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Vor der Morgenröte - Stefan Zweig in Amerika
Stefan Zweig, vor allem mit seinen historischen Romanen nach Thomas Mann der weltweit meistgelesene deutschsprachige Autor in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, wird als jüdischer Schriftsteller 1933 von den Nazis mit Publikationsverbot belegt und emigriert zunächst nach Frankreich und England, wo seine erste Ehe mit Friderike Zweig geschieden wird. 1940 reist Stefan Zweig, inzwischen mit seiner erheblich jüngeren Sekretärin Charlotte Lotte Altmann verheiratet, nach New York, um sich schließlich im brasilianischen Petropolis vor den Toren Rio de Janeiros niederzulassen.
Hier entstehen seine aus heutiger Sicht wohl bedeutendsten Werke: Stefan Zweig überarbeitet sein Opus Magnum Die Welt von Gestern, sein über eine Biographie weit hinausreichender Abgesang auf den Vielvölkerstaat Habsburg und das alte Europa, und schreibt seine Schachnovelle. Und hier nimmt er sich am 22. Februar 1942 zusammen mit seiner Frau Lotte das Leben. Ernst Feder, als Ressortleiter des Berliner Tageblatts von den Nazis entlassen und ebenfalls zur Emigration gezwungen, wird in Petropolis sein engster Mitstreiter und Freund. Feder verliest den so überraschten wie entsetzten Anwesenden in der Casa Zweig den auf Deutsch verfassten Abschiedsbrief des bekennenden Altösterreichers: „(...) Ich grüße alle meine Freunde! Mögen Sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“
Maria Schrader hat mit Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika bewusst kein allumfassendes Biopic drehen wollen, sondern sich auf die letzten – amerikanischen – Lebensjahre Stefan Zweigs konzentriert. Nach akribischer Recherche liefert sie zusammen mit dem Dokumentaristen Wolfgang Thaler binnen gut einhundert Minuten keine schlüssige Erklärung für den Selbstmord eines hochgeachteten, politisch und finanziell unabhängigen Intellektuellen. Aber doch Hinweise: Stefan Zweig hat sich vor keinen noch so moralisch gerechtfertigten politischen Karren spannen lassen. Auch nicht von seinen Schriftstellerkollegen im P.E.N.: Bis zuletzt lehnte er es ab, sich auf das sprachliche – und noch gar geistige - Niveau radikaler Strömungen von links bis rechts zuzubewegen, nur um mehr Aufmerksamkeit zu erheischen. Was ihn in der Emigrantenszene zunehmend isolierte zumal nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
Vor der Morgenröte präsentiert sich auf der einen Seite wie ein opulenter Ausstattungs-Streifen und auf der anderen Seite wie ein leiser, nicht distanzierter, aber sich jeglichen Kommentars enthaltender Dokumentarfilm. Was gleich im Prolog deutlich wird: Brasiliens Außenminister Macedo Soarez (Virgilio Castelo) empfängt im August 1936 Stefan Zweig (überragend in einer völlig neuen Rolle als Charakterdarsteller: der österreichische Kabarettist Josef Hader) im feudalen Jockey Club Rios wie einen Staatsmann. Zweig zeigt sich schon nach wenigen Tagen von der brasilianischen Gesellschaftsform überwältigt, in der ein friedliches Zusammenleben verschiedenster Rassen und Hautfarben möglich ist - beispielgebend für den Rest der Welt und besonders für das nationalistische Europa.
Schriftsteller aus 50 Ländern sind einen Monat später zum P.E.N.-Kongress in Rio zusammengekommen, Stefan Zweig ist der einzige deutschsprachige Autor neben Emil Ludwig (Charly Hübner) und steht daher im Fokus auch der internationalen Medien. Während sein weniger prominenter Kollege eine umjubelte Wutrede auf die Nazis hält und der Belgier Luis Pierard (Vincent Nemeth) die Namen verfolgter und exilierter deutschsprachiger Schriftsteller verliest, vermag sich Zweig weder polemischen Worten noch pathetischen Gesten anzuschließen. Und fühlt sich rasch im Abseits.
Bahia, im Januar 1941. Stefan Zweig und Lotte (Aenne Schwarz) sind seit Monaten auf Vortragsreisen durch Südamerika. Er schreibt, auch als Dank an seine Gastgeber, an einem Buch über Brasilien und informiert sich im Norden des Landes über den Zuckerrohranbau. In New York, wo Eisblumen am Fenster vom tiefsten Winter seit vielen Jahren zeugen, trifft Stefan Zweig seine geschiedene Frau Friderike (Barbara Sukowa) wieder. Sie konnte, nicht zuletzt durch seine Vermittlung, mit ihren beiden Töchtern in die USA einreisen.
Zehn Monate später haben Stefan und Lotte Zweig ein Haus im von Rio de Janeiro zwei Autostunden entfernten Petrópolis bezogen. Die Welt von Gestern ist abgeschlossen, das Brasilien-Buch zeitgleich in fünf Sprachen erschienen und ein großer Erfolg. Am Morgen seines sechzigsten Geburtstags trifft Stefan Zweig überraschend einen alten Bekannten auf der Straße: Ernst Feder (Matthias Brandt), deutsch-jüdischer Schriftsteller und ehemaliger Ressortleiter des Berliner Tageblatts, ist mit seiner Frau Erna (Naomi Krauss) ebenfalls in Petrópolis untergekommen.
Feder verspricht Zweig, mit ihm Schach zu spielen - als Recherche für eine geplante Novelle. Ein Tag ausgelassener Freude wird durch den brasilianischen Verleger Abrahão Koogan (Abraham Belaga) und dessen Gattin Paulina (Irina Potapenko) mit einem besonderen Geschenk gekrönt: Plucky, ein Prachtexemplar von Drahthaar-Foxterrier. Beinahe unvermittelt sehen wir mit Wolfgang Thalers Kamera voyeurhaft auf den Spiegel eines Kleiderschrankes. Kurz wird das bereits vom Tod erstarrte Ehepaar Zweig sichtbar, wie es in inniger Umarmung auf dem Bett liegt...
Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika ist eine großartige Hommage an Stefan Zweig - für seine treue und zunehmend betagte Fangemeinde. Für alle anderen, denen höchstens sein Name bekannt ist, nicht aber wenigstens Die Welt von Gestern, ist der Film enttäuschend, ja geradezu langweilig. Weil er sich nur auf einen kurzen Lebensabschnitt Zweigs konzentriert und dem uneingeweihten Publikum weder Leben noch Werk des heute leider in breiten Kreisen vergessenen bürgerlichen Habsburger Schriftstellers näherbringt. Andererseits: Wenn es gelänge, und sei es durch die Fernsehübertrag zur Prime-Time, wenigstens einige Jüngere für die Welt von Gestern-Lektüre zu gewinnen, dann hätte diese hochkarätig besetzte Produktion einiges gewonnen. Free-TV-Premiere:
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- Mittwoch, 21. November, um 20:15 Uhr bis Mittwoch, 28. November 2018, um 23:55 Uhr