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Giwar (Emilio Sakraya) im syrischen Gefängnis.

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Xatars Rheingold

Syrien 2010, ein Gefängnis irgendwo im Nirgendwo. Der Kurde Giwar Hajabi alias Xatar (Emilio Sakraya) wird in eine überfüllte Gefängniszelle gebracht. Als Klo dienen Plastikflaschen an der Wand. Er wird brutal gefoltert, weil er eine ihm mantraartig gestellte Frage nicht beantwortet: „Wo ist das Gold?“

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Iran 1979. Giwars Vater Eghbal Hajabi (Kardo Razzazi), ein berühmter Komponist, dirigiert gerade ein Konzert in Teheran, als die Schergen des verbrecherischen Mullah-Regimes den Saal stürmen und wild um sich schießen. Eghbal und seine im Orchester spielende Gattin Rasal (Mona Pirzad) können entkommen und flüchten in den von kurdischen Freiheitskämpfern gehaltenen Norden. Als Chomeinis Truppen deren Stellungen bombardieren, kommt Giwar in einer Höhle zur Welt. Der Name des Sohnes bedeutet „im Leid geboren“.

Steht auf der Ausbürgerungsliste

Irak 1982. Während des Iran-Irak-Krieges gerät die Familie in Gefangenschaft. Der kleine Giwar darf zusammen mit seiner Mutter in eine Zelle des Gefängnisses von Samawa. Als prominenter Musiker steht Eghbal auf einer Ausbürgerungsliste.

Giwar und sein alter Kumpel Miran (Arman Kashani, l.) bei dessen Onkel Yero (Uğur Yücel, r.) in Amsterdam.

Paris 1986. Das Rote Kreuz holt die Hajabis nach Frankreich. In Paris finden sie Anschluss an einen Kreis wohlhabender Kurden, zu denen auch der irakische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland zählt. Aber die Arbeitsmöglichkeiten für Xatars Vater bleiben beschränkt.

Bonn 1996. Der Botschafter hat die Familie in die Bundeshauptstadt geholt, wo der Vater ein Engagement im Opernhaus antritt. Hier hört Giwar (Emilio Sakrayas jüngerer Bruder Ilyes Raoul) zum ersten Mal eine Oper – Richard Wagners „Rheingold“. Eghbal erklärt seinem Sohn: „Es ist das Gold, das unsterblich macht, und wer es einmal hat, wird es nie wieder aus der Hand geben“.

Der Vater verlässt die Familie

Damit Giwar professionellen Klavierunterricht erhalten kann, putzt Rasal das Haus der Musiklehrerin. Dem inzwischen zweifachen Vater Eghbal steigt der berufliche Erfolg zu Kopf, er verlässt die Familie für eine jüngere Frau. Giwar fühlt sich zwar fortan für Rasal und seine kleine Schwester Ewa verantwortlich, ist aber anfällig für krumme Geschäfte. Um Shirin (Sogol Faghani), die kleine Perserin von gegenüber, zu beeindrucken und seine Mutter zu unterstützen.

Als er beim Verkauf von Sexfilmen an Jungs in der Mittelstufe erwischt wird, fliegt er von der Schule. Giwar dealt auf eigene Rechnung und wird auf der Straße zusammengeschlagen. Er beschließt, sich im Fitnessstudio zu stählen. Im Bonner Sportclub lernt er bei einem Verehrer seines Vaters Boxen ohne Handschuhe, um sich auf der Straße behaupten zu können. Er prügelt seine Angreifer von damals krankenhausreif und landet im Kölner Jugendknast.

Amsterdam 2007. Um das dortige Konservatorium besuchen zu können, zahlt Giwar 20.000 Euro Gebühren im Voraus. Er will Musikmanager werden, kann seine Vergangenheit aber nicht abstreifen. Miran (Arman Kashani), sein bester Freund aus Kindertagen, stellt ihn seinem reichen Onkel Yero (Uğur Yücel) vor, einem Halbwelt-Patriarchen. Der nimmt Giwar unter seine Fittiche, und bald verdienen beide in der Türsteher-Szene gutes Geld miteinander. Aber Giwar will zurück nach Deutschland, mit Shirin, die im Beethovenhaus als Garderobiere jobbt, eine eigene Familie gründen. Durch Maestro (Denis Moschitto) hat er den Rap kennengelernt und will ein eigenes Label gründen. Mit dem Hip-Hop-Musiker SSIO (Ensar „Eno“ Albayrah) als erstem Künstler.

Halbe Million Schulden

Zuvor aber löst er Schwester Ewa aus dem Bordell aus. Weshalb er einen lukrativen Deal für „Onkel Yero“ eingeht: Flüssiges Kokain. Doch nach einem Autounfall in Düsseldorf landet der Stoff buchstäblich im Rinnstein und Giwar schuldet dem Kartell eine halbe Million. Um sie abzubezahlen, überfällt er mit dem „dummen Dieter“ (Uwe Rohde) einen Goldtransport von Esslingen zur Scheideanstalt nach Pforzheim. Sie erbeuten 250 Kilogramm Gold – ein Millionenwert. Giwar zahlt seine Schulden ab und taucht unter.

Syrien 2010. Giwar wird nach Deutschland ausgeliefert und zu acht Jahren Haft verurteilt. Sein Vater besucht ihn in der JVA Rheinsbach und bestärkt Giwar, mit Hilfe einer aufgemalten Klaviertastatur zu komponieren. Mit einem eingeschmuggelten Aufnahmegerät nimmt er sein erstes Album auf. In Anlehnung an seine Gefängnisnummer heißt es „Nr. 415“ und macht Giwar alias Xatar über Nacht berühmt…

Giwar Hajabis Autobiografie „Alles oder nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“ von 2015 bildet die Grundlage zu Fatih Akins unkritischer Hommage an einen Freund, einer über weite Strecken konventionellen und mit 140 Minuten doch sehr langen Mischung aus Einwanderungsdrama, Coming-of-Age-Geschichte, Gangsterballade und Musikfilm. Doch, soviel darf gespoilert werden: Der anrührende, um Verständnis werbende Schluss, der sich Xatars Sicht der Dinge voll zu eigen macht, reißt einiges wieder heraus. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage ist der Promi-Rapper bis heute schuldig geblieben. Uraufgeführt am Samstag (1.10.2022) beim 30. Filmfest Hamburg startet „Rheingold“ am Donnerstag, 27. Oktober 2022, in den Kinos, darunter auch in der Filmwelt Herne.

Donnerstag, 27. Oktober 2022 | Autor: Pitt Herrmann