Böschs grandioser „Kreidekreis“
Voll unkorrekt
Auf der Bühne ein Kreidekreis – in der Mitte ein Kind. Zwei Frauen behaupten, Mutter des Kleinen zu sein. Der Richter fordert beide auf, gleichzeitig das Kind aus dem Kreis zu sich herauszuziehen: die wahre Mutter werde schon die Kraft besitzen, ihr Kind an sich zu reißen.
„Dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind“: Wer denkt da nicht an Bertolt Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“, das auf Klabunds Schauspiel „Der Kreidekreis“ basiert, welches wiederum auf einer alten chinesischen Legende beruht. Brecht hatte Max Reinhardts Inszenierung mit Elisabeth Bergner als Hai-tang 1925 am Deutschen Theater Berlin als Dramaturg begleitet und sein Lehrstück unter Mitarbeit von Ruth Berlau 1944/45 im amerikanischen Exil geschrieben mit dem Ziel, es am Broadway uraufführen zu lassen.
Ungeheuerliches Ereignis
Klabund, eigentlich Alfred Georg Hermann Henschke, erzählt den Vorgang eines ungeheuerlichen Ereignisses, das trotz des versöhnlichen Schlusses nur Vergewaltigung genannt werden kann: der inzwischen zum Kaiser erhobene Prinz Pao hat Hai-tang, die in ihrer ersten Nacht im Haus des Steuerpächters Ma noch allein schlief, seinerzeit „besucht und beglückt“, so die damalige Ausdrucksweise. Hai-tang hatte bis dahin immer geglaubt, die „Liebesnacht“ mit Pao nur geträumt zu haben.
Auch Alexander Zemlinsky erzählt diese Geschichte in seiner gleichnamigen, am 14. Oktober 1933 in Zürich uraufgeführten Oper wie selbstverständlich. Dabei wird der kriminelle Tathergang ja nicht dadurch aus der Welt geschafft, indem der Kaiser nun Hai-tang, die als 16-Jährige von der Mutter verkaufte, vom Gatten ausgestellte und vom korrupten Gericht als Mörderin verurteilte gedemütigte Frau, heiratet und ihren Sohn als den seinen legitimiert. Vielleicht steht „Der Kreidekreis“ deshalb so selten auf den Spielplänen.
Hochintensive Mischung
An der Komposition jedenfalls kann es nicht liegen: Jedes ambitionierte Theater, das den üblichen Highlight-Kanon mit Klassikern der Moderne zu ergänzen trachtet, die das Stammpublikum nicht völlig verschreckt, müsste diese hochintensive Mischung aus Spätromantik à la Richard Strauss und Gustav Mahler, aus Jazz, fernöstlichen Klängen und Kurt Weill auf den Spielplan setzen. Wie jetzt, erstaunlicherweise erstmals, die Deutsche Oper am Rhein unter der musikalischen Leitung von Hendrik Vestmann, des mit Ovationen gefeierten langjährigen Generalmusikdirektors des Oldenburgischen Staatstheaters in seiner dritten Düsseldorfer Produktion nach Mozarts „Le nozze di Figaro“ und Puccinis „Turandot“.
Apropos Ovationen. Das Publikum war am Premierenabend generell höchst angetan vom ganzen Leitungsteam um den Regisseur David Bösch in seiner ersten Inszenierung an der Rheinoper sowie den Ausstattern Patrick Bannwart (Bühne und Video) und Falko Herold (Kostüme). Das Zemlinskys Oper als knapp dreistündiges Gesamtkunstwerk im Stil der 1920er Jahre auf die Düsseldorfer Bretter gestellt hat mit grandios stimmungsvollen Bildern in düsterer Grundierung (Prostituierte hängen in Käfigen vom Schnürboden herab) und einer überdimensionalen Puppe als Streitobjekt mit besonderer emotionaler Qualität im Kreidekreis.
Überragende Lavinia Dames
Gleich zu Beginn führt sich der Kuppler Tong (Cornel Frey) wie ein diabolischer Zirkusdirektor in Weillscher Manier selbst ein. Die eindeutige Farbsymbolik trennt die bescheiden im weißen Gewand der Unschuld auftretende Tschang-Haitang (die auch darstellerisch überragende Sopranistin Lavinia Dames aus dem eigenen Ensemble) auf den ersten Blick von der in flammendem Rot gewandeten Erstfrau Yü-Pei (Sarah Ferede), die eifersüchtig auf die Liebesbezeugungen ihres hier durchaus differenziert gezeichneten Gatten Ma (der Bariton Joachim Goltz als Gast aus Mannheim) für die Außenseiterin reagiert. Sie sucht sich mit dem Gerichtssekretär Tschao (Jorge Espino) einen Verbündeten und besticht den vom bekannten Schauspieler Werner Wölbern mit schnarrender Stimme als Zyniker gegebenen Oberrichter Tschu-Tschu, der nicht zufällig eine rote Robe trägt bei der Verkündung des Urteils.
Kein Happy End
Witzig und berührend zugleich die graphischen Projektionen auf den Vorhang bei den Zwischenmusiken zu den sieben Bildern des Dreiakters, dessen Finale, Tschang-Haitang wird von Pao (der frühere Gelsenkirchener Tenor Matthias Koziorowski als Gast) zur Kaiserin erhoben, dem unerhörten Ereignis entsprechend nicht als Happy End inszeniert worden ist. David Bösch, der ehemalige Hausregisseur der Schauspielhäuser Essen und Bochum, der gerade sein Amt als Schauspieldirektor am Oberösterreichischen Landestheater Linz angetreten hat, stellt zusammen mit den Ausstattern das Märchenhafte neben dem Parabelhaften des wenig opernhaften Librettos heraus.
Weitere Vorstellungen
Die weiteren Aufführungen im Opernhaus Düsseldorf:
- Samstag, 7. Dezember 2024, 19:30 Uhr
- Samstag, 14. Dezember 2024, 19:30 Uhr (im Anschluss: „Nachgefragt“)
- Freitag, 27. Dezember 2024, 19:30 Uhr
- Sonntag, 12. Januar 2025, 18:30 Uhr
- Mittwoch, 15. Januar 2025, 19:30 Uhr
Die Karten gibt es online oder unter Tel. 0211 – 8925211 (Mo-Fr 11-18.30 Uhr, Sa 10-18 Uhr).
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- Sonntag, 12. Januar 2025, um 18:30 Uhr
- Mittwoch, 15. Januar 2025, um 19:30 Uhr
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- Samstag, 7. Dezember 2024, um 19:30 Uhr
- Samstag, 14. Dezember 2024, um 19:30 Uhr