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Linde Dercon als Anna Balicke und Jele Brückner als Marie haben in der Bochumer Adaption mehr Gemeinsamkeiten als im Stück Bertolt Brechts.

Feministische Brecht-Adaption

'Trommeln in der Nacht' in Bochum

Bertolt Brechts nach „Baal“ zweites Stück, im September 1919 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, dessen ursprünglicher Titel „Spartakus“ hieß, gehörte seinerzeit nicht zum Repertoire deutschsprachiger Bühnen in Ost und West, als Frank-Patrick Steckel es 1987 am Schauspielhaus Bochum auf den Spielplan setzte. „Trommeln in der Nacht“ erzählt die Geschichte des vier Jahre als vermisst geltenden Kriegsheimkehrers Andreas Kragler, der zurückkehrt, als seine Braut Anna Balicke, von ihren Eltern Karl und Amalie gedrängt, die Verlobung mit dem Aufsteiger und baldigen Kindsvater Friedrich Murk feiert.

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Sie war beim Autor selbst in Ungnade gefallen, weshalb er mehrfach den Schluss seines Frühwerks veränderte: Kragler, der in die Verlobungsfeier platzt, die in der mondänen, zum Café Vaterland umbenannten Picadillybar stattfindet, während sich draußen das Berliner Proletariat unter Führung des kommunistischen Spartacusbundes formiert, kehrt nach einer durchzechten Nacht in Glubbs Schnapsdestille, wo aufrührerische Reden gehalten werden und auch Kragler dazu aufruft, die Aufständischen, die sich im Zeitungsviertel verschanzt haben, zu unterstützen, mit Anna heim ins weiße, weiche Bett, nachdem diese sich von Murk losgesagt hat.

Neuer Schluss im Kalten Krieg

Dieser zutiefst pessimistische Schluss behagte Brecht, nachdem er in Ost-Berlin das Theater am Schiffbauerdamm (das heutige Berliner Ensemble) übernommen hatte, gar nicht mehr. Er passte nicht zur ideologischen Ost-West-Auseinandersetzung während des Kalten Krieges, wo in der Hauptstadt der DDR Friedrich Wolf und sowjetische Revolutionsepen die Spielpläne bestimmten, während im Hebbel-Theater und anderen Bühnen West-Berlins Sartre und die Existentialisten gespielt wurden.

Wie aber knapp siebzig Jahre nach der Uraufführung „Trommeln in der Nacht“ inszenieren? Als weitere weinerliche Reminiszenz der 1968er an vergangene, fruchtlose Zeiten der studentischen APO-Bewegung? Götz Loepelmann, seit Peter Zadeks Zeiten in Bochum kein Unbekannter, ließ den Dramaturgen Wolfgang M. Schwiedrzik im Ost-Berliner Brecht-Archiv nach der ungedruckten Fassung der Uraufführung fahnden.

Steckel machts selbst

Oliver Möller, Linde Dercon, Jakob Schmidt, Jele Brückner und Vincent Redetzki (v. li.) in „Trommeln in der Nacht“ am Schauspielhaus Bochum.

Doch Loepelmanns Regiekonzept stieß auf Widerstand des Intendanten Frank-Patrick Steckel, der die Proben stoppte und selbst die Regie übernahm. Er strich wesentliche Passagen, darunter den dritten Akt, und radikalisierte die Spielfassung zu einem immer wieder ironisch gebrochenen Volkstheater-Realismus, basierend auf der holzschnittartigen Expressivität des jungen, ungestümen Brecht, schwankend zwischen grotesker Parodie beim Heimkehrer Kragler und blankem Zynismus beim Schnapshändler Glubb und beim Journalisten Babusch.

Weitere 38 Jahre später hat die im Bereich feministisch-marxistischer Kapitalismuskritik firme Bochumer Dramaturgin Leonie Ute Maria Adam zusammen mit der Regisseurin Felicitas Bruckner eine Fassung „nach Bertolt Brecht“ erstellt und mit Texten von Şeyda Kurt angereichert: „Wer profitiert vom Krieg und wer lehnt sich auf? An der Front, im Ehebett und auf der Straße?“ Die Kölner Autorin Şeyda Kurt, die ihre publizistische Arbeit ebenfalls im Spannungsfeld von Marxismus und queerfeministischer Theorie verortet, erweitert Brechts frühes Stück um den Kriegsheimkehrer Kragler „mit Texten von Frauen, die sich weder verkaufen noch warten wollen“, so die Ankündigung aus dem Theaterschiff an der Bochumer „Kö“.

