit einer Stunde Verspätung abgehoben.
Am Flughafen in Riga angekommen, wurden sieben Räder zusammengeschraubt, während die anderen die Verlustmeldung aufgaben. Laut Auskunft des Fundbüros sollen die Räder auf die nächsten Maschinen verteilt werden und uns dann in den nächsten Tagen jeweils zum Tagesetappenziel nachgebracht werden. Der Pilger ist genügsam, und wir hoffen daher, dass die restlichen 6 Personen in den nächsten Tagen doch aufs Rad steigen können.
Kurz und gut starteten 7 Radfahrer vom Flughafen über die Schnellstraße zum ersten Hotel, und der Rest nutzte die öffentlichen Verkehrsmittel.
Gefahrene Strecke: 15 km
Gesamtstrecke: 15 km

Tag 2 - 25. Juli 2015:
Die Gruppe ist geteilt. Ein Teil macht typischen Sightseeing-Urlaub in Riga. Besichtigung des Schwarzhäupterhaus und streift durch die Innenstadt, während der andere Teil inklusive unseres Guides Alexander (unser russischer Begleiter aus St. Petersburg im Begleitfahrzeug) sich auf den Weg nach Salacgriva macht. 102 km laut Vorplanung stehen auf dem Programm entlang der Ostseeküste. Wenigstens ein gemeinsamer Auftakt mit einem Kurzimpuls konnten wir noch zusammen erleben. Wir wissen immer noch nicht, wann und welche Fahrräder ankommen werden.
Doch zunächst das Wichtigste der 2. Etappe. Nachdem wir Riga verlassen haben, erschloss sich uns die die wunderschöne Landschaft Lettlands. Es ist nicht karg, allerdings sandig, trocken, und zahlreiche Tannenwälder begleiten uns entlang der Straße.
Zunächst beschränken wir uns auf die europäische Radroute, um Hauptstraßen zu meiden. Allerdings stellen wir gegen Mittag fest, dass wir bei der Gesamtstrecke etwas zu langsam vorankommen. Daher entscheiden wir uns gegen Mittag, die Bundesstraße A1, die Riga und Tallinn miteinander verbindet, zu nutzen. In Gedanken an unsere Freunde in Riga fragen wir uns, ob sie noch besichtigen oder doch schon zum Kaffeeschlürfen übergegangen sind.
Auf der A1 sind 25 km/h kein Problem mehr und innerhalb weniger Stunden erreichen wir unsere zweite Unterkunft. Ein Campingplatz mit Holzhäusern mitten im Wald ist eine mehr als passable Unterkunft. Mittlerweile wissen wir, dass irgendetwas von uns im nächsten Flugzeug nach Riga sein soll. Ob es Fahrräder sind?
Gefahrene Strecke: 112 km
Gesamtstrecke: 137 km

Tag 3 - 26. Juli: Salacgriva - Pärnu
Bei der Etappe 3 standen lediglich 80km auf dem Programm. Mittlerweile musste man "lediglich" sagen, da die Gruppe sich langsam an die Belastung von mehr als 100 km Fahrstrecke für eine Etappe gewöhnte. Leider traten wieder nur 7 Leute den Weg an. Für die anderen 6 hatten wir am Abend zuvor entschieden, dass Sie nach Pärnu vorfahren, um dort bei einem Fahrradverleih brauchbare Räder zu leihen. Wie sich später herausstellen sollte, waren nur einfache Citybikes zu haben. Allerdings war die Dame im Verleih so hilfsbereit, dass Sie im 130 km entfernten Tallinn bei einem anderen Verleih gute Räder anforderte. Diese wurden uns bis nach Pärnu gebracht!
Währenddessen spulten die tüchtigen Pilger auf ihren Fahrrädern ihr Tagesprogramm ab; weiter Richtung Norden und weiter auf der A1, die langsam unser ständiger Wegbegleiter wird. Das Wetter spielte weiterhin mit, obwohl bei einigen Pausen einheimische Letten uns versicherten, dass der Sommer seit Menschengedenken der Kälteste von allen wäre. Im Gegensatz zum letzten Jahr sind die Temperaturen um gut 10°C kälter und liegen meistens bei 23°C.
Tagesetappe: 78 km
Gesamtstrecke: 215 km

