halloherne.de lokal, aktuell, online.
Ein Lehrertribunal der besonderen Art: Sunna (Thea Lambrechts Vaulen, hinten l.), Jarle (Øystein Røger, hinten Mitte) und Ajsa (Vera Veljovic, hinten r.) treffen auf Elisabeth (Renate Reinsve).

Halfdan Ullmann Tøndels 'Armand'

Preisgekröntes Langfilmdebüt des Bergman-Enkels

Update, Donnerstag (23.1.2025)

Weiterhin zu sehen im Sweetsixteen Dortmund, in der Galerie Cinema Essen und im Metropol Düsseldorf.

Anzeige: ebk 2025

Der Kino-Text

Eine Frau rast auf schneebedeckter Straße durch ein Waldstück und spricht während der Fahrt per Handy aufgeregt mit ihrem sechsjährigen Sohn Armand. Sie ist von der jungen Lehrerin Sunna (Thea Lambrechts Vaulen) in die Grundschule zitiert worden, also muss etwas passiert sein. Als Armands alleinerziehende Mutter Elisabeth (Renate Reinsve), eine bekannte Schauspielerin, dort eintrifft, ist angeblich nichts Ernstes vorgefallen.

Aber offenbar doch soviel, dass auch die wenig später eintreffenden Eltern von Armands Freund und Klassenkamerad Jon, Sarah (Ellen Dorrit Petersen) und Anders (Endre Hellestveit), zum „freundlichen Gespräch“ mit Sunna und dem bald hinzukommenden Schuldirektor Jarle (Øystein Røger) gebeten worden sind.

Um den heißen Brei herum

Es wird viel um den heißen Brei herumgeredet, Jon soll Armand beschuldigt haben, ihn verletzt zu haben. Was genau vorgefallen ist, bleibt im Unklaren. Aber Armand habe schon mehrfach ein rücksichtsloses Verhalten gegenüber Mitschülern gezeigt und Anders bestätigt, bei seinem Sohn blaue Flecken gesehen zu haben. Nachdem sich Anhaltspunkte für einen möglichen sexuellen Übergriff ergeben, sucht sich die unerfahrene Lehrerin Unterstützung bei ihrer älteren, mit dauerndem Nasenbluten kämpfenden Kollegin Ajsa (Vera Veljovic).

Frühkindliches sexuelles Interesse ist schließlich normal, sogenannte Doktorspiele im Kindergarten zumindest juristisch kein Problem, später in der Schule möglicherweise aber ein Straftatbestand. Sodass der Direktor Jarle alles daransetzt, den Vorfall möglichst unter der Decke zu halten, damit nichts an die Öffentlichkeit dringt. Zumal er und die beiden Lehrerinnen hoffen können, dass sich die ganze Sache in Wohlgefallen auflöst unmittelbar vor den Schulferien zum Jahreswechsel.

Satirischer Grundton

Faizal (Assad Siddique), von Sunna mit dem komplizierten Stand der Dinge vertraut gemacht, komplettiert das Kollegium. Doch die Gemüter der Lehrer wie der Eltern erhitzen sich zunehmend. Die Gesprächsrunde droht zu eskalieren, als persönliche Details wie der vermutete Selbstmord von Sarahs Bruder Thomas, die mit dem Vorfall in der Schule nichts zu tun haben, erörtert werden. Sodass sie immer häufiger unterbrochen werden muss, damit sich die Beteiligten auf den langen Fluren und im großen Treppenfoyer des Schulzentrums abkühlen können. Und das in wechselnden Konstellationen, wobei die offenbare Vertrautheit zwischen Armands Mutter und Jons Vater schon auffällig ist…

Kinofilm 'Armand': Die Situation zwischen Elisabeth (Renate Reinsve, vorne) und Sarah (Ellen Dorrit Petersen, hinten) wird zunehmend angespannter.

Messerscharf und mit satirischem Grundton blickt der 1990 geborene norwegische Regisseur Halfdan Ullmann Tøndel, Enkelsohn von Ingmar Bergman und Liv Ullmann, auf das als friedlichen Austausch zur Wahrheitsfindung ausgerufene Elterngespräch. Schonungslos deckt er die vermeintlich an der Schule gelebten skandinavischen Grundwerte als Konstrukt aus falscher Loyalität und Boshaftigkeit auf: Direktor Jarle hat Angst vor der Öffentlichkeit und davor, zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Tanz droht Film zu sprengen

Sunna hat aus der besten Absicht heraus zum klärenden Gespräch geladen, verliert aber jegliche Objektivität, indem ihre Gefühle für die von ihr bewunderte Elisabeth Überhand nehmen. Die wiederum legt mit der Reinigungskraft Emmanuel (Patrice Demonière) eine von der Choreografin Sigyn Åsa Sætereng entwickelte ausdrucksstarke Tanzszene aufs Parkett, welche nicht nur an ihrer mentalen Verfassung zweifeln lässt, sondern den ganzen realistisch angelegten Film zu sprengen droht. Zu dem der norwegische Kameramann Pål Ulvik Rokseth Bilder beigesteuert hat, die gerade was die kühle Architektur des Schulgebäudes betrifft beim Zuschauer Gefühle der Unsicherheit, ja der Angst hervorruft.

Anzeige: LINKE - Bundestagswahl 2025

Seine Uraufführung feierte „Armand“ am 18. Mai 2024 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes in der Reihe „Un Certain Regard“. Dort wurde Halfdan Ullmann Tøndel für sein Langfilmdebüt mit dem renommierten Preis Caméra d’Or ausgezeichnet. Nach der Deutschen Erstaufführung am 29. September 2024 beim Filmfest Hamburg kommt der knapp zweistündige Film, dessen ursprünglicher deutscher Titel „Elternabend“ zuvor verworfen worden war, am Donnerstag, 16. Januar 2025 in die Kinos. Bei uns zu sehen im Capitol Bochum, im Sweetsixteen Dortmund, in der Galerie Cinema Essen sowie im Metropol Düsseldorf.

Vergangene Termine (1) anzeigen...
  • Donnerstag, 16. Januar 2025
Donnerstag, 16. Januar 2025 | Autor: Pitt Herrmann