Blut, Boden und Leichen

„Glotzt nicht so romantisch“: In Felicitas Bruckers Lesart des Brecht-Stoffs sehnt sich die „Nachwuchsschauspielerin des Jahres“ Linde Dercon in der erheblich aufgewerteten Rolle der Anna Balicke („Jetzt rede ich!“) nicht nach dem „großen, weißen Bett” des Brecht-Stücks. Sondern, so die Dramaturgie in der Synopsis, „nach Familie, die nicht in Blut, Boden und einem Erbe von Leichen wurzelt.“ Annas Vater Karl Balicke, wie die „Sexarbeiterin“ Marie von Jele Brückner verkörpert, gehört als Hersteller von Geschosskörben für die Artillerie schließlich zu den Kriegsgewinnlern: „Der Sau Ende ist der Wurst Anfang! Richtig betrachtet, war der Krieg ein Glück für uns! Wir haben das Unsere in Sicherheit, rund, voll, behaglich. Wir können in aller Ruhe Kinderwägen machen“, so der wendige Unternehmer.

Anna sympathisiert vielmehr offen mit den Spartakisten, welche zum Sturz der Regierung aufrufen. Freilich nicht am Ende des Ersten Weltkriegs, was man angesichts der typischen Gesichtsverletzung des von Stefan Hunstein verkörperten, erheblich älteren Andreas Kragler vermuten könnte. Sondern in unserer Gegenwart, wie die kulissenhaft-verfremdete Multimedia-Bühne Viva Schudts, die Kostüme Henriette Müllers und die Selfie-Kamera des vom quirligen Jakob Schmidt eher als Social-Media-Influencer denn Reporter gegebenen Babusch offenbaren. Und nicht zuletzt auch Şeyda Kurts Texte, die sich mit dem im woken Intellektuellen-Milieu verhassten Begriff des Deutschseins kritisch bis herablassend-feindselig auseinandersetzen.

Geschlechterrollen durchmischt

Wie auf Johan Simons‘ Bochumer Brettern üblich, werden die Geschlechterrollen durchmischt, so gibt Oliver Möller sowohl Annas Mutter Amalie als auch den Zeitungskolporteur Bulltrotter. Dafür darf, mit albernen Manieriertheiten, Vincent Redetzki sowohl Annas Kurzzeit-Verlobten Murk als auch Glubb spielen, dessen Destille in Bochum ausgepolstert ist wie eine Gummizelle – naturgemäß farblich dem Türkis-Design der Produktion angepasst. Am Ende kommt es, warum auch immer, zu einem Blutbad. Von dem Kragler („Ich bin ein Schwein und das Schwein geht heim.“) verschont bleibt: Stefan Hunstein hat sich zuvor mitten durchs Parkett davongemacht. „Hundert Jahre später sind die Themen rund um Kriegstüchtigkeit, Profit und Klassenzugehörigkeit in ‚Trommeln in der Nacht‘ aktuell wie nie“ behauptet die Bochumer Dramaturgie. Was noch zu beweisen bleibt.

Die nächsten Aufführungen

  • Mittwoch, 23. April 2025, 19:30 Uhr (+ Einführung 19 Uhr)
  • Freitag, 2. Mai 2025, 19:30 Uhr (+ Einführung 19 Uhr)
  • Sonntag, 11. Mai 2025, 17 Uhr (+ Einführung 16:30 Uhr)
Mai
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Freitag
Freitag, 2. Mai 2025, um 19:30 Uhr Schauspielhaus Bochum, Königsallee 15, 44789 Bochum
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  • Sonntag, 11. Mai 2025, um 17 Uhr
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  • Mittwoch, 23. April 2025, um 19:30 Uhr
Sonntag, 13. April 2025 | Autor: Pitt Herrmann