Tag 4 - 27. Juli: Pärnu - Estland
Unsere Unterkunft ist ein Harley-Davidson Fan-Club-Hotel. Überall hängen Bilder von außergewöhnlichen Motorrädern (meistens mit freizügigen Frauen als Fahrerinnen), und natürlich stehen zahlreiche Fahrzeuge auf dem Hotelvorplatz. Eins muss man diesem Kult lassen: Kreativ sind die Burschen. Sowohl ein Anhänger im Whiskey-Fass-Aussehen als auch Lenkerkonstruktionen, die der deutsche TÜV unter schwerbedenklich einstufen würde, unterstützen diesen Eindruck.
Gefrühstückt wird mit Heavy-Metall-Musik, und der ein oder andere verkaterte Biker kommt uns entgegen, als wir uns bereits auf die Räder schwingen. 128 km auf der ehemaligen A1 (in Estland unter Bundesstraße 4 bekannt) fahren wir Richtung der Landeshauptstadt Estlands. Natürlich würden wir gerne idyllische Dörfer durchqueren und die unendlichen Kornfelder an uns vorbeiziehen sehen. Allerdings erlauben die Straßenverhältnisse (meistens Schotter) und die sehr lange Etappenlänge nur die Hauptstraße zu benutzen. Daher tauschen wir das Schafegeblöke gegen Transitlärm und die Landluft gegen Autogase ein.
Die Stimmung ist gut und bei tiefsinnigen Gesprächen verfliegen die Kilometer nur so. Tallinn ist wirklich eine Reise wert. Der mittleralterliche Stadtkern erinnert laut unsere Gutenseele Anna Wiemann an das Brettspiel Carcasonne mit seinen kleinen Gassen und Fachwerkhäuser, wobei im äußeren Stadtring sich ein Bankenviertel anschließt, das ähnlich imposant auf uns wirkt. Riga und Tallinn haben viele Parallelen als alte Hansestädte, jedoch bietet Tallinn einen erhaltenen Stadtwall und aufgrund einiger Erhebungen einen tollen Blick über die Dächer der Stadt. Man könnte glatt vergessen, dass morgen die Reise weitergeht.
Tageetappe: 128 km
Gesamtstrecke: 333 km

Tag 5 - 28. Juli: Tallinn - Rakvere
Langsam nähern wir uns der Grenze zur russischen Föderation, und weiterhin ist unklar, wann unsere Fahrräder von Düsseldorf die Gruppe erreichen. Penetrantes Belagern der Air Baltic-Hotline hat wenigstens bewirkt, dass die Fortbewegungsmittel mit "High Priority" versehen werden. Ob dies einen wirklichen Mehrwert hat, bezweifeln wir weiterhin stark. Wenigestens ist der Fahrradverleiher unseres Vertrauens so nett, dass wir bis zur Grenze die Leihräder nutzen dürfen. Sogar der Rücktransport wäre sichergestellt.
Für diese Etappe entlang der Ostsee Richtung Osten verspüren wir zum ersten Mal Gegenwind (für uns ungewohnte Umstände) und das Bedürfnis, die Hauptstraßen zu verlassen. Die Umsetzung ist aber nur machbar, da wir eine Parallelstrecke entlang der Bundesstraße auf der Karte ausmachen, so dass sich der Mehraufwand in Grenzen hält. Endlich können wir die wunderschöne Landschaft Estlands in Ruhe genießen. Pausen werden in Absprachen mit unserem Guide an Seen oder verfallenen Burgen gemacht, und die Gruppe gewöhnt sich langsam an diesen festen Tagesablauf, der nicht mehr viel mit dem Alltag in der Heimat zu tun hat.
Unterkunft ist ein Guesthouse in Rakvere. Wem Rakvere kein Begriff ist, dem soll gesagt sein, dass diese Region mit ihrer Kleinstadt der Fleischfuttertrog des Landes ist. Ein Großteil der Fleischprodukte werden hier produziert und ins gesamte Land geliefert. Leider lassen wir uns vom ersten Eindruck des zu unserer Unterkunft gehörigen Restaurants blenden und kommen nicht in den Genuss außergewöhnlicher Fleischgerichte. Es kann natürlich sein, dass wir einfach ein anderes Verständnis von gutem Essen haben.
Tagesettappe: 118 km
Gesamtstrecke: 451 km

