Folgen für Kinder, wenn sie häusliche Gewalt miterleben
Wenn die Kinderseele leidet
Wenn Kinder miterleben müssen, wenn einem Elternteil durch ein anderes Gewalt erfährt, dann leiden ihre Seelen. Die Folgen für die Kinder seien vielfältig, macht Brigitte Grüning, die die Außenstelle des Weissen Rings Herne leitet, im Gespräch mit halloherne deutlich: „Die Kinder zeigen Veränderungen in ihrem Verhalten. Die einen werden verschlossener, die anderen eher aggressiver."
Weiter führt sie aus: „Mädchen neigen meiner Erfahrung nach eher dazu, sich zurückzuziehen, Jungen eher zu einem gegenteiligen Verhalten. Vielfach ist es auch so, dass die Kinder niemanden mehr mit nach Hause bringen, damit niemand erfährt, dass ihr Bild der heilen Familie nicht existiert. Es kann aber auch passieren, dass die Kinder aktiv eingreifen und sich im Falle von gewalttätigen Auseinandersetzungen vor die Mutter stellen, wenn der Vater sie schlagen will."
'Kinder bekommen immer etwas mit'
Ebenso sei auch die Annahme ein Trugschluss, dass Kinder nichts von der gewalttätigen Partnerschaft mitbekommen. „Manchmal erzählen Frauen mir in den Gesprächen, dass der Partner sie nur schlagen würde, wenn die Kinder im Bett wären und sie so nichts mitbekämen. Aber Kinder sind sehr feinfühlig. Sie bekommen immer etwas mit", so Grüning.
Außerdem mahnt Grüning, dass Kinder zu Komplizen gemacht werden, wenn sie miterleben, wie beispielsweise die Mutter bei Nachfragen Ausflüchte für das Verhalten des Mannes findet.
„Sie lernen so, dass sie nicht über das Geschehene sprechen dürfen, was die Kinder unheimlich belastet. Vielfach haben die Kinder auch ein großes Schuldempfinden. Sie geben sich die Schuld an den gewalttätigen Auseinandersetzungen. Sie denken: Mama und Papa streiten sich wegen mir. Außerdem sind sie in einem Zwiespalt, da sie ja auch den gewalttätigen Elternteil lieben", berichtet die Leiterin der Außenstelle des Weissen Rings Herne.
'Mein Verhalten führt zu Missstimmung bei den Eltern'
Diese Einschätzung teilt auch Anna Zacharias, Fachreferentin für Öffentlichkeitsarbeit und Online-Beratung der NummergegenKummer, dem größten bundesweit erreichbaren telefonischen Beratungsangebot für Heranwachsende in Deutschland, an das sich auch Kinder aus Herne werden können.
„Die Schilderungen unserer Berater geben wieder, dass viele Ängste der Kinder, die Trennung der Eltern und die damit verbundenen Konsequenzen, betreffen. In dem Zusammenhang sind auch manche Kinder mit der Frage beschäftigt, inwieweit ihr eigenes Verhalten zu den Missstimmungen zwischen den Eltern beiträgt", schildert Anna Zacharias auf Nachfrage von halloherne.
Für viele Kinder sei das anonyme Gespräch mit einem Berater der „NummergegenKummer“ hilfreich. „Unsere Berater erleben zum Thema Gewalt häufig, dass die Kinder über ihre Ängste und Befürchtungen einfach einmal sprechen möchten, ohne befürchten zu müssen, dass sofort etwas passiert oder jemand etwas unternimmt", so die Fachreferentin für Öffentlichkeitsarbeit und Online-Beratung.
Ebenso verdeutlicht sie die Gefühle der Kinder: „Viele der Kinder fühlen sich hilflos, sind desorientiert und benötigen Hilfe bei der Überlegung, was sie nun tun oder auch, an wen sie sich wenden können. Manche Kinder befinden sich auch in einem Loyalitätskonflikt und wollen sich weder gegen Mutter noch Vater positionieren."
