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Die in Wanne-Eickel lebende syrische Schriftstellerin Lina Atfah animiert in ihrer Lyriklesung das junge Publikum, sich selbst die Frage zu stellen: „Was willst du, Welt?“. Foto: Volker Beushausen

Lina Atfah erhält NRW-Kunstförderpreis

Was willst du, Welt?

„Was braucht die Welt? Den Stab eines nächsten Propheten? Ein unbeschriebenes Blatt? Was, liebe Welt?“: Die 1989 in Syrien geborene und seit 2014 in Wanne-Eickel lebende Autorin Lina Atfah fordert in ihrer mit einem Schreibworkshop verbundenen Lyriklesung das junge Publikum auf, sich selbst die Frage zu stellen: „Was willst du, Welt?“.

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Bei der Premiere an der Fridtjof-Nansen-Realschule in Castrop-Rauxel zog Lina Atfah, die in Damaskus arabische Literatur studiert hat und 2006 beschuldigt wurde, Gotteslästerung begangen und den Staat beleidigt zu haben, zunächst skeptische Zehntklässler sogleich in ihren Bann. Und das keineswegs nur mit ihren aus eigenen Erfahrungen gespeisten Gedichten, sondern vor allem mit ihrer Offenheit, ihrer empathischen Art, auf die Schüler einzugehen, und nicht zuletzt mit ihrer erstaunlichen Eloquenz in der ihr doch vor zehn Jahren noch so völlig fremden deutschen Sprache, kurz: mit ihrer einnehmenden Persönlichkeit.

Steile literarische Karriere

Den Anfang ihrer steilen literarischen Karriere machte 2019 „Das Buch von der fehlenden Ankunft“, auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr darauf mit dem „LiBeraturpreis“ ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr folgte der Literaturpreise Ruhr für ihren zweiten Gedichtband „Grabtuch aus Schmetterlingen“ (halloherne berichtete). Lina Atfah, die Ende November 2024 aus der Hand von Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda den deutschen Personalausweis erhält, wird am 2. Dezember 2024 in Düsseldorf der Kunstförderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen in der Sparte Literatur überreicht. Ob neben Kultusministerin Ina Brandes auch Ministerpräsident Hendrik Wüst beim Festakt im Museum K 21 am Grabbeplatz dabei sein wird, hängt von der aktuellen politischen Entwicklung in Berlin ab.

Eindrucksvolle Premiere

Lina Atfah spricht über staatliche Repression, Vertreibung und Flucht – und das nicht so einfache Ankommen in der Fremde. Eine Ermutigung gerade für Kinder und Jugendliche mit migrantischem Familienhintergrund.

Die Studioproduktion „Was willst du, Welt?“ des Westfälischen Landestheaters Castrop-Rauxel ist vor allem für Schüler ab zwölf Jahren gedacht. Nach der höchst eindrucksvollen Premiere kann ich mir gut vorstellen, dass es Lina Atfah im Zusammenspiel mit der WLT-Schauspielerin und Theaterpädagogin Annamae Endtinger gelingt, alle Altersschichten für Gedichte zu begeistern und dazu zu motivieren, selbst einige poetische Zeilen zu Papier zu bringen. Weshalb das rund zweistündige Programm aus Lesung, Gespräch und Workshop auch von Vereinen, Volkshochschulen oder Kirchengemeinden angeboten werden sollte. Das übrigens mit Lina Atfahs erster Begegnung mit der deutschen Sprache beginnt – auf dem Düsseldorfer Flughafen und ihrer Fahrt nach Wanne-Eickel.

Sie hat akzeptieren müssen, nicht mehr in Syrien zu leben und nicht mehr arabisch sprechen zu können. Und lernen müssen, sich in einer neuen Kultur zurechtzufinden, ohne die eigenen Wurzeln zu kappen. Lina Atfah schreibt weiterhin in ihrer Muttersprache, denn Lyrik ist die Sprache der Gefühle, der Trauer, Wut und Verzweiflung ebenso wie der Freude und des Glücks. Sie gibt gegenüber ihrem Publikum sehr viel preis aus ihrem alten und ihrem neuen Leben, erzählt sehr plastisch – und bei aller Selbstironie immer höchst humorvoll.

Kein Blatt vor dem Mund

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, was die persönliche Situation als Schriftstellerin, Gattin eines Lehrers und Mutter von Zwillingen betrifft, aber auch den Missbrauch der Religion durch diktatorische Machthaber. Und wenn Lina Atfah später auf Deutsch übersetzte Texte auf Arabisch vorträgt, kommen ihre Emotionen beim Verfassen der metaphernreichen Assoziationen zu Vergangenheit und Gegenwart ungefiltert beim zunehmend faszinierten Publikum an. In der Fridtjof-Nansen-Realschule wurde auch ein Videotrailer für das Projekt gedreht, der auf der Website des Westfälischen Landestheaters und auf YouTube zu sehen ist.

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Lyriklesung und Schreibworkshop „Was willst du, Welt?“ eignen sich für Jugendliche ab zwölf Jahren, ab der siebten Klasse bis Q2. Aber auch andere Institutionen können zur Terminbuchung Kontakt mit der Theaterpädagogik des Westfälischen Landestheaters aufnehmen unter: .

Sonntag, 10. November 2024 | Autor: Pitt Herrmann