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Frittatensuppe ist nicht jedermanns Geschmack, zumal wenn Peymann (Helge Salnikau, r.) seiner Mitarbeiterin Schneider (Stefanie Linnenberg) laufend in dieselbe spuckt.

Hosenkauf ist immer eine Tragödie gewesen

Thomas Bernhards Peymann-Dramolette

Am 11. September 1987 veröffentlichte die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ auf zwei Seiten ihres Feuilletons ein Dramolett des Österreichers Thomas Bernhard mit dem zukunftsweisenden Titel „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“, Untertitel: „Nach dem ersten Jahr an der Burg.“ Die szenische Uraufführung fand am 11. Februar 1991 zu später Stunde um 22:35 Uhr nicht zufällig im Südwest-Drei-TV statt, hatten es die Stuttgarter doch nie verwinden können, „ihren“ Peymann ausgerechnet in die Bochumer Provinz ziehen lassen zu müssen.

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So lernten auch sie, neben den reisenden Feuilletonisten der Republik, den Charme des Novotels zu schätzen. Und wieder waren es die Stuttgarter, jetzt zusammen mit den Bochumern, welche die Herbergen an der schönen, wenn auch selten blauen Donau bevölkerten, wenn Peymann zu einer neuen Premiere an die Ringstraße lud. Nur so ist es zu verstehen, dass ausgerechnet der Süddeutsche Rundfunk Stuttgart mit einer Uraufführung eines drei Jahre alten Einakters in der Regie von Norbert Beilharz glänzte. Die Wiener wurden mit dem Text erst im Februar 1988 bekannt als Beilage zum Programmbuch der genial-verspielten Shakespeare-Inszenierung „Der Sturm“ Peymanns.

Trilogie erstmals komplett in Bochum

Kleider machen Leute, weiß Thomas Bernhard (Stefanie Linnenberg, l.) und zwingt den wehleidigen Peymann (Helge Salnikau, r.) zum Hosenkauf: Dieser muss schließlich bella figura machen, will er aus vertrockneten k.u.k.-Hofburg-Mimen glutvolle Burgschauspieler formen

Dieser Petitesse gingen die Dramolette „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“, uraufgeführt im Juni 1986 am Schauspielhaus Bochum, und „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“, uraufgeführt im September 1998 im Wiener Akademietheater, voraus. Die Trilogie hat dann, mit Martin Schwab als Peymann und Kirsten Dene in allen anderen Rollen, 1999 das 36. Berliner Theatertreffen eröffnet – und sorgte nach Peymanns Wechsel ans Berliner Ensemble noch jahrelang mit ihm selbst und seinem intellektuellen zweiten Ich Hermann Beil am Schiffbauerdamm für ausverkaufte Vorstellungen.

In seiner letzten Saison als Künstlerischer Leiter des Prinz Regent Theaters hat Hans Dreher sich selbst und dem Publikum, die naturgemäß ausverkaufte Premiere am 29. September 2024 lockte Peymann-Fans von weither in den Bochumer Süden, den langgehegten Wunsch erfüllt, die komplette Trilogie endlich auch an der Ruhr zu präsentieren. Und das mit einem zur Ursprungsbesetzung konträren und dennoch kongenialen Duo: Helge Salnikau („Der Trafikant“) gibt einen einerseits narzisstisch-selbstverliebten, andererseits aber dauererregten und dauerverwirrten Peymann als springteufelwilde HB-Männchen-Karikatur, während Stefanie Linnenberg („Meisterklasse“) die drei Rollen der Bochumer Peymann-Sekretärin Christiane Schneider, des Dramatikers Thomas Bernhard und des Dramaturgen Hermann Beil nicht nur cool-zurückhaltend spielt, sondern den Begriff des „Sidekick“ wörtlich nimmt. Großartig!