Tag 6 - 29. Juli: Rakvere - Narva
Auf der letzten Etappe durch Estland geht es weiter Richtung Osten zur Grenze Russlands. Auf der Etappe stellen wir einmal mehr fest, dass Estland ein sehr schönes und bereisenswertes Land ist. An vielen Stellen hätten wir gerne mehr persönlichen Kontakt zu Einheimischen gehabt, um dadurch etwas mehr die Kultur und den Esten an sich zu verstehen. Aber trotzdem ist das Land für uns kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte. Kulinarisch überzeugt uns Estland dagegen sehr. Viele abwechslungsreiche Gerichte haben wir über die letzten Tage probieren können. Allerdings können wir weniger mit Gewürzgurken und Fischhäppchen in verschiedenstens Soßen zum Frühstück anfangen. Für die meisten dreht sich allein bei dem Geruch der Magen um. Dagegen kann Familie Stoffers gar nicht genug davon bekommen. Wir fragen uns, ob die drei nicht Wurzeln in Estland haben.
Ansonsten gibt es kaum Vorkommnisse bis auf zwei Ausnahmen. Seitentaschen am Gepäckträger werden von uns ab sofort mehrfach kontrolliert, da sich eine Tasche auf der Strecke aus der Verankerung löste und einen Sturz verursachte. Zum Glück sind Fahrer (Malte) und sein Bike bei bester Gesundheit. Zum anderen hat die Gruppe endlich IHRE FAHRRÄDER WIEDER. Air Baltic fühlte sich dann doch in der Lage, die Fahrräder in einer Maschine zunächst nach Riga und dann nach Tallinn zu fliegen, um sie dort von einem Logistikunternehmen per Expressversand nach Narva zu transportieren. Schweren Herzens mussten also 6 Personen sich von ihren Leihfahrrädern trennen, die vom Verleiher am nächsten Morgen abgeholt wurden.
Tagesstrecke: 128 km
Gesamtstrecke: 579 km

