Zur Nachhaltigkeit im Vertrieb deutscher Firmen
Studie der FH Dortmund: Grün zahlt sich aus
Europas „Green Deal“ fordert von Unternehmen nachhaltiges Handeln. Vier Wirtschafts-Professoren der Fachhochschule Dortmund haben untersucht, ob Nachhaltigkeit im Vertrieb deutscher Unternehmen nur ein schönes Wort auf dem Papier oder gelebte Praxis ist. Ihr Fazit: Die Firmen haben noch einiges zu tun. Aber wenn sie jetzt handeln, zahlt es sich aus.
Der Vertrieb ist eines der größten Arbeitsfelder in Deutschland und für Unternehmen von essenzieller Bedeutung, um die angebotenen Produkte oder Dienstleistungen an Kunden zu bringen. Etwa jeder zehnte Beschäftigte in Deutschland ist im Vertrieb tätig. „Als Schnittstelle zu Kunden kann der Vertrieb genau einschätzen, ob die steigenden Anforderungen der Nachhaltigkeits-Regulatorik an die Unternehmen umgesetzt und entscheidungsrelevant sind“, sagt Prof. Dr. Sabrina Scheidler, Corporate-Sustainability-Expertin und Mit-Autorin der Studie. Vertriebsmitarbeitenden komme daher eine „Whistleblower“-Funktion zu.
Für die erste große Studie zum Umsetzungsstand der Nachhaltigkeit im Vertrieb haben die Forschenden der FH Dortmund mehrere Hundert Vertriebsmitarbeitende aus verschiedenen Branchen und Hierarchieebenen befragt. Der überwiegende Teil sieht eine wachsende Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit in den Unternehmen und das Potential für einen künftigen Wettbewerbsvorteil. Auch auf Kundenebene ist das Interesse hoch: 84 Prozent fordern Nachhaltigkeitsinformationen aktiv an – etwa den CO2-Fußabdruck oder Herkunftsnachweise für Materialien.
Im Sog der Nachhaltigkeits-Regulatorik
„Die Sogwirkung der Regulatorik zieht an und Aspekte der Nachhaltigkeit sind kundenseitig häufig jetzt schon formale Kriterien der Ausschreibung“, resümiert Prof. Scheidler. „Wenn es dann jedoch um die konkrete Entscheidungsfindung geht, spielen nachhaltigkeitsbezogene Aspekte bislang nur eine untergeordnete Rolle. Auch eine zusätzliche Zahlungsbereitschaft gibt es derzeit kundenseitig nur in geringem Umfang.“ Diese kundenseitig fehlende Wertschätzung für nachhaltige Aktivitäten hinterlässt im Vertrieb seine Spuren, wie ihr Kollege Prof. Dr. Fabian Kubik ergänzt. „Wir stellen in unserer Studie fest, dass eine echte Priorisierung von Nachhaltigkeit im Vertrieb und eine dementsprechende Vertriebssteuerung nur wenig stattfindet. Die Umsetzung ist hier noch zögerlich.“ Nur wenige Unternehmen hätten Nachhaltigkeit in den Vertriebszielen verankert.
„Als Mitarbeitender mache ich das besonders gut und intensiv, wofür ich unternehmensseitig belohnt werde“, erklärt Fabian Kubik. Das gelte insbesondere im Vertrieb, in dem ein variabler, an konkrete Ziele geknüpfter Vergütungsanteil gang und gäbe ist. „Darum müssen Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen auf die individuellen Mitarbeiterziele heruntergebrochen werden. Dabei könne es sich um Zielmarken beim Verkauf nachhaltiger Produkte handeln, aber ebenso um eine umsichtige Planung von digitalen oder Vor-Ort-Terminen.“ Nur so hätten Beschäftigte Klarheit darüber, wie im Sinne der Nachhaltigkeit gehandelt werden sollte und entsprechende Anreize dafür. „Andernfalls kann eine Unternehmensstrategie noch so nachhaltig sein – sie bleibt am Ende der Kette ohne Wirkung“, betont Fabian Kubik.
Grüne Kennzahlen und Leistungsanreize fehlen
In der Übersetzung der Nachhaltigkeitsstrategien in sogenannte KPIs, also in die Kennzahlen für Leistung und Erfolg, sehen die Studien-Autor*en demnach die größten Stellschrauben hin zu mehr Nachhaltigkeit im Vertrieb. Laut Studie hätten lediglich 18 Prozent der Befragten nachhaltigkeitsbezogene Individualziele. „Nachhaltigkeit muss geschäftsrelevant sein“, betont Sabrina Scheidler. Dass die frühzeitige Umsetzung nachhaltiger Vertriebspraktiken einen strategischen Wettbewerbsvorteil darstellt, glaubt nicht nur die Mehrheit der befragten Beschäftigten. Die Autoren der Nachhaltigkeitsstudie können dies auch mit Zahlen belegen.
Dafür haben sie Unternehmen in zwei Gruppen eingeteilt: Nachhaltigkeitsführer haben in diesem Bereich klare und tief verankerte Strategien und setzen Nachhaltigkeitsaspekte aktiv um. Zu den Nachhaltigkeitszögerern zählen Unternehmen, die nur auf Druck von Gesetzen und Vorschriften reagieren, die nur minimale Anstrengungen unternehmen oder beim Thema Nachhaltigkeit sogar blockieren. „Bei den Nachhaltigkeitsführern sehen wir, dass sie in der betriebswirtschaftlichen Performance signifikant besser aufgestellt sind als die Zögerer“, sagt Prof. Dr. Hanaa Ryari. Sie hätten mehr Umsatzwachstum und höhere Gewinne als der Branchenschnitt, punkten mit ihren nachhaltigen Aktivitäten ebenso bei Kunden- und Mitarbeitenden-Bindung.
Bei den Nachhaltigkeitszögerern plant schon jetzt jeder dritte Beschäftigte das Unternehmen im nächsten Jahr zu verlassen, bei den Nachhaltigkeitsführern ist es nur jeder zehnte Mitarbeitende. Ebenso haben die Zögerer deutlich größere Probleme in der Rekrutierung neuer Mitarbeitender. „Da im Vertrieb zunehmend Fachkräfte fehlen, sind Unternehmen gut beraten, jetzt aktiv zu werden. Nachhaltigkeit zahlt sich aus“, so Hanaa Ryari.