Publikum und Kritiker einpacken

„Tief im Westen“ lässt sich Herbert Grönemeyer aus dem Off vernehmen: Im ersten Stück bereitet Peymann der bevorstehende Umzug von Bochum nach Wien große Sorgen: Welche Schauspieler mitnehmen, welche Mitarbeiter? Stücke, die noch gespielt werden sollten, landen unbesehen in der Mülltonne. Und Frau Schneider rät: „Gehen Sie völlig nackt nach Wien!“ Dagegen müssen auf jeden Fall das unvergleichliche Revier-Publikum und die ihm stets gewogenen norddeutschen Kritiker eingepackt werden. Im Mittelstück sinnieren Peymann und Bernhard beim Hosenkauf über das verzehrende Wesen des Theaters in Österreich, der tollsten Komödie, die ihnen je untergekommen ist. Schließlich muss die blökende Schafherde der unkündbaren Burgschauspieler irgendwie beschäftigt und die unflätig-ausfallende Wiener Journaille beruhigt werden. Peymann appelliert an seinen Lieblingsdramatiker. „das“ Welttheater-Stück für ihn zu schreiben.

Totale Shakespeare-Konzentration

Auf der Sulzwiese schließlich, einem höchst unspektakulären Ort mit eigener Bushaltestelle an der Wiener Höhenstraße, planen Peymann und sein langjähriger Chefdramaturg beim Schnitzel-Picknick das größte Theaterereignis, das es jemals gegeben hat: alle Dramen Shakespeares an einem Stück aufzuführen. George Tabori, ein anderer Besessener, hat in kleinerem Rahmen etwas ähnliches an seinem Theater „Der Kreis“ an der Wiener Porzellangasse verwirklicht, indem er in seiner Collage „Verliebte und Verrückte“, die im März 1989 herauskam, Liebesszenen aus 14 Shakespeare-Dramen kompilierte.

Beide beißen in kalte Wiener Schnitzel. Peymann spricht, Beil nickt zumeist nur mit dem Kopf, kommt kaum einmal zu einer Erwiderung in zwei, drei Worten. Es geht, wie könnte es anders sein, um „ihr“ Theater. Um einen kleinen Bochum-Rückblick und einen großen Wien-Traum von der „totalen Shakespearekonzentration“: „Wenn ich nur die Welt noch mehr staunen machen könnte, staunenmachen, staunenmachen, das ist es, das Theater tritt auf der Stelle, auf der Stelle tritt es, wir müssen ja aus dem Burgtheater etwas machen, das noch niemand aus dem Burgtheater gemacht hat…“

In der Burgtheaterfalle

Nach dem ersten Jahr an der Wiener Ringstraße hatten die beiden allerdings schon einiges erreicht: die ganze Hauptstadt und halb Österreich waren in Aufruhr über neue Stücke, neue Schauspieler, die deutsche Sprache, die deutschen Themen, den deutschen Idealismus in der Nachfolge Friedrich Schillers. Peymann hat sein Theater immer als moralische Anstalt, als politische Bühne verstanden. Nur so ist die Aufregung zu verstehen, die mit Thomas Bernhards „Heldenplatz“ in der folgenden Spielzeit eskalierte.

„Der Bernhard meint, das Burgtheater gehört auf die liebenswürdige österreichische Weise ausgehungert“: Peymann hat es schon nach einer Spielzeit zu „der“ deutschsprachigen Bühne gemacht und Bernhards Alptraum vom „Wachsfigurenkabinett“ oder einem „Theatermuseum“ im Angesicht der Politik – Wiens Bürgermeister Zilk residiert vis-a-vis im Rathaus – eindrucksvoll widerlegt. Wie wir heute wissen: Gott sei Dank sind Peymann und Beil damals in die „Burgtheaterfalle“ gegangen.

Hans Dreher hat die Maßlosigkeit der Bernhardschen Realsatire mit kleinen, feinen szenischen Interventionen ergänzt, sodass die gut einhundert Minuten wie im Fluge vergehen. Ein nostalgisches Vergnügen, einerseits. Tolles Schauspielertheater in Clara Eigeldingers wandlungsfähiger Podiumbühne andererseits. „Am Ende ist es doch nur Gefälligkeitstheater“ lässt sich Hermann Beil vernehmen. Aber was für eins! Naturgemäß? Natürlich!

Die nächsten Vorstellungen

  • Samstag, 19. Oktober 2024, 19:30 Uhr
  • Sonntag, 10. November 2024, 18 Uhr

Karten

Karten zu 18 Euro, ermäßigt 10 Euro, gibt es im Internet oder per Tel 0234 – 771117.

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  • Samstag, 19. Oktober 2024, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 10. November 2024, um 18 Uhr
Freitag, 4. Oktober 2024 | Autor: Pitt Herrmann