Tag 7 und 8 - 30./31. Juli: Narva - St. Petersburg und Ruhetag in St. Petersburg
Die Etappe bis nach St. Petersburg darf zurecht als die Königsetappe der Tour bezeichnet werden. Bereits durch die Vorplanung war klar, dass 150 km Streckenlänge und der Grenzübertritt eindeutige Vorzeichen für dieses Prädikat waren. Allerdings war uns allen nicht bewusst, dass trotz Guide aus Russland und bester Vorplanung der Landeswechsel drei Stunden dauern sollte. Zunächst muss man dem russichen Staatsapparat zu gute halten, dass er auf den Zug des Internetzeitalters aufgesprungen ist. Um den Grenzübertritt zu "optimieren" und zu "beschleunigen", kann man sich online Zeitfenster buchen. Man wird aber nicht darauf hingewiesen, dass man dieses Fenster erst in einem Büro bestätigen muss, damit die Grenzkontrolleure über unsere Absichten vorab informiert werden.
Diese Information bekommen wir erst an der Grenze selbst, so dass unser Guide den Weg zum Büro am anderen Ende von Narva zurücklegen muss. Mit einer Stunde Verspätung passieren wir zunächt die Ausreisekontrolle Estlands ohne Verzögerung und versuchen zeitgleich zum Versorgungsfahrzeug nach Russland einzureisen. Dazu muss ein Einreiseformular ausgefüllt werden, in das dieselben Informationen eingetragen werden müssen, die bereits im Visum vorhanden sind. Mit ernster Miene lassen uns die Beamtinnen passieren und mustern unsere Fahrräder. Vermutlich kommen nicht so häufig Radtouristen hier vorbei.
Beim Fahrzeug sieht es dagegen ein wenig komplizierter aus. Natürlich wird eine intensive Innenraumkontrolle durchgeführt. Schnell stellen die Beamten fest, dass laut offizieller Regularien nur 50 kg Gepäck pro Person transportiert werden dürfen. Im Fahrzeug befinden sich aber nur die erkältete Mechthild und unserer Fahrer. Die Beamten lassen durchblicken, dass dieser Regelbruch mit einer kleinen Einmalzahlung behoben werden kann. Unser Fahrer weist aber energisch darauf hin, dass die restlichen Gepäckbesitzer mit dem Fahrrad gerade die Grenze passiert haben und er diesem Entgegenkommen nicht zustimmen kann. Als Gegenvorschlag bietet er an, die gesamte Gruppe auf dem Fahrrad antanzen zu lassen, um dann jedes Gepäckstück der Einzelperson zuzuordnen. Soweit geht dann die Bürokratie nicht und der Beamte lässt den Wagen weiterfahren. Russe muss man einfach sein. Ohne unseren Guide wären wir einige tausend Rubbel losgeworden.
Auf der restlichen Etappe versuchen wir den erheblichen Zeitverlust aufzuholen. Bei der zweiten Pause an einer orthodoxen Kapelle, an der heiliges Wasser aus einer Quelle sprudelt und der ein oder andere kurz zur Ruhe kommt, beginnt es sindflutartig zu regnen. Die Gruppe entscheidet sich nach dem ersten Guss weiterzufahren, da noch 100 km zu bewältigen sind. An mehren Stellen setzt wieder Starkregen ein. In kürzester Zeit sind alle bis auf die Haut nass und wir kämpfen uns bis nach Vosovo (80 km vor St. Petersburg) durch, wo wir die beste Sojanka der Welt schlürfen dürfen. Vermutlich gibt es noch bessere Suppen, aber sie wärmt, stärk und motiviert uns zum Weiterfahren.
Unser Guide schlägt uns vor, den nächsten Zug zu besteigen. Auch beim zweiten Versuch lässt sich niemand bewegen, ein anderes Transportmittel als sein Fahrrad zu wählen. Die nächsten Kilometer verfliegen wie im Flug, und das Versorgungsfahrzeug wird nur noch als Nachfüllstation für den Bananen- und Müsliriegelvorrat verwendet. Mit dem Willen, diese Etappe zu schaffen, fegt die Gruppe förmlich über die überraschend guten Straßenverhältnisse und erreicht nach 172 km um 20.30 Uhr das Hotel in St. Petersburg.
Der restliche Abend lässt sich knapp zusammen fassen. Duschen, essen, für einige Spaziergang, Bett.
Spruch des Tages: Der Geist ist willig, der Hintern ist wund. (Werner Köhler)
Etappenlänge: 172 km
Gesamtstrecke: 750 km

Am Freitag (31. Juli 2015) ist für uns Ruhetag. Auch für mich nutze ich mal den Tag zum Erholen. St. Petersburg ist in einem Satz gesagt eine sehr beeindruckende Stadt mit 5 Millionen Einwohnern, die mit mächtigen Prunkbauten, die an die griechische Antike erinnern, beeindrucken will. Für die meisten entsteht nach einem ersten Beeindrucktsein ein Gefühl der Kühle und Distanz, das sich nicht ganz ablegen lässt. Ähnlich wie Wien fehlt der Stadt ein wenig Charme. Trotzdem genießen wir den Ruhetag bei gutem Essen, vielen Heißgetränken und Ruhe.
Tagesstrecke: 14 km
Gesamtstrecke: 762 km