'Probleme werden einfacher, wenn man sie teilt'
Auch habe die Corona-Pandemie zu einem vermehrten Anrufeanstieg geführt. „Seit März 2020 ist ein deutlicher Anstieg von Anfragen sowohl an unseren Telefonen, insbesondere am Elterntelefon und in der Online-Beratung für Kinder und Jugendliche, zu verzeichnen. In vielen Beratungen spiegelt sich die besondere Situation wider, die durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Alltag von Familien entstanden sind. So sprechen junge Ratsuchende vermehrt über psychische Probleme, Einsamkeit und Konflikte innerhalb der Familie und auch Gewalterfahrungen werden verstärkt thematisiert", berichtet Zacharias.
Außerdem sagt Zacharias: „Viele Probleme werden einfacher, wenn man sie mit jemandem teilt. So können sich Kinder zum Beispiel an unsere leicht erreichbaren, anonymen und kostenlosen Beratungsangebote wenden. Auf Wunsch vermitteln unsere Beratenden auch an weiterführende Hilfen vor Ort weiter." Kinder, die Hilfe benötigen, können sich unter Tel 116 111 oder auch an die Online-Beratung nummergegenkummer.de wenden.
Nicht wahrhaben wollen, als Teil des Selbstschutzes
Auch Susanne Wortmuth von Schattenlicht Beratungs- und Kontaktstelle für Frauen und Mädchen e.V., die sich unter anderem auf Traumatherapie spezialisiert hat, berichtet gegenüber halloherne: „Natürlich kriegen Kinder immer etwas mit. Es gibt sogar Studien, die besagen, dass wenn es viel Streit in der Schwangerschaft zwischen den werdenden Eltern gibt, dies dem Kind schadet."
Weiter führt sie aus: „Jedoch ist die Aussage mancher Mütter, dass Kinder nichts mitbekommen, auch eine Form von Selbstschutz."
Für Kinder sei das Miterleben der Auseinandersetzungen der Eltern Stress. „Es gibt viele unterschiedliche Formen von Gewalt. Wir dürfen nicht vergessen, auch das Schreien ist eine Form von Gewalt. Bei Kindern kann eine traumaspezifische Störung entstehen."
Kinder können nicht aus der Situation fliehen
Dies zeige sich ganz unterschiedlich. So könne es unter anderem zur Abstumpfung von Gefühlen, Angepasstheit, zum Zurückziehen oder auch zu aggressivem Verhalten kommen. „Die Kinder können aus der Situation nicht fliehen. Sie wenden das an, was in der Situation gerade hilft", so Wormuth.
Außerdem könne es auch dazu kommen, dass Mütter, die Gewalt erfahren und unter großem Druck stehen, diesen an ihre Kinder weitergeben. „Ich möchte hier die Mütter etwas in Schutz nehmen, da sie unter enormem Druck stehen und dieser Kreislauf ist nicht leicht zu durchbrechen. Viele dieser Frauen haben selbst als Kind eine Form von Gewalt erlebt. Aber es ist wichtig, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht und sich traut, (Hilfs-) Angebote auszuprobieren", so die Mitarbeiterin des Vereins Schattenlicht.
Erlebtes hat Auswirkungen auf das Erwachsenenleben
Die Erfahrungen, die Menschen als Kinder machen, haben Auswirkungen auf das spätere Erwachsenenleben. So besagt auch die Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 'Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt ' aus dem Jahr 2014, dass Frauen, die als Kind Gewalt erfahren haben beziehungsweise miterleben mussten, später dreimal so häufig in Beziehungen von Gewalt betroffen seien.
„Ich glaube aber: Liebe ist stärker als Hass. Das Wichtigste ist zunächst, das Schweigen zu brechen und über die belastenden Gefühle zu sprechen", so Susanne Wormuth. „Es ist wichtig, später auch das alltägliche Konfliktverhalten in Beziehungen zu hinterfragen und sich an Beratungs- und Hilfsangebote zu wenden, wenn man sie benötigt."